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JUGEND

1900


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Fife o’clock

Eine Frauenstudie

von Gabriele Reuter

?Men stumpfen, dumpfen Krepp
der tiefen Trauer halte sie
abgelegt. Wenn Frau von Necker
sich bewegte, wenn sie sich zuni
Kamin beugte und mit polirtem
Stahl zwischen dem Kotes wühlte,
das; die Gluth aufflammte, daim
glitzerte es aus allen Rüschen und
Falten ihres schwarzen Kleides
von winzigen Jet-Pailletten, ihre
dünne, seine Gestalt schien plötzlich
Hunderte von blauen und gelben
Lichtfünkchen auszustrahlen. Und
trotz des wehen Zuges über ben
Brauen und um ihre Lippen,
sprühte etwas wie verstohlene Le-
benslust aus dem neckischen Flim-
merspiel, das so verschwenderisch
über die finsteren Spitzen ver-
streut war.

Frau von Necker hielt eine
blüthenweiße Tbeeschaale in der
Hand, durchsichtig und leicht, wie
die Gierschale eines Singvogels.
Sie nippte von dem Trank, den
sie ohne Zucker nahm, nur das
ihm eigene Aroma llicht zu ver-
derben und seine röthlich-goldene
Farbe rein zu genießen. Ihr be-
rühmtes Haar, welches immer den
Eindruck hervorrief, als müszteu
alle Schildpattuadeln darin zer-
brechen und der große wirre Kno-
ten langsam in den Nacken glei-
ten, — dieses Haar besaß genau
die Farbe von russischem Thee.
WaltherScharling hatte einige sehr
schöne Verse gemacht — auf den
russischen Thee und auf ihr Haar.

_ Wie sonderbar, daß er

noch nicht hier war. Sie hatte
ihre Ankunft zwar nicht gemeldet
— natürlich nicht — wie hätte

sie. Aber aus irgend einen:

Wege hätte er cs doch erfahren
können.

Fürchtete er sich vielleicht? O Walther! Es
sähe ihn: ähnlich.

Weil sie nun frei war?

Sie sah über die flache Theeschaale hinweg
in die Gluth und erröthete plötzlich.

Sie war ja frei-

Wie seltsam.

Frei-!

Ja ....

Und?

Sie lächelte — so geheimnißvoll traurig, wie
sie immer lächelte aus Gewohnheit und lvie es
so gut zu ihrer bleichen Farbe und zu dem ganzen
Stil ihrer Schönheit stimmte.

Während sie die Schaale auf den Bambus-
tisch niedersetzte, zitterte ihre Hand. Sie blickte
unter halb gesenkten Lidern vor sich hin, als
schaue ihre Seele ein tieses Geheimniß.

Aber es war auch nur die alte Gewohnheit,
so zu blicken.

Frei —!

-Aus dem unbestimmten Dämmern

der Erinnerung traten ihr die Momente, in denen
sie gesprochen hatte:

„Ich bin nicht frei." Immer wieder das eine
Wort — wie eine Zauberformel, welche böse,
wilde, verführerische Geister zu dienendem Ge-
horsam bannen mußte.

... Warum nicht frei ? Ihr Mann saß über
seinen Büchern oder im Cafe. Und sie kam und
ging im Hause, wie sie mochte — empfing an
ihrem Theetisch, wen sie wollte.

Aber sie schüttelte den Kops und hob die Hand
ein wenig, als schiebe sie etwas Unsichtbares
von sich. Das genügte. Um ihre Gestalt schwebte
die Stimmung einer ewigen Entsagung und zu-
gleich etwas so Weiches, in Empfindung Vergehen-
des, daß der heißeste und härteste Manneswille
vor ihr zerschmolz bis zu schmerzlich-süßer Ver-
einigung zweier Seelen in sehnsuchtsvollem Ver-
zicht.

Natalh von Necker seufzte leise — es war fast
ein Seufzer des Glückes — bei diesen Erinner-
ungen.

Alle waren ihre Freunde geworden — ihre
guten, treuen und ergebenen Freunde. Und lvie
lange hatte sie keinen von ihnen gesehen. . .

Um diese Stunde pflegte sie niemals allein
in ihrem Salon zu sitzen . . . Entweder es kamen
gleichgiltige Bekannte und die Schaar ihrer Ge-
treuen war vollzählig darunter. Oder es gab
ein töte ä tete in schwülen, gefährlichen Stimm-
ungen, über die sie gleichsam mit einer geistigen
Balanzierftange auf ganz dünnem Seile hinweg-
zugaukeln wußte, den Siegerkitzel im Herzen, so
hoch über dem Abgrund zu schweben, aus dem
ein anderer in stummer Pein die sehnenden Arme
hob. Aber oft verging auch ihr fast der Athen:
dabei....

Und dann die tödtliche Langeweile der Trauer-
zeit. Und der ganze endlose Sommer auf dem
Gut der Schwester, bei den vielen kleinen Neffen
und Nichten. Sie liebte ja das Landleben —
aber doch mehr von der Stadt aus, hatte vr.
Schneider sie einmal in seiner sarkastischen Weise
geneckt.

Daß er nicht dort drüben in: Schatten an der
Thür zun: Nebenzimmer lehnte, von wo aus
seine Bemerkungen wie Blitzschläge in die Plau-
derei vor den: Kamin niedergezuckt waren....

Das kahle Zimmer bei ihrer Ankunft — so
ungewohnt leer — ohne Blumen, ohne den Duft
aus den Veilchensträußen des guten Legations-
rat hes . ..

Frau von Necker lächelte nicht mehr melan-
cholisch, sondern ganz erwartungsvoll und bei-
nahe übermüthig.

Wenn Walther Scharling nur ahnte, daß sie
hier säße — allein ... Wie er da eilen und

fliegen würde, irgend eine fabelhafte Sezessions-
lilie oder Orchidee aufzutreiben, um sie zu be-
grüßen. Dann konnte sie gleich beginnen, ihm
mütterlich - schwesterliche Ermahnungen wegen
seiner Extravaganzen zu machen, er würde sie
in einem seiner Anfälle von Kindlichkeit um ihre
Meinung über seine neueste Halsbinde bitten. ..
Sie sah ihn noch, wie er einmal vor ihr kniete
und sie ihm den Knoten geschmackvoller ordnete,
während der Legationsrath als Begleitung ein
undeutliches Eifersuchtsgemurmel hören ließ.

So wäre man gleich wieder im alte:: Ge-
leise.

Oder doch nicht? Nein, nein — in demselben
Geleise sicherlich nicht.

Etwas Neues lauerte auf sie. Mit angehal-
tenem Athen: spürte sie, wie es in der ungewohm
ten Stille, die sie umgab, sich vorbereitete. Neue,
noch nie empfundene Erregungen, Eindrücke,
Empfindungen. . .

Mit Augen, in denen ein neues glänzendes
Leben erwachte, blickte sie umher.

Ach, die Tannenzweige, die der vor Ehrfurcht
bebende Hauslehrer der kleinen Neffen ihr noch
in den Wagen gereicht hatte — sie rochen fade,
nach vergangenen Tagen.

Eine Lilie mußte dort auf dem dünnbeinigen
Empiretischchen stehen. Auf hohem Stengel
schwankte die große, weiße Blume mit unheim-
lichen grüngelben Flecken. Sie meinte ihren
schwülen Dust zu spüren, und er lviegte sie in
durstige, fieberische Träume. Und Reimklänge
aus den Liedern Walther Scharlings gingen ihr
durch den Sinn — erlesene Wortmusik, mit denen
der junge Dichter ihre Seele liebkoste und die aus
sie wirkten wie leise Berührungen von bebenden
Lippen.

Oft, ojt, wenn er gegangen war, nachdem er
ihr seine Lieder gelesen hatte, in schwermüthig-
seierlichen singenden Tönen, hatte sie sich über
fe:ne Blume gebeugt und sie geküßt — die selt-
sam kühlen, linden Kelchblätter mit den gelb-
grünen Flecken. Sie küßte gern Blumen. Nicht
Männer. Nicht Walther Scharling. Nur wenn
sie in allen Nerven ihres Leibes empfand, wie
seine Phantasieen sie umschlangen, das war ihr
eine feine Wollust. Er mußte ja doch so brav
auf seinem Stuhl sitzen bleiben. Er lvußte ja,
daß er nicht durfte... So grausan: hart war
sie einmal mit ihm gewesen, daß er es nie ver-
gaß. Damals wäre er fast geflohen. Aber der
Zauber, inuner von seiner Liebe zu ihr reden zu
dürfen, hielt ihn. Sie sah, wie das den: jungen
Menschen zu einen: thörichten, schwelgerischen Ge-
nüsse wurde, der seine Kraft verzehrte. Und sie
empfand eine heimliche Freude, die fast etwas
von Rachgier hatte. Sie durfte ja auch nicht.
Es war geschmacklos für eine verheirathete Frau.
Es war nicht vornehm. —-

— Und NUN durfte sie plötzlich!

Sie sprang mit einem Satz aus dem Lehn-
stuhl, als wolle sie das Glück mit beiden Hän-
den packen. Ihre Blässe war Rothe geworden,
ihr schmerzverzogener Mund glühte wie eine
junge zarte Rose.

Das Gefühl. . . Allein das Gefühl: frei zu
sein, auf alles Verbotene, heimlich Umschlichene
die Hand legen zu können! Alles zu dürfen!
Nur die Wahl haben: was und wie. Wenn das
schon war wie ein entzückender Rausch, wie mußte
erst das Erleben sein! ...

— Er — Walther — kniete bei ihr und trieb
kindische, sentimentale Dummheiten, nur um
heimlich ihr Kleid zwischen seinen Fingern
fühlen zu dürfen. Ein langsames Heben der
Lider. . . Anfangs würde er nicht wagen zu
begreifen . . . Ein wenig zögerte sie — weidete
sich an seiner stummen Angst. Ein weiches, fast
nur zu ahnendes Neigen ihm entgegen. Und
das Lächeln an den Mundwinkeln. Sie trat lang-

Gertrud Kleinhempel (München)

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Register
Gabriele Reuter: Five o'clock
Gertrud Kleinhempel: Zeichnung ohne Titel
 
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