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1900

JUGEND

Nr. 16

Reine Anglomanie

Neulich wurde ich nachdenklich darüber, daß durch
meine Veröffentlichungen über die Engländer in der „Jugend"
ein Zug ungewohnter Schärfe gehe. Ich mußte daran denken,
wie ein Amtsvorfahre von mir sich den Ruf großen Ansehens
dadurch verschaffte, daß er nie eine bestimmte Meinung
äußerte; so konnte man auch eine solche nie anfechten. Von
dieser Gattung bin ich nicht. Der Kundgabe einer Meinung
und damit der Möglichkeit eines Jrrthums bin ich nie aus
dem Wege gegangen. Und so vermag ich es auch nicht zu
ändern, daß ich durch meine Ansichten über den - Streit
zwischen Buren und Engländern manch Einem Anstoß gebe.
Vor der Magna Charta, der petition of right, der Habeas-
Corpns-Akte und der Bill and declaration of rights and
liberties of subjects habe ich, wenn ich auch der Meinung
bin, daß die Engländer all das nicht den Festländern, sondern
sich selbst zu Liebe erfunden haben, die größte Hochachtung.
Das hindert mich aber nicht an der Ueberzeugung, daß jene
stolzen Wächter der Freiheit sich zur Zeit nicht als solche,
sondern als Beschützer nationaler Gaunerei bethätigen. Was
helfen die stolzesten Erinnerungen gegenüber einer Haltung
in der Gegenwart, die ich verwerfen muß? Den Widerspruch
zwischen einem Eeeil Rhodes und dem Verfasser der Junius-
briefe empfinde ich bitter genug. Ich finde einen großen Unter-
schied zwischen dem, was man aus Thomas Buckle und von
Jameson lernt. Aber bin ich daran schuldig? Hätten die
Amerikaner ihre Freiheit bei Seite legen sollen wegen der
glorreichen Vergangenheit der Engländer? Und wenn nicht,
warum die Holländer, warum wir Deutsche? Wir waren
lange genug so „unbefangen", fremde Größe kritiklos zu be-
wundern. Jetzt sind wir Gott sei Dank so weit, nur nach
dem zu fragen, was uns selbst gemäß ist, und Niemand
braucht zu erröthen, gleich mir zu gestehen, daß, wer deutsche
Interessen vergewaltigt, den Deutschen als seinen Feind findet.
Früher war den Leuten das gleickgiltig; jetzt sind wir.keine
quantitö n^gligeable mehr, und mehr und mehr fühlt man,
daß es zweckmäßiger ist, mit uns gut zu stehen. Hole der
Kuckuck eure Habeas-Corpns-Akte! Sie mag recht gut für
euch sein. Aber laßt die Hände von fremdem Gut und von
unserem insbesondere. Merkt euch, daß das Deutsche Reich
keine Großmutter hat. Hands oh! liebe Vettern, wir können
sehr ungemüthlich sein. Und unsere gefühlvollsten Jünglinge
kennen den Vers aus Homer:

Kommen wird einst der Tag, wo die heilige Jlios hinsinkt.

München, 27. HI. 1900. Max v. Seydel

ErMUthigttNg Ludwig HoJilwein

Er: Und warum wollen Sie mir keinen Kuß geben?
Sie: Mein Gott, ich habe noch nie einen Mann geküßt.
Er: Ich schwöre es Ihnen: ich auch nicht.

Neues Merkspriichlein

für Künstler und Schriftsteller

„Greift nur hinein in's volle Menschenleben
Und wo ihr's packt, da isss interessant" —
Doch muß sein „licet" erst der Pfaffe geben,
Sonst heißt es gleich: „Der Jude wird verbrannt!'

m

Me sich Fräu-
lein Lisa einen
„Patent-Anwalt vorsteUt.

Rlassisckes Zeugnis

Zum Lterschbeschaugcsetz

8ie confirmo, fhac lege Agraria dari
vobis nihil, condonari certis hominibus
omnia, privatorum pecunias augeri, publi-
cas exhauriri. (Cic. de leg. agr.)

(So behaupte ich, durch dieses Agrarier-
gesetz wird euch nichts gegeben, einer be-
stimmten Menschenklasse aber alles; wird
das Vermögen einiger vermehrt, das all-
gemeine aber erschöpft.)

Erblich belastet

Der kleine Fritz (zu seinem Vater, der
soeben ein Drama vollendet hat): „Du, Papa,
ich mache jetzt auch ein Stück, der Theater-
zettel ist schon fertig."

Aus einem Gchulaufsarz

In wunderbarer weise hat Sophokles gleich
in den ersten Worten der „Antigone" den
Paß zwischen Ismene und ihrer unbeugsamen,
etwas harten Schwester zum Ausdruck gebracht,
denn Antigone fährt Ismene hart an:

„G Du gemeines, (xo:vög), schwester-
liches Paupt Ismene!"

(Soph. Ant. Akt. I. Seme I)

Verzeihlich

Frau des pauses (zum Dienstmädchen):
„Anna, warum grüßen Sie denn meinen Sohn
nicht, wenn Sie ihn auf der Straße sehn?"

„Ach, entschuldigen Sie nur, gnädige Frau,
da muß ich den jungen Herrn nicht erkannt
haben. Zu Pause seh' ich ihn doch blos mit
der Bartbinde."

Die -Bestie in: Menschen

Sie (beim Zeitungslesen): „Schot: wieder
ein Artikel: ,Die Bestie im Menschen ll was
ist das denn eigentlich?"

Er: „Jedenfalls der Bandwurm!"

Uebers etzungskunst

Officium vestrum est, pueri, libros amare.

Euere Pflicht ist es, o Knaben, frei zu lieben.

P. Rieth
Index
Max v. Seydel: Keine Anglomanie
[nicht signierter Beitrag]: Klassisches Zeugnis
[nicht signierter Beitrag]: Aus einem Schulaufsatz
[nicht signierter Beitrag]: Übersetzungskunst
Paul Rieth: Patent-Anwalt
Ludwig Hohlwein: Ermuthigung
[nicht signierter Beitrag]: Verzeihlich
[nicht signierter Beitrag]: Die Bestie im Menschen
 
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