Nr. 5
JUGEND
1900
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0
Ein Mene Tekel
Und er brüstet sich frech, und lästert wild! Und sieh! und sieh! an weißer wand
Die Rnechrenschaar ihm Beifall brüllt. Da kam's hervor, wie Menschenhand-
(Heine, „Velsazer")
ADren 13. I. 1900
Hurrah! Heut hört man gar einmal Erfreuliches in Oesterreich,
Das sonst so unerfreulich ist, so sprachen- und so Klösterreich.
Die Kunde, die ist froh genug, daß Mancher gern sich heiser singt,
Wenn heute man begeistert: „Gott erhalte Franz den Kaiser!" singt:
Energisch und ganz unbeirrt durch Doktor Stransky's frechen Mund,
verbot sich Der das Zäe-Geschrei aus renitentem Lzechenmund.
Lr sprach: „Laßt Eure Zaren sein! Weiß nicht, ob's Eurem Land recht ist,
Wenn es erfährt, wie unbequem der Kerker und das Standrecht ist.
D'rum laßt mir die Armee in Ruh', sonst fahr ich wie der Teufel drein —
Denn was Ihr mit dem Zde! bezweckt, darüber kann kein Zweifel sein!
Ich will nicht, daß in meinem Heer die Frechheit epidemisch wird.
Und daß die Sprache der Armee am Ende gar noch böhmisch wird!
Das schreibt Luch hinters feuchte Ohr und laßt die dummen Tänze fein! ‘
Lr sprach's. Da zog der Böhmerleu mit Knurren beide Schwänze ein.
Der knurre, was er knurren mag, wenn nur die Stimmung sortbesteht
Und die Regierung stramm genug auf ihres Kaisers wort besteht!
Er knurre, was er knurren mag — nun weiß er, wie die peitsche thut,
Und kuscht sich brav und dann vielleicht versteht er auch das Deutsche gut!
Bob
Clupea harengus!
Heut bin ich in der rechten Laune,
(Weil mir's im Kopfe surrt und summt),
Daß ich die Wuth Hinausposaune
Die mir im tiefsten Herzen brummt:
Den Hering wollten sie vertheuern
Uns Deutschen durch frivole Steuern!
Das kann blos der so ganz ergründen
In voller Niederträchtigkeit,
Der selber, wie aus tausend Schlünden,
Just nach gesalzner Speise schreit.
Denn besser ist und delikater
Wohl nichts auf Erden gegen Kater!
Den Zoll auf dieses Wundermittel,
Die altbewährte Panacde,
Den wollten sie zu einem Drittel
Uns nun erhöhen a peu pres!
So quetschen sie durch Steuerschrauben
Aus uns den letzten Menschheitsglauben!
Doch war der finst're Plan vergebens,
Der Reichstag that, wie sichs gehört,
Und dieses.höchste Gut des Lebens
Wird vor der Hand noch nicht zerstört.
Das find ich nett und angemessen
Und bleibe ihnen unvergessen!
Blos Liebermann und tutti quanti,
Die waren für erhöhten Zoll —
Nun weiß ich, was man von den Anti-
Semiten künftig halten soll!
Denn meint Ihr, daß der deutsch empfindet.
Der uns den Hering unterbindet?
Denn wenn mit ödem Mißbehagen
Der Mensch erwacht um halber Neun,
Dann ist ihm oft, als wär' sein Magen
Bewohnt von einem Stachelschwein.
Und ein verdächtiges Gekröhle
Verspürt er in der Schädelhöhle.
Die Haare schmerzen ungeheuer,
Und auch der Seele ist nicht wohl,
Die Kehle brennt, als wie von Feuer,
Doch schaudert ihr vor Alkohol!
Der ganze Mensch ist zu bedauern
Und ihn verlangt nach einem Saliern.
Gehorsam hält auf weißem Teller
Das treue Weib den edlen Fisch,
Und seine Augen werden heller
Und seine Nerven werden frisch.
Graziös servirt ihm dann das Weibchen
Den Hering mit den Zwiebelscheibchen.
Da liegt er nun, in schlanker Fülle,
Entschuppt, entgrätet, seelenlos,
Und schwimmt mit blanker Silberhülle
Verlockend in pikanter Sauce.
Sein Duft allein schon bringt die Heilung -
Die Hand erhebt sich zur Zertheilung.
Und ist das liebe Thier genossen
Bis auf des Rückgrats dürren Strunk,
Verlangt der Mann auch unverdrossen
Schon wieder nach gewohntem Trunk,
Der zischend durch die Kehle gleitet
Und offenbar viel Spaß bereitet.
Wer, frag7 ich, ist so unvernünftig,
Daß er's als Bürger, Mensch und Christ.
Vertreten möchte, daß uns künftig
Der Hering unerschwinglich ist?
Wie konnten jene Mordgesellen
Im Ernste solchen Antrag stellen?
Sie hatten's wohl nicht recht beachtet,
Wie furchtbar dieser Frevel war.
Denn — glaubet mir! — beim Licht betrachtet
Der deutsche Durst war in Gefahr,
Den ich so quasi als den Fürsten
Bezeichnen möchte von den Dürsten!
8$
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Ein Mene Tekel
Und er brüstet sich frech, und lästert wild! Und sieh! und sieh! an weißer wand
Die Rnechrenschaar ihm Beifall brüllt. Da kam's hervor, wie Menschenhand-
(Heine, „Velsazer")
ADren 13. I. 1900
Hurrah! Heut hört man gar einmal Erfreuliches in Oesterreich,
Das sonst so unerfreulich ist, so sprachen- und so Klösterreich.
Die Kunde, die ist froh genug, daß Mancher gern sich heiser singt,
Wenn heute man begeistert: „Gott erhalte Franz den Kaiser!" singt:
Energisch und ganz unbeirrt durch Doktor Stransky's frechen Mund,
verbot sich Der das Zäe-Geschrei aus renitentem Lzechenmund.
Lr sprach: „Laßt Eure Zaren sein! Weiß nicht, ob's Eurem Land recht ist,
Wenn es erfährt, wie unbequem der Kerker und das Standrecht ist.
D'rum laßt mir die Armee in Ruh', sonst fahr ich wie der Teufel drein —
Denn was Ihr mit dem Zde! bezweckt, darüber kann kein Zweifel sein!
Ich will nicht, daß in meinem Heer die Frechheit epidemisch wird.
Und daß die Sprache der Armee am Ende gar noch böhmisch wird!
Das schreibt Luch hinters feuchte Ohr und laßt die dummen Tänze fein! ‘
Lr sprach's. Da zog der Böhmerleu mit Knurren beide Schwänze ein.
Der knurre, was er knurren mag, wenn nur die Stimmung sortbesteht
Und die Regierung stramm genug auf ihres Kaisers wort besteht!
Er knurre, was er knurren mag — nun weiß er, wie die peitsche thut,
Und kuscht sich brav und dann vielleicht versteht er auch das Deutsche gut!
Bob
Clupea harengus!
Heut bin ich in der rechten Laune,
(Weil mir's im Kopfe surrt und summt),
Daß ich die Wuth Hinausposaune
Die mir im tiefsten Herzen brummt:
Den Hering wollten sie vertheuern
Uns Deutschen durch frivole Steuern!
Das kann blos der so ganz ergründen
In voller Niederträchtigkeit,
Der selber, wie aus tausend Schlünden,
Just nach gesalzner Speise schreit.
Denn besser ist und delikater
Wohl nichts auf Erden gegen Kater!
Den Zoll auf dieses Wundermittel,
Die altbewährte Panacde,
Den wollten sie zu einem Drittel
Uns nun erhöhen a peu pres!
So quetschen sie durch Steuerschrauben
Aus uns den letzten Menschheitsglauben!
Doch war der finst're Plan vergebens,
Der Reichstag that, wie sichs gehört,
Und dieses.höchste Gut des Lebens
Wird vor der Hand noch nicht zerstört.
Das find ich nett und angemessen
Und bleibe ihnen unvergessen!
Blos Liebermann und tutti quanti,
Die waren für erhöhten Zoll —
Nun weiß ich, was man von den Anti-
Semiten künftig halten soll!
Denn meint Ihr, daß der deutsch empfindet.
Der uns den Hering unterbindet?
Denn wenn mit ödem Mißbehagen
Der Mensch erwacht um halber Neun,
Dann ist ihm oft, als wär' sein Magen
Bewohnt von einem Stachelschwein.
Und ein verdächtiges Gekröhle
Verspürt er in der Schädelhöhle.
Die Haare schmerzen ungeheuer,
Und auch der Seele ist nicht wohl,
Die Kehle brennt, als wie von Feuer,
Doch schaudert ihr vor Alkohol!
Der ganze Mensch ist zu bedauern
Und ihn verlangt nach einem Saliern.
Gehorsam hält auf weißem Teller
Das treue Weib den edlen Fisch,
Und seine Augen werden heller
Und seine Nerven werden frisch.
Graziös servirt ihm dann das Weibchen
Den Hering mit den Zwiebelscheibchen.
Da liegt er nun, in schlanker Fülle,
Entschuppt, entgrätet, seelenlos,
Und schwimmt mit blanker Silberhülle
Verlockend in pikanter Sauce.
Sein Duft allein schon bringt die Heilung -
Die Hand erhebt sich zur Zertheilung.
Und ist das liebe Thier genossen
Bis auf des Rückgrats dürren Strunk,
Verlangt der Mann auch unverdrossen
Schon wieder nach gewohntem Trunk,
Der zischend durch die Kehle gleitet
Und offenbar viel Spaß bereitet.
Wer, frag7 ich, ist so unvernünftig,
Daß er's als Bürger, Mensch und Christ.
Vertreten möchte, daß uns künftig
Der Hering unerschwinglich ist?
Wie konnten jene Mordgesellen
Im Ernste solchen Antrag stellen?
Sie hatten's wohl nicht recht beachtet,
Wie furchtbar dieser Frevel war.
Denn — glaubet mir! — beim Licht betrachtet
Der deutsche Durst war in Gefahr,
Den ich so quasi als den Fürsten
Bezeichnen möchte von den Dürsten!
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