Nr. 6
. JUGEND -
1900
ißeucs Leben!
Mit Zeichnung von Hans pritsch
Die mir den Abschied noch gebracht,
Sind durch das Dunkel heimgegangen.
Mein Bahnzug hastet in die Nacht.
Sieh doch, blieb Liner an mir hangen!
Und rückt zu mir, und zeigt hinaus,
Da schwindet fern, was ich verlassen;
Noch aus dem letzten, dunklen Haus
Zwei müde Lichter still verblassen.
Hans Fritsch (Dresden)
©edanken von Zeno
Die Gattin gibt dem CDanne das Hieben
Deimkebr
Zum Bilde von Robert Engels
Notherglüht vom letzten Strahle,
Hoch von Giebeln überdacht,
Liegt mein Heimathnest im Thale,
Still und schläfrig lang vor Nacht.
Lin verträumtes Glockenstngen
Weht herauf und grüßt mich leis —
Herz, was wird bei solchem Klingen
Dir so seltsam weh und heiß?
Das ist, als ob durch diese Nacht
Lin Blick voll Thränen mich geleite.
„Ist sie's, die dort an mich gedacht?"
Lr nickt. Dann schweigen wir zweibeide.
Doch immer, wenn das Kling und Klang
Der Näder mich in Schlaf gesungen,
Berührt mich seine Hand so bang,
Und angstvoll bin ich aufgesprungen.
Stumm zeigt er wieder in das Land,
Sein Auge ist voll dunkler Fragen;
Lin funkenglühend Flammenband
Seh ich zerfetzt vorüberjagen. —
Am Hang ein Städtchen, ganz verträumt
Zn schneeverwehten Linsamkeiten,
Lin Bergwald, den das Mondlicht säumt,
Und Sterne, die darübergleiten. —
Da fallen uns die Augen zu-
Doch als die Fernen glühend tagen:
„Mein Kamerad, wo bliebst denn Du?
Hat Dich das Licht in Flucht geschlagen?
Fahr hin, Du stummer Griesegram!
Nun mir die pulse höher klopfen,
Wehr ich es nicht in stiller Scham,
Daß diese Thränen niedertropfen.
rum zweitenmal-man kann also in
der ©hat in der GCCahl seiner €[ltern vor-
sichtig sein.
Kann man aber auch wirklich? Oder
wird man, selbst bei der höchsten und
reinsten Zuchtwahl, auch in dieses zweite
Hieben so Seelen- und willenlos gerissen,
wie in das erste ?
Entzückung schwebt auf einer Zehen-
spitze; sie hält das nicht lange aus.
Das Bollwerk, hinter dem sich <Ef‘ner
gegen uns verschanzt, schützt uns vor ihm.
GCCenn ein Künstler seine herrlichen
Gaben versäuft und verlüdert, nennt man’s
geniales Heben; der ^^breiner, der
seinen Hobel vertrinkt, ist dagegen ein
Hump.
Oie menschliche Gesellschaft, vor allen
aber die Gesellschaft, gleicht einer E's'
bahn; mit möglichster Knnrnth und Ge-
wandtheit sucht man über eine ganz gleich-
gültige ©iefe dahinzugleiten. Hur nicht
einbrechen!
Fremd im Fremdland umgetrieben
Hab' ich mich, ein wilder Fant,
Warf mit ungefügen Hieben
Manches Dutzend in den Sand.
Manches Dutzend scharfer Narben
Trag auch ich von wackerm Streich,
Spannenlang und purpurfarben —
Bart und Scheitel werden bleich!
Ghne Nuhm und ohne Beute
Ghne Noß und ohne Herrn,
Arg verwettert, komm ich heute
Wieder heim aus rauher Fern'.
Nun ich, müd von Kampf und Neisen,
Auf dem Stadtwall wieder steh',
Schmilzt mir siebenfaches Lisen
von der Seele fort, wie Schnee.
Markt und Gassen haben lange
Sich in Dämmrung eingemummt,
vom verworr'nen Glockenklange
Ist der letzte Hall versummt.
Böse Ahnung, die ich spüre,
Bange Frage, die mich narrt:
pocht wohl hinter einer Thüre
Noch ein Herz, das meiner harrt?
Mit ihnen lösch ich zitternd aus,
Was nächtens hinter mir geblieben,
Der enge Kreis, das dumpfe Haus,
Lin scheues, sündenbanges Lieben. —
Mein ist der Tag! Will er nicht theil
Mir selbst an seinen Werken geben,
So schlag' ich zu mit blankem Beil —
Aus hartem Holz ein neues Leben!"
Franz Langheinrich
CQan soll Humanität nicht predigen,
sondern thun, das überzeugt! "CCnd auch
das ©hun soll keine Dredigt sein, sondern
einfache ©hat; das — beglückt! nämlich
den ©häter.
CDit starken ÖCCorten wird starkes Han-
deln umgangen. Der Hund, der bellt,
beisst nicht.
Und 3um Beten knie ich wieder,
Tief im Innern aufgerührt,
Trau' mich schier den Steig nicht nieder,
Der zur HeimathschoUe führt!
Der zerzauste Leuteplacker,
Bangt sich, wie ein Weib, zu sehn,
Was im alten Gottesacker
Dort für neue Kreuze stehn! _ „
JH • V» U•
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1900
ißeucs Leben!
Mit Zeichnung von Hans pritsch
Die mir den Abschied noch gebracht,
Sind durch das Dunkel heimgegangen.
Mein Bahnzug hastet in die Nacht.
Sieh doch, blieb Liner an mir hangen!
Und rückt zu mir, und zeigt hinaus,
Da schwindet fern, was ich verlassen;
Noch aus dem letzten, dunklen Haus
Zwei müde Lichter still verblassen.
Hans Fritsch (Dresden)
©edanken von Zeno
Die Gattin gibt dem CDanne das Hieben
Deimkebr
Zum Bilde von Robert Engels
Notherglüht vom letzten Strahle,
Hoch von Giebeln überdacht,
Liegt mein Heimathnest im Thale,
Still und schläfrig lang vor Nacht.
Lin verträumtes Glockenstngen
Weht herauf und grüßt mich leis —
Herz, was wird bei solchem Klingen
Dir so seltsam weh und heiß?
Das ist, als ob durch diese Nacht
Lin Blick voll Thränen mich geleite.
„Ist sie's, die dort an mich gedacht?"
Lr nickt. Dann schweigen wir zweibeide.
Doch immer, wenn das Kling und Klang
Der Näder mich in Schlaf gesungen,
Berührt mich seine Hand so bang,
Und angstvoll bin ich aufgesprungen.
Stumm zeigt er wieder in das Land,
Sein Auge ist voll dunkler Fragen;
Lin funkenglühend Flammenband
Seh ich zerfetzt vorüberjagen. —
Am Hang ein Städtchen, ganz verträumt
Zn schneeverwehten Linsamkeiten,
Lin Bergwald, den das Mondlicht säumt,
Und Sterne, die darübergleiten. —
Da fallen uns die Augen zu-
Doch als die Fernen glühend tagen:
„Mein Kamerad, wo bliebst denn Du?
Hat Dich das Licht in Flucht geschlagen?
Fahr hin, Du stummer Griesegram!
Nun mir die pulse höher klopfen,
Wehr ich es nicht in stiller Scham,
Daß diese Thränen niedertropfen.
rum zweitenmal-man kann also in
der ©hat in der GCCahl seiner €[ltern vor-
sichtig sein.
Kann man aber auch wirklich? Oder
wird man, selbst bei der höchsten und
reinsten Zuchtwahl, auch in dieses zweite
Hieben so Seelen- und willenlos gerissen,
wie in das erste ?
Entzückung schwebt auf einer Zehen-
spitze; sie hält das nicht lange aus.
Das Bollwerk, hinter dem sich <Ef‘ner
gegen uns verschanzt, schützt uns vor ihm.
GCCenn ein Künstler seine herrlichen
Gaben versäuft und verlüdert, nennt man’s
geniales Heben; der ^^breiner, der
seinen Hobel vertrinkt, ist dagegen ein
Hump.
Oie menschliche Gesellschaft, vor allen
aber die Gesellschaft, gleicht einer E's'
bahn; mit möglichster Knnrnth und Ge-
wandtheit sucht man über eine ganz gleich-
gültige ©iefe dahinzugleiten. Hur nicht
einbrechen!
Fremd im Fremdland umgetrieben
Hab' ich mich, ein wilder Fant,
Warf mit ungefügen Hieben
Manches Dutzend in den Sand.
Manches Dutzend scharfer Narben
Trag auch ich von wackerm Streich,
Spannenlang und purpurfarben —
Bart und Scheitel werden bleich!
Ghne Nuhm und ohne Beute
Ghne Noß und ohne Herrn,
Arg verwettert, komm ich heute
Wieder heim aus rauher Fern'.
Nun ich, müd von Kampf und Neisen,
Auf dem Stadtwall wieder steh',
Schmilzt mir siebenfaches Lisen
von der Seele fort, wie Schnee.
Markt und Gassen haben lange
Sich in Dämmrung eingemummt,
vom verworr'nen Glockenklange
Ist der letzte Hall versummt.
Böse Ahnung, die ich spüre,
Bange Frage, die mich narrt:
pocht wohl hinter einer Thüre
Noch ein Herz, das meiner harrt?
Mit ihnen lösch ich zitternd aus,
Was nächtens hinter mir geblieben,
Der enge Kreis, das dumpfe Haus,
Lin scheues, sündenbanges Lieben. —
Mein ist der Tag! Will er nicht theil
Mir selbst an seinen Werken geben,
So schlag' ich zu mit blankem Beil —
Aus hartem Holz ein neues Leben!"
Franz Langheinrich
CQan soll Humanität nicht predigen,
sondern thun, das überzeugt! "CCnd auch
das ©hun soll keine Dredigt sein, sondern
einfache ©hat; das — beglückt! nämlich
den ©häter.
CDit starken ÖCCorten wird starkes Han-
deln umgangen. Der Hund, der bellt,
beisst nicht.
Und 3um Beten knie ich wieder,
Tief im Innern aufgerührt,
Trau' mich schier den Steig nicht nieder,
Der zur HeimathschoUe führt!
Der zerzauste Leuteplacker,
Bangt sich, wie ein Weib, zu sehn,
Was im alten Gottesacker
Dort für neue Kreuze stehn! _ „
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