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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 16 (16. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0276

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Nr. 16

JUGEND


1900

Julius Diez (München)

bestürzt: „Ja, wo sind wir. Ich sehe soeben,
daß wir die falsche Route genommen haben.
Diese unglaublichen Verhältnisse hier, wo Nie-
mand einem Rede und Antwort steht. Wir sind
in Petrikau. — Erst morgen früh werden wir
können die richtige Route von hier aus auf-
nehmen."

Nanitschka war zu verschlafen, oder von den
Eindrücken des Tages zu betäubt, um sonderlich
an der anscheinenden Bestürzung ihres Beglei-
ters theilzunehmen. „Aber wo sollen wir die
Zeit bis zum Morgen hinbringen?" loandte sie
ein. Sie zitterte vor Frost und Schlaftrunkenheit.
Und Pan Regenstein sagte achselzuckend: „Ja,
wo? — In dieser elenden Baracke von Stations-
gebäude dürften wir erfrieren. _ Wir können
meine Wohnung aufsuchen. Das ist das Einzige,
was uns bleibt."

Nania erwiderte nichts. Ihr war im Moment
außer dem Gedanken an ein warmes Bett so
ziemlich alles egal in der Welt. Ihr Köpfchen
war wie ausgefroren. „Also gehen wir, gehen
wir," sagte sie. Und schlaftrunken pendelte sie
neben ihrem Begleiter durch die stillen und dunk-
len Straßen.

„Wie finster es hier ist," sagte sie, indem sie
zuweilen an Häusermauern oder Prellsteine stieß:
und Pan Regenstein, der sie fester faßte, um sie
besser zu führen, entgegnete vergnügt:

„Ja, eine echte polnische Nacht."

Sie kamen in ein Haus, und gingen eine
Treppe hinauf, und Pan Regenstein machte Licht.
Sie waren in einem hübschen, großen Zimmer,
das voll Bilder und niedlicher Sachen hing,
mit einem Sopha aus grünem Plüsch und liefen
Armsesseln aus gleichfalls grünem Plüsch.

Hinter einer spanischen Wand, die mit
Dainenporträls aus illustrirten Zeit-
schriften beklebt war, lugte ein weißge-
deckles Bett hervor, und Nania sagte, vor
Wohligkeit und wiederkehrender Wärme
erschauernd:

„Könnte man hier schlafen?"

„Das können Sie, Fräulein," rief Pan
Regenstein, dem das Herz bis zum Halse
schlug. „Aber Sie?" bemerkte Nania mit-
leidsvoll. „Ich, — o, was mich betrifft,
ich schlafe nicht. Ich mache es mir hier
im Sessel bequem. Es sind ja nur noch
wenige Stunden bis zum Morgen."

Sie trat schüchtern an das Bett, und
setzte sich ein wenig darauf. „Ziehen Sie
sich den Beltschirm vor, und machen Sie
sich's bequem!" rief Pan Regenstein mit
heiserer Stimme, indem er wie gelähmt
in seinem Sessel sitzen blieb. Aber sie
entgegnete zurück: „Mir ist es ganz be-
quem. Ich schlafe s o. — Nur wenn Sie
mir das Reisetäschchen einmal reichen
wollten." Er stand auf und reichte es
ihr über die spanische Wand hinweg,
während er etwas von ihrer Hand zu
erhaschen suchte. Allein es gelang ihm
nicht, sie hatte den Versuch gar nicht
bemerkt. „Gute Nacht," flüsterte sie, „und
setzen Sie sich, bitte, nieder."

Und als er saß, und in das gelbe
Licht der großen Tischlampe starrte, als

brüte und sinne er über die nächsten Minuten
nach, wurde es hinter dem Bettschirm ruhig.
Nur einen Moment lang noch ein Knistern von
Papier, als würde ein Gegenstand enthüllt oder
ausgepackt Dann wurde die Reisetasche wieder
auf die Erde niedergesetzt, und es ward ganz still.

Pan Regenstein erhob sich, im Schlund klopfte
ihm das Blut wie mit Hammerschlägen; auf
den Zehen schlich er zum Bett und schob den
Wandschirm zurück.

Da lag die kleine Mamsell, in ihrem engen,
festgeschnürten, schwarzen Kleidchen, in tiefem
Schlaf. Auf ihrer Brust, von einer ihrer Hände
fest umschlossen, ruhte ein Bild; in einem Rahmen
aus Laubsägearbeit: Ein kleiner Gymnasiast oder
Realschüler, in einer rotgoldenen Schülermütze,
mit engem Confirmandenröckchen und einem
unaussprechlich weiten Stehkragen — ein Herrchen
von denen, wie sie sich als Freischüler in ent-
wachsenen Anzügen und wehmüthiger Pracht
auf allen Gymnasien der Kreisstadt berumdrücken.
— Der Bauunternehmer kannte diesen Typus
gut. Hatte er doch einst selbst zu sthm gehört.
Er sah das Bild an, die engen Beinkleider, den
so fabelhaft weiten Kragen — den ganzen hoff-
nungsvollen, aus den Kleidern gewachsenen
Musensohn, der da am Thor zu so viel Selig-
keiten ruhte — und er legte das Bild an seinen
warmen Platz zurück. Er war kein Kostverächter,
nein, zum Teufel! Aber ein Räuber war er
schon lange nicht.

Und er suchte seinen Sessel wieder auf. Dort
saß er, bis der weiße Morgen dämmerte.-

Elsbeth Meyer-Förster.

Kulturhistorische

Entdeckungen der „Jugend"

Bergfex bei den Hebräern

Jerem. 3, 6: Israel ging auf alle bobeil
Berge.

Ein verbummelter Jurist

^ Suffolk in Shakesp. Reinr. VI. I, 2,
„Traun, ich warMüssiggänger in den Rechten."

Achill ein Jude

und noch dazu ein sehr frommer. Dies geht
aus Corner (Ilias XVI. 223) deutlich hervor:
zö fa tot’ öx Xaßiov . .

Tine Thora nahm er darauf aus seiner
Riste.

Hiob — ein Ultramontaner

Denn er sagt selbst (50, 23):

„Ich gehe schwarz einher."

Duell bei den Hebräern

Abduxit Abnerum Joab (2 Rön. z, 27)
Ioab führte den Abner ab.

QO

Gretcben am fabrrad

(Jur jerchnunz von Ä. Jank)

Meine £uft ist hin,

Mein Reif ist leer,

Jch fälle ihn nimmer
Und nimmermehr.

Sin Rundebiss
Jhn mir zerriss,

Jetzt hängt er schlapp
Huf's Rad herab.

Meine schone fahrt
Jst nun vorbei,

Mein armes Rad
Jst mir entzwei.

Dach ihm nur schau ich
traurig aus,

Mie komme ich heute
Hur nach Raus?

Sein leichter Gang,

Seiner felgen Meiss,

Seines Baues Schönheit
Und. ach, sein Preis!

Meine Rache drängt
Zu dem Köter hin.

Hch, dürft* ich fassen
Und halten ihn!

Und prügeln ihn.

So wie ich wollt',

Der Köter kein Rad mehr
Zerbeissen sollt!

Kory Towska

272
Index
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Gretchen am Fahrrad"
Kory Towska: Gretchen am Fahrrad
[nicht signierter Beitrag]: Kulturhistorische Entdeckungen der "Jugend"
 
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