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Nr. 12

JUGEND

1900

Schöpfungen kritisch gerecht werden? Nicht we-
niger als 113 Novellen in Prosa nebst 18 „No-
vellen in Versen" haben jene 29 Bände gebracht,
die dramatischen Dichtungen, in einer langen
Serie von Sonderbändchen veröffentlicht, erreichen
einschließlich der Einakter etwa ein halbes Hun-
dert, und zu mancherlei Zerstreutem gesellen sich
unter den: Titel „Gedichte", „Neue Gedichte" und
„Verse aus Italien" drei Bände Lyrik! Und
innerhalb dieser Gattungen welche Mannigfaltig-
keit der Erzeugnisse, welcher Reichthum von To-
llen, welche Gegensätze der Form! Fürwahr, hier
ist ein Poet aufgestanden, dem, um von Schillers
Gedicht „Das Glück" noch einmal Gebrauch zu
machen, „Hermes die Lippen gelöst" hat, der
Nedebegabtesten einer, ein Beherrscher des Worts,
ein Meister in der künstlerischen Ausführung
psychologisch interessanter Seelengemälde, an
Fülle der Erfindung, an blühender Phantasie
eill deutscher Ariost!

Geist, Anmuth, Grazie, Erzählungsgabe, schar-
fer Blick für die Welt, ein warmes Ulld auch am
Humoristischen sich erfreuendes Gemüth — so et-
wa lauten die Ehrentitel, mit denen man Heyse,
den Dichter, zu rühmen pflegt. Daß alles, was
diese verschwenderische Hand ausgestreut hat, von
gleichem künstlerischen Werthe sei, wird kein Ver-
nünftiger erwarten, und ich würde mich einen
Schmeichler schelten zu müssen glauben, wenn ich
die Meinung nicht auszusprechen wagte, daß uns
Paul Heyse psychologisch nicht immer und über-
all ganz überzeugt und daß ihn gerade, die fast
beispiellose formale Gewandtheit, die ihm eigen
ist, zuweilen verleitet, sein Talent einem spielen-
den Zuge der Einbildungskraft zu überlassen oder
an einen Stoff sich zu wagen, der doch mit aller
Kunst nicht recht genießbar gemacht werden kann.
Ob der Glorienschein, der eine weibliche Gestalt
umfließt, den in der Dichtung daneben wandekn-
den Mann mitunter nicht allzu dunkel läßt, ob
Heyse als Dichter, als Künstler für die Erschein-
ung des Weibes nicht mehr Auge hat, als für
die des Mannes, soll hier nicht weiter geprüft
sein, da doch eine Reihe bedeutender und starker
Männer unter seinen Figuren ist und einer der
Sprüche Heyses mit Recht sagt, daß man von
den guten Weibern nicht gut genug denken könne.
Eine gleich starke Begabung für sämmtliche Gat-
tungen der Poesie würde fast den Naturgesetzen
menschlicher Veranlagung widersprechen; wenn
aber Heyse in seinen dramatischen Bestrebungen
nicht immer glücklich war, so ist doch, von an-
deren Erfolgen abgesehen, sein „Hans Lange" ein
dauerndes Besitzthum der deutschen Bühne ge-
worden, so hat er doch in dem Einakter „Ehren-
schulden" ein meisterliches Stück geschaffen, vor-
dem auch der moderne Realismus den Hut ab-
ziehen darf. Der vollere Lorbeer freilich fällt der
Lyrik und der epischen Dichtung Heyses zu. Ich

nenne auf gut Glück die Novellen: L'Arrabbiata,
die Stickerin von Treviso, Andrea Delfin, Siechen-
trost, der Weinhändler von Meran, die ganz in
einen Goldton von Poesie getauchte, unsäglich
rührende Erzählung „Geosfroy und Garcinde"
und das geniale Traumbild „Der letzte Centaur":
es ist ein Siebengestirn, bei dessen Glanz uns
Münchner die Städte Deutschlands beneiden,
weil wir sagen dürfen: Der Schöpfer dieser
Werke ist unser! ^ Richard welrrich

J. Daschner

Da löste sich von dem Wolkenrand,

Drauf sie auf zarten Sohlen stand,

Und schwebte mit lächelnder Geberde
Die heilige Cacilia nieder jux Erde.

Und ihr Flügelfchlag streift die Paare im

Schweben

Und löst ihre Lippen und macht sie erbeben,
Und ihre Seelen wachsen empor
Und einen sich jubelnd zu einem Chor:
Und über der Felder träumendes Schweigen
Llang glücklich ihr klingender Abendreigen.

Hugo Salus

Auf dem Janiculus

wo liebcub sich zur Stabt die Hügel neigen,
Und mit Palästen sich die Gärten gatten,
Da find' ich das ersehnte Ziel in: Schatten:
Ein Lorbeer winkt mit wunderkühlen Zweigen.

Nicht höher wollen meine wünsche steigen,
Die Leidenschaften und die nimmersatteil
Begierde,: fühl' ich selig hier ermatten,

Und de; ve.'worrnen Lebens Stimmen schweigen.

vergessen ist, was Alles mir mißlungen,

Und lächelnd weih' ich ewigen: verderben
Auch dieses letzte Lied, das ich gesungen...

Ist dies der Tod? Und soll ich hier erwerben
Den Aranz, nach dem ich stets umsonst gerungen ?
Soll ich in: Schatten dieses Lorbeers sterben?

Ein Zittern geht durch meines Lorbeers Arone,
2h\s tiefem Sinnen fahr' ich auf erschrocken,
Zn Mittag läuten plötzlich alle Glocken,
Und von der Engelsburg kracht die Aanone.

Den Träumer mahnt das Leben recht zun: Hohne,
Hinunter in die Stadt ihn will es locken...
Es wallt mein Blut, das schon begann

zu stocken,

Und nieder steig' ich von: erhab'nen Throne.

Den Aufschub meines Tod's muß ich beklagen —
was thu' ich, der Unsterblichkeit zum Preise?
Es schweigt das Herz, doch redet laut derMagen;

Er legt mir nah in unzweideut'ger weise
Die wichtigste der wicht'gen Schicksalsfragen:
Bei wem ich heute Maecaroni speise?

Max Ralbcck

Der Ubendrcigen

(^uphorion

Da nun der Tag in die Weiten ging,

Und ein milder Abend sie umfing,

Und rot!) die Gipfel der Werge erglühten
Und die ersten Sterntein am Himmel

erblühten:

Da mar den schlichten Liebespaaren,

Als hätten sie nie einen Abend erfahren,
Ihnen war, sie wußten selbst nicht, wie.
Die rauhen Hände falteten sie,

Als wollten sie just in die -Kirche treten:
-Faßt uns zur Mutter Gottes beten!"

Als Lolches die Mutter Gottes ersah,
Sprach sie mild zur heiligen Cäcilia:

„Die Paare da unten, sie irren sich,

Sie rufen mich und meinen dich.

Sie wissen nur nicht, wie ihnen geschehn,
Seit sie in den träumenden Abend gehn,
Das; ihnen die Herzen so feierlich schlagen.
Du sollst ihnen deine Wunder sagen!"

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Index
Max Kalbeck: Auf dem Janiculus
Fritz Erler: Vignette
Joseph Daschner: Euphorion
Hugo Salus: Der Abendreigen
 
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