Nr, 17
. JUGEND .
1900
Gott im Himmel machte
r) vor der Tafel seine gewohnte
Runde und hatte für jede der neu
angekommenen Seelen ein gutes wo^t.
Und huldvoll nahm er die Gaben ent-
gegen, die sie von der Erde mitgebracht.
Dichter legten ihm ihre Werke zu Füßen,
Helden ihren Lorbeer, Menschenfreunde den
Segen der Armen, Mütter die Liebe ihrer Rinder.
Er nahm Alles freundlich an und nickte dazu
und ein Eherub war neben ihm, der trug's auf
goldenem Teller weg in die Schatzkammer des
Himmels. Und die Seelen waren glücklich!
Da kam das dumme, kleine, graue Seelchen
dran, das hatte in der Hand nichts, als fein Herz;
ein funkelnagelneues, noch unbenutztes Herz.
„was hast Du denn da?" fragte der liebe
Gott —
„Mein Herz!" sagte das dumme graue
Seelchen.
„Das sieht ja aus, wie aus dem Ei — es
kann ja kaum noch ordentlich geschlagen haben?"
„Als es zu schlagen anfangen wollte, lieber
Gott, da ließ ich die Welt mit ihren Freuden
und Gefahren hinter mir und flüchtete hinter
hohe Rlostermauern, über die ich nie wieder
hinaus sah und hinaus kam. So habe ich das
Herz rein und gut erhalten, Dir zu Ehren —
und da ist es nun!"
Das dumme Seelchen machte einen Rnix,
der ein wenig linkisch war, und ein Gesicht,
welches vor Stolz strahlte, wie das Gesicht eines
Rindes, das für seine Bravheit einen Ruß be-
kommen soll von der Mama. Dachte doch gar
nicht anders, das Seelchen, als daß der Herr-
gott vor Bewunderung außer sich sein und ihm
einen Ehrenplatz anweisen werde und ein paar
extragroße Eherubflügel schenken.
Aber es kam anders. Der liebe Gott machte
ein so böses Gesicht, als Er nur konnte, und
gab das Herz dem grauen Seelchen zurück. —
„Ich weiß nicht, was ich damit anfangen
soll!" sagte Er.
Mit blutrothem Ropfe schlich Jenes in eine
Ecke und konnte sich vor Weh gar nicht fassen,
daß der liebe Gott sein Herz verschmäht.
Der Eercle dauerte fort und der liebe Gott
empfing in Huld seine Gaben weiter. Auch
Herzen waren darunter, zerrissene und zertretene,
durchbohrte und gespaltene Menschenherzen.
Reins davon war so blank und rein, wie jenes,
das der Herr so streng zurückgewiesen. Und
doch nahm er alle die Herzen an. Immer
bitterlicher weinte die arme, getäuschte Seele-
Inzwischen war die Tour zu Ende und
man setzte sich zu Tisch, an eine glänzende
Tafel, voll Pracht und Herrlichkeit und guter
Sachen. Alle schritten zur Tafel hin, nur die
kleine graue Seele stand noch schluchzend in
der Ecke!
„Du!" rief der liebe Gott . . .
Zitternd kam's heran und als der Schöpfer
in des dummen Dings verweinte Augen sah,
wurde seine Stimme sanfter:
„Schau, schau!" sagte Er, „wie das be-
leidigt thut, weil ich sein albernes Herzlein
nicht angenommen! Gelt, das thut weh, wenn
Einem solch ein gut gemeintes Präsent zurück-
gewiesen wird! Und nun denk' einmal: Da
Hab' ich Dir eine Welt geschenkt, mein bestes
Stück Arbeit, so groß und herrlich und bunt,
daß meinen Engeln selber die Augen glänzen,
wenn sie hinunterschauen. Und Du hast sie
nicht einmal angesehen, diese Welt! Und ich
habe Dir ein Leben geschenkt, das wie ein
Garten voll Duft und Blüthen in Süßigkeit
vor Dir lag — und Du hast es
verschmäht, dies Leben, und hast
Deine Tage hinter öden Mauern ver-
dämmert -
„Ich habe geglaubt, daß es Dir
Freude macht," schluchzte das dumme
kleine Seelchen —
„Da mußt Du mich für einen curiosen
Herrn halten, Du thörichtes Wesen! Aber ich
will gnädig sein und die Beleidigung verzeihen.
Setze Dich dort unten hin an die Tafel der
himmlischen Freuden, und lass' Dir's schmecken
und sieh' vor Allem, daß Du rothe Backen
kriegst; siehst ja aus, wie die theure Zeit!"
Das kleine Seelchen küßte dem Herrn die
Hand und schluckte die letzten Thränen hinunter.
Dann schlich es an seinen Platz.
Die Andern waren schon beim Fisch. Aber
die Muttergottes winkte einem Engel, damit
das arme Seelchen noch gute, heiße Suppe be-
käme. Und es tauchte den goldenen Löffel tiet
hinein-
Es war Gerichtstag drüben in der Ewig-
keit. Die Seele eines furchtbaren Verbrechers
wurde vor die Richter geführt, eines Frevlers,
vor dem ein Land gezittert hatte, eines Ver-
worfenen, dem nichts heilig war, der Böses
gethan, ohne Maß, um des Bösen willen.
Asrael, der düstere Engel, hatte das Amt
der Anklage. That um That des Unseligen
ward an's Licht gezogen, Zoll um Zoll senkte
sich die Schale seiner Schuld.
Und die Schale der Gnade blieb leer.
Reine gute That, kein reines Empfinden
keine Spur eines Verlangens nach dem Bessern
konnte aufgewiesen werden zu seinen Gunsten.
2^4
. JUGEND .
1900
Gott im Himmel machte
r) vor der Tafel seine gewohnte
Runde und hatte für jede der neu
angekommenen Seelen ein gutes wo^t.
Und huldvoll nahm er die Gaben ent-
gegen, die sie von der Erde mitgebracht.
Dichter legten ihm ihre Werke zu Füßen,
Helden ihren Lorbeer, Menschenfreunde den
Segen der Armen, Mütter die Liebe ihrer Rinder.
Er nahm Alles freundlich an und nickte dazu
und ein Eherub war neben ihm, der trug's auf
goldenem Teller weg in die Schatzkammer des
Himmels. Und die Seelen waren glücklich!
Da kam das dumme, kleine, graue Seelchen
dran, das hatte in der Hand nichts, als fein Herz;
ein funkelnagelneues, noch unbenutztes Herz.
„was hast Du denn da?" fragte der liebe
Gott —
„Mein Herz!" sagte das dumme graue
Seelchen.
„Das sieht ja aus, wie aus dem Ei — es
kann ja kaum noch ordentlich geschlagen haben?"
„Als es zu schlagen anfangen wollte, lieber
Gott, da ließ ich die Welt mit ihren Freuden
und Gefahren hinter mir und flüchtete hinter
hohe Rlostermauern, über die ich nie wieder
hinaus sah und hinaus kam. So habe ich das
Herz rein und gut erhalten, Dir zu Ehren —
und da ist es nun!"
Das dumme Seelchen machte einen Rnix,
der ein wenig linkisch war, und ein Gesicht,
welches vor Stolz strahlte, wie das Gesicht eines
Rindes, das für seine Bravheit einen Ruß be-
kommen soll von der Mama. Dachte doch gar
nicht anders, das Seelchen, als daß der Herr-
gott vor Bewunderung außer sich sein und ihm
einen Ehrenplatz anweisen werde und ein paar
extragroße Eherubflügel schenken.
Aber es kam anders. Der liebe Gott machte
ein so böses Gesicht, als Er nur konnte, und
gab das Herz dem grauen Seelchen zurück. —
„Ich weiß nicht, was ich damit anfangen
soll!" sagte Er.
Mit blutrothem Ropfe schlich Jenes in eine
Ecke und konnte sich vor Weh gar nicht fassen,
daß der liebe Gott sein Herz verschmäht.
Der Eercle dauerte fort und der liebe Gott
empfing in Huld seine Gaben weiter. Auch
Herzen waren darunter, zerrissene und zertretene,
durchbohrte und gespaltene Menschenherzen.
Reins davon war so blank und rein, wie jenes,
das der Herr so streng zurückgewiesen. Und
doch nahm er alle die Herzen an. Immer
bitterlicher weinte die arme, getäuschte Seele-
Inzwischen war die Tour zu Ende und
man setzte sich zu Tisch, an eine glänzende
Tafel, voll Pracht und Herrlichkeit und guter
Sachen. Alle schritten zur Tafel hin, nur die
kleine graue Seele stand noch schluchzend in
der Ecke!
„Du!" rief der liebe Gott . . .
Zitternd kam's heran und als der Schöpfer
in des dummen Dings verweinte Augen sah,
wurde seine Stimme sanfter:
„Schau, schau!" sagte Er, „wie das be-
leidigt thut, weil ich sein albernes Herzlein
nicht angenommen! Gelt, das thut weh, wenn
Einem solch ein gut gemeintes Präsent zurück-
gewiesen wird! Und nun denk' einmal: Da
Hab' ich Dir eine Welt geschenkt, mein bestes
Stück Arbeit, so groß und herrlich und bunt,
daß meinen Engeln selber die Augen glänzen,
wenn sie hinunterschauen. Und Du hast sie
nicht einmal angesehen, diese Welt! Und ich
habe Dir ein Leben geschenkt, das wie ein
Garten voll Duft und Blüthen in Süßigkeit
vor Dir lag — und Du hast es
verschmäht, dies Leben, und hast
Deine Tage hinter öden Mauern ver-
dämmert -
„Ich habe geglaubt, daß es Dir
Freude macht," schluchzte das dumme
kleine Seelchen —
„Da mußt Du mich für einen curiosen
Herrn halten, Du thörichtes Wesen! Aber ich
will gnädig sein und die Beleidigung verzeihen.
Setze Dich dort unten hin an die Tafel der
himmlischen Freuden, und lass' Dir's schmecken
und sieh' vor Allem, daß Du rothe Backen
kriegst; siehst ja aus, wie die theure Zeit!"
Das kleine Seelchen küßte dem Herrn die
Hand und schluckte die letzten Thränen hinunter.
Dann schlich es an seinen Platz.
Die Andern waren schon beim Fisch. Aber
die Muttergottes winkte einem Engel, damit
das arme Seelchen noch gute, heiße Suppe be-
käme. Und es tauchte den goldenen Löffel tiet
hinein-
Es war Gerichtstag drüben in der Ewig-
keit. Die Seele eines furchtbaren Verbrechers
wurde vor die Richter geführt, eines Frevlers,
vor dem ein Land gezittert hatte, eines Ver-
worfenen, dem nichts heilig war, der Böses
gethan, ohne Maß, um des Bösen willen.
Asrael, der düstere Engel, hatte das Amt
der Anklage. That um That des Unseligen
ward an's Licht gezogen, Zoll um Zoll senkte
sich die Schale seiner Schuld.
Und die Schale der Gnade blieb leer.
Reine gute That, kein reines Empfinden
keine Spur eines Verlangens nach dem Bessern
konnte aufgewiesen werden zu seinen Gunsten.
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