Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

DOI issue:
Nr. 9 (Faschings Nummer)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0154

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 9

JUGEND

1900


O

Dans Sachsens Meltkadrt

Vcrnewcrt und frisch aufgelegt

Nun bin ich, Hans Sachs, nach manch hundert Zähren
Wieder einmal durch meine lieben deutschen Lande gefahren,
Die neu wunderlichen Ding und Grdnung zu beschauen,

An Künsten viel mein altnürnbergisch Herz zu erbauen.

Hab wahrlich gelabt mich an sinnreich herrlichen Stücken,

An Wundern erstaunlich,'das Gemüth zu berücken.

Wie find meine Deutschen in die Sonne gestiegen!

Hei, ihre Banner gleich Adlern Gebirg und Meer überfliegen!

Doch kein Glast ohne Schatten. Sah Ecken verdüstert,
politisch und diplomatisch manch schönen Steck arg verschustert.
Mit Pech und Draht hat allerlei unschicklich Hantiren
Zm Parlament sich vergangen, das Reich zu schimpfiren.

Gar mancher Reichsbot, stolz auf sein Pfund und pferdekrast,
wie ein störrig Maulthier sich führt und Aergernuß schafft.

Aber Meister vieledel, wack're Gesellen und brav Gestnd
Allerorts sorgen, daß männiglich frohe Laune wieder find.

So bleibt in Stolz meine Hoffnung für die ewigen Stunden:
Was fehl und faul noch heut, wird morgen gesunden.
Landauf landab, die Kreuz und die Wuer
Hab für himmlischeKurzweil ich eingeheimst manch lustsameLehr.

Zur Rast hielt ich Einkehr im Bratwurstglöcklein,

Find kauernd in der Ecken gar ein Berliner Beckmefferlein,
Saß wie ein Meister im Gemerk, schien auf jemand zu spitzen,
Mit Fehlerzählen seinen Sinn zu erhitzen.

Er sticht mit den Aeuglein an den wänden herum,

Als such er für seine Mucken bei Fliegen ein Publikum.

Und jetzt — o heillos Maulwerk! „Mein Rame R. M. Meyer,
Litteraturgeschichtsdichter, kein Komödienschmierer, wie der

Ernst und der Dreyer

Und andere Zugend von heut und Probekandidaten,

Die ohne meine Genehmigung in die poöterei gerathen."
Etcetera.

Zch sag voll Geduld: „Eure Würstlein erkalten,
Auch ist's nicht gesund, im Glöcklein eine pauke zu halten,
Das hat schon, weiß Gott, vor drei-vierhundert Zähren
An dieser Stätt manch redselig Merker und Schreiber erfahren."

Da fliegt er auf: „was berechtigt Euch zu schelten?

So viel wie Zhr wird Unsereins tausendmal noch gelten!

Bin kein Heimatthümler, kein Provinzler —ein janzer Berliner!
Ein Kritikgewaltiger! Rer! Mahlzeit-Euer ergebener Diener."

Mit höhnischem Gegrinse wollt er eilig sich empfehlen.

„Halt dal Die Zeche! will Euch meine Antwort nit stehlen,
vor allem merkt dies: Die Komödien in Ehren!
verunziert Zhr Heimatkunst, potz! müßt um den Kopf Zhr

Euch wehren!"

Da wurde er grob: „Zst das Bedienung, he? Soll ich verdürsten?
He Kellner, sofort noch 'ne Portion — doch nicht von Hans-

würsten!

Mit dem da red ich nicht mehr, ist mir zu graulich,

Armseliger Schusterpoet, scheußlich unverdaulich."

Zch betracht ihn mir froh.

„Bin Dozent mit fürstlichen Renten, '
Keift er wieder. Zch: „Zst mir Bratwurst, pfeif auf fette Enten."
Er: „Schrieb ein preisbuch über Goethe."

Zch: „Wohl für Philister.
Mich dünkt, Zulian Schmidt und Zhr seid erbliche Geschwister.
Vererbter Dünkel, ob mehr oder weniger Dhaler:

Horizont wie'n Mausloch, 'n Maul wie Goliath der Prahler.
Tief und bedeutend erscheint Zhr nur Euch und den Gevattern,
Schulze und Müller imponirt sich leicht mit Sentenzenknattern.
Die Sorte ist bekannt. Gen Wall und Mauern
Rennt ste mit Feder und Maul. Die Festung wird dauern.

Die ist in Demuth gebaut aus ehrlich altväterischen Auadern —
Der Heimatkunst Bollwerk verträgt Euer Hadern.

Schaut Euch um: was ist heut der weiten Welt Ergötzen
Zn Nürnberg? Heimatkunst! Umsonst mögt Zhr d'ran wetzen
Den Kuddelmuddel-Gelahrtheits-Witz der Spree-Athener
Und Geschichten klittern für den Geschmack der Firma voß

und Spener."

potz, nun schwillt ihm der Kamm wie dem Sultan Kikeriki
Und kollert mich an: „Herr Schuster nicht weiter — hihihi!"
Plumps, fitzt ihm ein Wurstzipfel in der Kehle zum Ersticken,
Todesangst grinst aus seinen gequollenen Blicken.

Zch klopf ihm den Buckel als barmherziger Samariter
Und erhalt ihn am Leben: „Herr, die Pille war bitter!

Kommt, erholt Euch, will Euch erzählen ein vergnüglich

Histörchen.

Sitzet nur still, edler Meyer, und steift Eure Gehrchen.
war jüngst im Schwabenland, am Bodamikus, dem

schwäbischen Meere',

Sah Wundersames: Ein Demokratenheer, zu maritimer Lehre
Und Uebung begeistert versammelt, eine Schlachtenflotte
Kolossal, geweiht dem alleröbersten, dem schwäbischen Kriegs-
und Friedensgotte.

weltpolitik und Seegewalt! Aber nur für Demokraten in

Schwaben,

Kein ander Menschenkind soll .von der neuesten Glorie haben.
Das schwäbische Meer glitzernd von maritimen Demokraten-

Zdealen.

Nur ach, der Generalissimus zu Wasser ist nicht gemacht zum

prahlen,

Seekrank stets und niemals wogentüchtig auf den Beinen —
Man durchforscht das ganze Land und findet keinen Bessern,

keinen I

wie wär's, Herr Meyer, Zhr ließt Euch in Schwaben natura-

listren?

Uebernehmt das Kommando! vor nichts Euch zu geniren
Zst Eure Art, das wässerige Element zu zwingen
Zst Euch gelungen in den gelehrtesten Dingen.

Admiralisstmus Meyer! — gewaltiger Titel!

Als Kunst-Waffer-Schwabe von Vierzig habt Zhr zu allem die

Mittel!

Das schwäbische Meer, von R. M. Meyer gemeistert,

Machte ganz Deutschland, auch's verhockteste, fürs Weltwasser

begeistert,

Das Uferlose gewönne plötzlich handliche Schranken
Für des deutschen Philisters bängliche Schollen-Gedanken.

Und im Himmel wird's fidel: Zch dicht' eine Flotten-Komödia:
wie am schwäbischen Meer das große Wunder geschah!

Nur sputet Euch, sonst kommt Euch der Professor Duidde zuvor
Und haut Euch mit Demokraten-Talent unversehens übers Dhr."

Mein Meyer glüht. Schlägt erhaben auf Tisch und Pult:
Lilentium! Quidde? Quid est? Quid vult?

War jemals er stärker, als ich Rer Muckel Meyer?

Ein neuer Galigula? Die Konkurrenz bezahlt er mir theuerl"

verduftet ist plötzlich mein Beckmefferlein,

Schnurstracks schwebts auf dem wurstsack zu den Schwaben hinein.

So geschehen allda, im Glöcklein, auf meiner letzten Rast.
Heimat, behüt Gott! Und komm ich wieder zu Gast,

Bist in Herrlichkeit zu Land und Meer gewachsen.

Hast abgethan die letzten gelahrten Possen und Zaren,

Dann steigt Hans Sachs zu Schiff, Dein Weltreich zu schauen,

An germanischer Größe sich zu erfrischen und zu erbauen.

AU rückständig Volk in Parteien, Zünften, Fakultäten
wird feierlich auf die herrliche neudeutsche Flotte gebeten,
Beckmesser, Dozenten, Faselmeier, Rezensenten,

Dekadenzler, Mystiker und Stumpfstnns-Studenten:
wir packen ste auf's Schiff, damit in freien Vzeans-Winden
Sie die wohlthat gründlicher Auslüftung finden,
vergieng auch manch Altes in Rauch und Dunst,

Auf dem Meer erblüht neue Weltheimatskunst.

Und wie im Engern einst herrschte Nürnberger Tand,

Herrscht deutschen Geistes Gewalt über Meere und Land!

?ro copia: Michael Georg Conrad

150
Index
Michael Georg Conrad: Hans Sachsens Weltfahrt
 
Annotationen