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1900

JUGEND

Nr. 13

ehrenhaftesten Handlungen seines Lebens auf-
wies; zum Dank für die Summen, die er zur
Dollendung von Santa-Maria. Novella gespendet,
war im Chor dieser Kirche sein Bildniß auf-
gehängt. Hier sah man ihn, wie er mit gefalteten
Händen zu Füßen der hochheiligen Jungfrau
kniete. Man kannte ihn an seiner rothwollenen
Mütze, seinem pelzverbrämten wamms, an
seinem von gelbem Fett strotzenden Gesicht und
den lebhaften kleinen Aeugelchen. — Auf der
andern Seite des Altars stand, in der demüthi-
gen Haltung einer Betenden,, seine gute Ehefrau,
mit ehrbarer, trübseliger Miene und so, daß
kaum jemand annehmen konnte, es hätte jemals
ein Mensch Angenehmes von ihr empfangen.

— Dieser Mann gehörte zu beit ersten
Bürgern der Republik, dieweil er nie gegen
die Gesetze redete und sich nicht um die Armen
noch um Jene kümmerte, welche die Mächtigen
des Tages zu Geldbußen und Verbannung ver-
urtheilten. Nichts hatte nach Ansicht der Stadt-
väter die Achtung verringert, die er sich in ihren
Augen durch seinen Reichthum erworben. —

Als er, an einem Winterabend, später als
gewöhnlich heimkehrte, wurde er an der Schwelle
seines Palastes von einem Schwarm halb-
nackter Bettler umringt, die ihm die Hände
entgegenstreckten.

Tr stieß sie mit harten Worten zurück.
Doch der Hunger machte sie ungestüm und
frech wie Wölfe. Sie bildeten einen Kreis
um ihn und verlangten mit flehenden, rauhen
Stimmen Brot. — Schon bückte er sich, um
Steine aufzuheben und unter sie zu schleudern,
als er einen seiner Diener kommen sah, der
einen Korb voll schwarzer Brote, die für die
Leute im Stall, in der Küche und den Gärten
bestimmt waren, auf dem Kopfe trug. —

Er winkte den Bäcker heran und, mit beiden
Händen in den Korb greifend, warf er die
Brote den Unglücklichen hin. — Dann trat
er in sein Haus, ging zu Bett und schlief
ein. Im Traum wurde er vom Schlage ge-
troffen und starb so plötzlich, daß er sich noch
in seinem Bette wähnte, als er, an einem
Mrte „baar jeglichen Lichts" den heiligen
Michael erblickte, vom Glanze umstrahlt, der
von seinem Körper ausging.

Der Erzengel, die wage in der Hand, war
damit beschäftigt, die Schalen zu füllen.

Als Nicolaus Nerli auf der schwerer be-
ladenen Seite die Kleinodien der Wittwen,
die er als Pfand zurückbehalten, die Menge
der Thaler, die er sich widerrechtlich ange-
eignet, erkannte, sowie gewisse sehr schöne
Goldmünzen, die er allein besaß, da er sie
durch Wucher oder durch Betrug an sich ge-
bracht, merkte er, daß es sein nunmehr voll-
endetes Leben, war, was der heilige Michael
hier vor ihm abwog. Er wurde aufmerksam
und unruhig.

„Messer San Michele," sagte er, „wenn Du
auf die eine Seite sämmtlichen Gewinn, den
ich in meinem Leben gemacht, legen willst,
so thue, bitte, auf die andere die schönen
Stiftungen, durch welche ich meine Frömmig-
keit so glänzend bethätigt. Vergiß weder den
Dom von Santa Maria Novella, zu welchem
ich ein gutes Drittel beigetragen, noch das
Spital vor den Stadtmauern, das ich ganz
ans eigenen Mitteln erbaut."

„Sei ohne Sorge," erwiderte der Erzengel,
„ich werde nichts vergessen."

Und seine lichtstrahlenden Hände legten in die
leichtere Schale den Dom von Santa Maria No-
vella und das Spital mit seinem verzierten, be-
malten Fries. Doch die Schale senkte sich nicht.

Der Bankier empfand große Unruhe darüber.

„Messer San Michele," begann er von
Neuem, „suche weiter, bitte. Du hast auf
diese Seite der wage weder meinen schönen
Weihkessel für San Giovanni, noch die Kanzel
in Sant Andrea, auf welcher die Taufe unseres
Herrn Jesus Ehristus in Lebensgröße dar-
gestellt ist, gethan. Das ist eine Arbeit, die
mich schweres Geld gekostet hat." Der Erz-'
engel legte die Kanzel und den Weihkessel zu
dem Spital in die Schale, doch sie senkte sich
nicht. Nicolaus Nerli fühlte, wie seine Stirne
sich mit kaltem Schweiß zu bedecken begann.

„Messer Erzengel," fragteer, „bist Du sicher,
daß es mit Deiner wage seine volle Richtig-
keit hat?"

Lächelnd erwiderte San Michele, daß sie, wenn
gleich sie nach dem Muster der wagen, wie sie
bei den Pfandleihern von Paris und den Geld-
wechslern von Venedig im Gebrauch, gemacht
sei, dennoch über volle Genauigkeit verfüge.

„wie?" stöhnte Nicolaus Nerli leichenblaß,
„dieser Dom, diese Kanzel, dieser Kessel, dieses
Spital mit all seinen Betten, wiegen dem-
nach nicht mehr als ein Strohhalm , als ein
Federflaum?"

„Du siehst, Nicolaus Nerli," sagte der Erz-
engel, „bis jetzt übersteigt die Schwere Deiner
Missethaten die leichte Last Deiner guten Werke
um Vieles."

„So werde ich also zur Hölle fahren," sagte
d^r Florentiner und seine Zähne klapperten
vor Entsetzen.

„Geduld, Nicolaus," entgegnete der himm-
lische Wäger, „Geduld, noch sind wir nicht
fertig. Dies hier bleibt uns!"

Und der heilige Michael ergriff die schwarzen
Brote, die der Reiche am Abend vorher den
Armen zugeworfen. Er legte sie in die Schale
der guten Werke, diese senkte sich plötzlich,
während die andere emporstieg, und die beiden
Schalen standen in gleicher Höhe. Das wag-
scheit neigte sich weder nach links noch nach
rechts und das Zünglein zeigte völlige Gleich-
heit der beiden Gewichte.

Der Bankier wollte seinen Augen kaum
trauen.

Der Erzengel sagte zu ihm:

„Du siehst Nicolaus Nerli, Du taugst weder
für den Himmel noch für die Hölle. Geh',
kehre nach Florenz zurück, vermehre in Deiner
Stadt die Brote, die Du Nachts, ohne daß
Dich Jemand gesehen, mit eigener Hand ge-
geben und Du bist gerettet. Denn der Him-
mel öffnet sich nicht nur dem Schächer, der
bereut, und der Gefallenen, die trauert. Die
Barmherzigkeit Gottes ist grenzenlos, sie ver-
mag selbst einen Reichen zu retten. Sei Du
dieser Reiche. Vermehre die Zahl der Brote,
deren Gewicht Du hier in meiner wage siehst.
Geh' hin."

Nicolaus Nerli erwachte in seinem Bette.
Er beschloß, den Rath des Erzengels zu be-
folgen und das Brot der Armen zu vermehren,
um in das himmlische Königreich einzugehen.

während der drei Jahre, die er noch auf
Erden zubrachte, war er barmherzig gegen die
Armen und spendete viele Almosen.

Deutsch von Hans Jürgens

22!
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