Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

DOI issue:
Nr. 5 (29. Januar)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0080

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 5

JUGEND

1900

lein.

33 x c ID xt u u c

Von Savioz

Unaufhörlich siel seit zwei Tagen der Schnee,
und der Wind, der die leichten, weißen
Flocken hin und her trieb, machte die Kälte noch
empfindlicher für alle, denen warme Pelze, weiche
Umhänge unbekannt.

Ein kleines Mädchen von acht bis zehn Jahren
kam durch den halbgeschmolzenen Schnee das
schmutzige Trottoir entlang. Es war so hübsch,
daß man noch unter seinen elenden Lumpen,
seinem schmutzigen Kopftuch das zierliche Gestält-
chen, das feine Gesichtchen errieth. Das Kind
stieg die Avenue de Clicliy hinauf, seine ganze
Aufmerksamkeit war auf ein Packet gerichtet, das
es, in einen alten Zeitungsfetzen gewickelt, in
der einen Hand trug. Mit der anderen wischte
sich die Kleine von Zeit zu Zeit eine Thräne
von den Wimpern oder schob ihre wirren Locken
unter das Kopftuch zurück. Dann wieder strich sie
mit ihren starren Fingern über das Packet,
zärtlich, als wolle sie es vor dem Schnee bewah-
ren, der es mit kleinen Sternen bedeckte.

Wohl eine Viertelstunde war sie so dahin-
getrottet. Die Seilte, die vorbeikamen, stießen
und schoben sie, ihr selbst war so kalt, und mit
ihren zerrissenen Schuhen mußte sie sorgfältig
vermeiden, in die großen Wasserlachen zu treten.

So gelangte das Kind an die me ,Capron,
hurtig bog es dort ein und lief, lief eilends, um
nur bald am anderen Ende der Straße zu

Endlich hielt es still.

Es stand vor einem gro-
ßen, ganz neuen Gebäude,
das breite Fundamente und
mächtige Thüren hatte.

lieber dem Haupteingang
hing eine blau-weiß-rothe,
vom Regen bereits ausge-
waschene, vom Wind zerfetzte
Fahne, und in Riesenlettern
stand darunter:

Leihamt.

Ganz erstaunt, so rasch an-
gelangt zu sein, blickte das
Kind um sich. Dann raffte
es all seinen Muth zusammen,
trat in das Gebäude ein und
befand sich bald in einer gro-
ßen Halle, an deren vielen
Schaltern die Einen Pallete
holten, die Andern abgaben.

Ueberall hörte die Kleine
das Geklirr von Gold- und
Silberstücken.

Das arme Kind war nicht
zum ersten Male hier. Oft
hatte es die Mutter aufs
Leihamt begleitet, wenn diese
während der Krankheit und
dann nach dem Tode des
Vaters die letzten Sachen um
^wenig Geld versetzte.

Niemals jedoch hatte das
Leihamt dem Kinde einen sol-
chen Eindruck gemacht, nie-
mals waren ihmdieBeamten
unfreundlicher, abweisender
vorgekommen, als heute.

Sogar zu zittern sing die
Kleine an; der Absicht, die
sie hergesührt, schämte sie sich
jetzt, und ganz unmöglich
schien es ihr, sich an die Her-
ren an den Schaltern zu wen-
den und ihnen ihr Begehr
auseinander zu setzen.

Daher blieb sie beweg-
ungslos in einer Ecke sitzen
und dachte während einer
t,alben Stunde nicht einmal

daran, sich ihre Nummer zu holen. Da war es
denn zuletzt eine alte Frau, die, ganz erstaunt,
dgs Kind so stumm und unbeweglich zu sehen,
es aus seiner Benommenheit aufweckte uud fragte:
„Ja, Kleine, was thust Du da? Warbst Du auf
Jemand?"

Das Kind, den Kopf hebend, zauderte einige
Zeit; dann durch das gute traurige Gesicht der
Fragenden ermuthigt, sagte es:

„Nein, ich warte auf Niemand."

„Was machst Du denn hier auf dem Leihamt?"

„Ich bringe was zum Versetzen ..."

„So? Na, hast Du denn Deine Nummer?"

„Nein."

„So hob sie Dir, da links an dem vergitterten
Schalter."

Das Kind that, lute ihm geheißen. — Der
Beamte warf ihm die Nummer 52 zu, und wieder
ging das Kind an seinen Platz zurück.

Darauf sagte die Nachbarin zu ihm: „Wenn
Deine Nummer gerufen wird, stehst Du auf und
trägst Dein Packet da an den Schalter gerade
gegenüber zu dem ersten Herrn da, am Ende
des Geländers. — Was bringst Du?"

Das Kind antwortete nur durch ein tiefes Er-
röthen, und die alte Frau, die nicht zudringlich sein
wollte, hörte auf zu fragen. — Sie nahm sich aber
vor, das Kind und sein Pfand zu beobachten.—

Wieder vergingen 20 Minuten, bis die Num-
mer 52 aufgerufen wurde. Dem Kinde schlug
das Herz; schnell lvie der Blitz sprang es auf,
durchlief die Halle und stand vor dem Beamten,
der die Nummer gerufen Hane.

„Du? Was bringst Du denU, mein Kind?"

„Da," war die Antwort, und so sorgfältig,
als ob es sich um ein lebendes Wesen gehandelt
hätte, lvickelte die Kleine eine schöne Puppe mit
Lockenhaar und prächtigen Kleidern aus der Zeit-
ung aus.

„Was Andres hast Du nicht?" fragte der
Beamte.

„Nein, es ist ja die Puppe von meinem Weih-
nachten im Kinderhort."

„Darauf kann ich nichts leihen, geh, Deine
Puppe ist nichts werth. Mach Platz für andere,"
sagte der Mann am Schalter, und gleichgiltig
rief er die nächste Nummer. —

„Oh, lieber Herr," schluchzte das Kind aus,
„lieber Herr . . ."

Der liebe Herr hörte aber nicht mehr, und
Andere, von Hunger geplagt, stießen das Kind
fort, das des Beamten Worte in der tiefsten
Seele verletzt hatten. Nicht allein daß er ihr
kein Geld gab, that ihr weh, ebenso tief schmerzte
sie die Art, wie er von ihrer Puppe gesprochen;
nach ihrer Mutter war diese Puppe ja ihr Liebstes
auf der Welt. —

So schob sie sich denn langsam, die Augen
immer auf den Schalter geheftet, nach der Thür.
Auf der Schwelle hielt sie einen Augenblick an,
und große Thränen rannen über ihre Wangen.

Da packte plötzlich Jemand ihren Arm, und
ein Mann mit einer großen Schnapsnase, den
sie am Schalter neben sich gesehen, sagte:

„Na, Kleine, heust nicht mehr, da hast Du
was . . ." und damit drückte
er ihr zwei Frauken in die
Hand.

Das Kind nnißte nicht, wie
ihm gescbah, es hatte einen
Augenblick fast FUrcht. —
Plötzlich begriff es aber, daß
dieser alte Schnapsbruder
allein, von all den Mühseli-
gen und Beladenen hier, sein
Leid verstanden hatte.

Mit kurzem Dank lief es
davon. —

(Deutsch von Käthe
Schirmacher.)

Iromm

Der Mond scheint aufmeiU
Läget»

Ich schlafe nicht,

Meine gefalteten Hände
ruhen

In seinem Licht.

Meine Seele ist still, sie
kehrte

Don Gott zurück,
lind mein Herz hat nur
einen Gedanken:
Dich und Dein Glück.

Gustav Falke

..(Winde hauchen hier so keife,
lKathsckstimmen tiefer Trauer:

Bernhard Pankok

Hrer und dort die (Kkumenwaise
Wittert stikk im «ÄLendschauer."

(Nrk. Lenau)

Splitter

Pechvögel warten immel-
auf einen besonderen
Glücksfall.

Lieber in Klarheit Schmer-
zen leiden, als Dergniö
gen haben in Dunst.

Hans Olden
Index
There is no information available here for this page.

Temporarily hide column
 
Annotationen