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Nr. 5 (Redaktionsschluss: 17. Januar 1900) • J U Gr E N D •

1900

Lrwach', mein Volk, mit neuen Sinnen 1
Blick' in des Schicksals gold'nes Buch,

Lies aus den Sternen dir den Spruch:

Du sollst die Welt gewinnen!

Erwach', mein Volk, heiß' deine Töchter spinnen!
Wir brauchen wieder einmal deutsches Linnen
Zu deutschem Segeltuch.

Hinweg die feige Knechtsgeberde;

Zerbrich der Heimat Schneckenhaas,

Zieh' muthig in die Welt hinaus,

Daß sie dein Eigen werde!

Du bist der Hirt der großen Völkerheerde,
Du bist das große Hoffnungsvolk der Erde,
D'rum wirf den Anker aus!

Georg Herwcgh („Die Deutsche Klc-tte", 1S42)

England und das Völkerrecht

Als ich, noch in jungen Jahren, einmal
sagte, es gebe kein Völkerrecht, nahm man-mir
das sehr übel. Ich sage es nimmer,. um.die
Leute nicht unnütz zu ärgern; aber ich glaube
es-noch. Und diese anscheinend laxere Anschau-
ung stellt im Gegenthekl die strengere Anfor-
derung. Jeder wird sich davon überzeugen,
wenn er sich fragt, was schwerer ist, sich recht-
mäßig oder sich anständig zu verhalten. Ich
kenne Leute, denen ich vor dem Staatsanwalt
nichts nachsagen mochte, denen ich aber auch
nicht bezeugen könnte, daß ich sie für Gentlemen
halte.

Und so meine ich, den Engländern wäre es
recht, wenn es ein Völkerrecht und damit jene
formelle Korrektheit gäbe, die des Heuchlers
Stärke ist. Heine sagt einmal, er glaube, ein
fluchender Franzose sei ein angenehmeres Schau-
spiel für die Gottheit als ein betender Engländer.
Sicher, und daß letzterem das große schwarze
so gründlich um die Ohren ge-
schlagen wird, freut die ganze Welt.

Ueber die Behandlung unserer/ Postschiffe
durch die Engländer verschreibt man bei uns
jetzt viel Tinte. Uro nihilo. Es ist klar, wie
etwas, daß der Schiffsverkehr eines neutralen
Staats mit einem neutralen Staate keiner Be-
schränkung durch einen Kriegstheil unterliegt,
den Engländern also gar keine Besugniß zu
ihrem Verfahren zur Seite steht. Nur den Ver-
kehr Portugals mit den Burenstaaten mögen
sie fassen, wenn er ihnen zugänglich ist. Es
ist eben so klar, daß darüber kein Streit wäre,
wenn wir eine Flotte hätten, die den Engländern
Furcht eiuflößen würde. Woraus weiter ersicht-
lich ist, daß nur dasjenige' Völkerrecht etwas
werth ist, hinter dem Kanonen stehen. Hätten
die Engländer nicht die Uebermacht zur See,
ihre Ansprüche würden i sich als das darstellen,
was sie sind, — als lächerlich. Würde ein
anderer Staat das beanspruchen, was England
jetzt beansprucht, die Engländer wären die
ersten, Lärm darüber zu schlagen und es un-
faßbar zu finden, daß man den heiligen Handel
des Jnselreiches zu stören wagt. Ich bin über-
zeugt, unsere Stammesvettern werden dies mit

der Zeit noch einsehen. Sie brauchen zur Schär-
fung ihres Verstandes nur Ein Allheilmittel —
noch mehr Prügel. Man glaubt gar nicht, wie
einsichtig ein Engländer wird, wenn er ordent-
lich verhauen ist. Und ich meine, die deutschen
Gelehrten sollten in Erwartung, dieses Endes
ihre Bücher zuklappen, in denen sie zehn Worte
auswenden, um klar zu machen, was man mit
zwei Worten erklären kann. Die Beweisgründe
des Völkerrechts heißen Pulver und Blei. Mit
denr Völkerrecht als Rechtsbuch, von Bluntschli
hat man noch Niemanden imponirt, nicht einmal
in Heidelberg.

Max von Scydel (München)

Deutsche Glossen

Die Q u a d r a t p o l i t i k e r, die nichts
lernen und nichts vergessen und jede historische
Wandlung als - ein Verbrechen an, ihrem ge-
heiligten Dickschädel betrachten, verlangen
von dem „charaktervollen, überzeugungMreuen
Wähler", daß er als' Fünfziger - ganz . genau
denselben politischen Verstand -(oder. Unver-
stand!) haben solle, den er schon als Bursche
von zwanzig Jahren gehabt. Wenn eine solche
Znmnthung von einem Wiederkäuer an ein
anderes- Btehrmagenthier gestellt würde, so
könnte man wohl sagen-: sunt ut sint, oder-
umgekehrt. Aber denkende Menschen? Was
thnt es, wenn wir z. B. vor 1864/66/70,
unseren damaligen Einsichten entsprechend,
schwarz-roth-gol'dene Demokraten oder schwarz-
weiße Konservative oder weißblaue Preußen-
fresser waren, und wenn wir uns heute einfach
als freie Deutsche bekennen, als unfähig,
uns unter irgend eines der bestehenden ante-
diluvianischen Parteijoche zu beugen? Man
gebe- uns die große, aber entwicklungsfähige
deutsche Partei und wir wollen nicht zu
stolz sein, um sogar mit den Herren Richter
und Lieber (wenn sie sich gebessert haben werden)
an einem Strange zu ziehen.

Die unerläßliche Voraussetzung zu solcher
Stranggemeinschaft ist aber das Eine:' man
darf sich nicht länger gegen die Einsicht auf-
lehnen, daß - D e u t s ch l a n d a n d e r R e i h e
ist, — d. h. an der Reihe, eine Weltrolle zu
spielen; nicht blos zu spielen, sondern zu er-
füllen! Wer gewohnt ist, auch die Knlturent-
wickelung und die Politik mit naturwissen-

schaftlichem Auge zu betrachten, auch auf diesen
Gebieten das Wirken von elementaren Kräften
und Gegenkräften anzuerkennen, der wird mich
leicht verstehen. Es ist Blödsinn, das Ringen
der Völker vom Standpunkte des Apothekers
oder Feinbäckers zu beschnüffeln und nach ur-
väterlichen Rezepten regeln zu wollen. Für
uns Deutsche steht die Sache einfach so: unsere
Volkszahl, - unsere großen und kleinen Schul-
meister, unsere Dichter und Denker, unsere
Driller und Lenker, unsere Segler und Pegler,
unsere Pflicht- und Gemüthshelden haben
uns im Laufe eines kummer- und siegvollen
Jahrhunderts dahin gestellt, von wannen
es nur einen ehrenvollen Weg in die Zu-
kunft gibt, nämlich den Weg der unge-
heuersten Kraftentfaltung. Wären wir
zu dumm oder zu feige, um im neuen Jahr-
hundert zu ernten, was wir im alten gesäet
haben, dann verdienten wir wahrlich, hiefür
als Brettlhupfer hinten auf der Karosse der
Weltgeschichte zu stehen, anderen den Schlag
aufzumachen uxtb unter Bücklingen die
Stiefel zu putzen. Aber nein, als Herren
wollen wir kutschiren, unbeirrt durch das
Gejammere und Gequietsche der Bedienten-
seelen; und auch auf dem Weltmeer wollen
wir keine Kulidienste mehr thun, sondern das
Steuerruder der Herrenyacht ergreifen!

Der Tag ist gekommen, wo das Herz deutscher
Nation die aufgespeicherte Kraft nicht mehr
in seinen Kammern bergen kann, wo der Herz-
bengel, kracht und der deutsche Lebenssaft sieg-
reich durch die Verkehrsadern der Welt dahin-
strömt. Es ist ein Helles, reines Blut, noch
nicht verdorben in der Giftküche des Mammons;
möge es hell und rein bleiben, und blank auch
der Ehrenschild unserer Gerechtigkeitsliebe, denn
ohne ihn ist alles vergossene Blut nur Dünger
für faulige Frucht. Das mögen sich Jene merken,
die etwa leichten Herzens bereit wären, aus
der Haut der niederdeutschen Buren kleindeutsche
Riemen zu schneiden. Man löscht nicht un-
gestraft das Heerdfeuer des Nachbarn aus!
Die Engländer haben durch ihre politische
Verrohung ihren Charakter vergiftet;
sie sind sittlich erblindet. Was wir dort
sehen, steht fast auf einer Linie mit den Greueln
des Dreyfusprozesses. Möge Wotan der Weise
solchem Wahl: unter uns wehren, seinen Speer
senken, wenn wir je in wahnwitziger Wildheit
uns vermessen sollten, unseren Nachbarn das
heilige Feuer zu stehlen!

Georg Hirch

Herausgeber: Dr. PEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, sämmtlich in München-

Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.

ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
Register
Ernst Neumann-Neander: Erwach, mein Volk!
Max v. Seydel: England und das Völkerrecht
Georg Hirth: Deutsche Glossen
Georg Herwegh: Erwach, mein Volk
 
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