1900
JUGEND
Nr. 20
KeLaxMK öer Kaulheit
Ein Satyrspiel zur Tragödie der Philosophie
Von O. 8.
„Und schreib getrost: am Anfang war die
That!" Aber vergiß nicht die richtige Beton-
ung: am Anfang war die That; denn alle
höhere Entwicklung wird vom Willen zur
Faulheit geleitet. Lassen wir uns nicht von dem
Anschein der Unruhe und Geschäftigkeit blenden,
mit dem die Menschenwelt ihr Innerlichstes
übertäubt, überdeckt, wie das Meer die dunkle
Ruhe seiner Tiefen mit dem Sturm seiner
Wellen! Nichts anderes ist jede Thätigkeit,
als die Brücke zwischen zwei Faulheiten, und
alle Kultur arbeitet, daß sie immer kürzer und
kürzer werde. Denn welchen Sinn und Zweck
hätte das ungeheure Mühen und Schassen des
modernen Menschen, als daß er damit ein um
so tieferes, umfassenderes, heiligeres Faulsein
erringe? Es ist die eigentliche Tragik seiner
Existenz, wenn er, das Ziel überspannend, sich
in einem Unterbau von Mitteln verstrickt, aus
dem er nicht mehr hinausfindesi wenn das
Leben eher zu Ende ist, als die Vorbereitungen
für seinen definitiven Werth. Aber grade dies
zeigt, daß die Faulheit das Absolute, in sich
allein Ruhende, Selbstgenügsame des Daseins
ist, alle Thätigkeit aber nur relativ, nur Mittel,
über sich hinausweisendes Durchgangsstadium.
Die fleißigste Aktivität ist nichts als eine leere
Form, ein bloßer Weg, sinnlos, wenn nicht an
ihrem Ende die Erlösung von ihr winkte. Ein
griechischer Philosoph hat behauptet, daß es
zu den Bewegungen der Welt, weil jede von
einer andern, vorhergehenden verursacht wird,
nur gekommen sein kann, wenn es ein letztes
Prinzip gäbe, das, selbst unbewegt, doch alle
Bewegung von sich ausgehen läßt. Jahrtausende
lang hat der innere Widerspruch und die gleich-
zeitige Unumgänglichkeit des „unbewegten Be-
wegers" die Philosophie erregt. In der Faul-
heit haben wir ihn endlich ergriffen; denn sie,
nicht nur unbewegt, sondern die Unbewegtheit
in Substanz, ist doch die Veranlassung unserer
Bewegungen, mit ihrer Vertiefung und der
Sehnsucht nach ihr steigt die Kraft und das
Tempo all unsrer Regsamkeiten.
Nur ein moralistisches Vorurtheil läßt uns
diese „unsichtbare Herrscherin" unseres Thuns
verkennen. Daß man seinem Genius folgt und
nur das thut, wozu man Talent hat, ist nichts
als Faulheit — weil alles andere einem schwerer
siele! Wie schwer wäre es für Rafael gewesen,
eine Symphonie zu schreiben oder Amerika zu
entdecken! Wie schwer für Beethoven oder
Columbus, die sixtinische Madonna zu malen!
Jedes Dasein spitzt sich auf das zu, was ihm
die größte Höhe des Erfolges bei der größten,
damit vereinbaren Faulheit gewährt. Grade
das Genie macht es sich am bequemsten, es
geht immer den Weg, der ihm der selbst-
verständliche ist, auf das ängstlichste pflegen
mathematische Genies künstlerische Bemühungen
zu vermeiden, parlamentarische Genies intellek-
tuelle Betätigungen, Feinschmeckergenies die
Leistungen des Asketenthums — warum? Doch
nur, weil sie ihnen unbequem sind! Als Genie
preisen wir den, dem die Natur die sichersten
Instinkte, die wirksamsten Kräfte mitgegeben
hat, um mit dem Maximum von Faulheit das
Maximum von Erfolg zu gewinnen: der CultuS
des Gentes ist der CultuS der Faulheit!
Weil man sie nicht in ihrer Tiefe erfaßt
hat, verhüllt sich ihre Bedeutung in so ver-
schämte Ausdrücke wie: Prinzip der Krafter-
sparniß — auf das eingestandenermaßen die
höchsten Errungenschaften des Menschengeistes
zurückzuführen sind. Mit der Erkenntniß der
Naturgesetze glauben wir die ganze Vielheit der
Ereignisse in höchster Verdichtung und Ver-
geistigung zu besitzen, durch das Naturgesetz
beherrschen wir gleichsam ihre Seele und sind
der Beobachtung des einzelnen Verlaufes ent-
hoben. Aber das heißt nichts anderes, als daß
wir uns mit dem Gesetz, das die Bewegungen
der Dinge ein für allemal zusammenfaßt, die
Mühe ersparen, den Einzelfall festzustellen;
wären wir nicht so faul, wir hätten niemals
auf die ganze Fülle und Breite des Seins ver-
zichtet, um es in Pillenform zu uns zu nehmen,
hätten uns niemals statt mit der Wirklichkeit
mit ihrer Abstraktion im Naturgesetze begnügt.
Abstraktion ist die sublimirteste, sublimste Faul-
heit. Und die praktische Anwendung unseres
Wissens um die Naturgesetze in der Maschine?
Weshalb in aller Welt arbeiten wir nicht mehr
mit den Händen, sondern kaufen uns die Arbeit
ab, indem wir die eisernen Sklaven, die so oft
unsere Herren werden, zwischen uns und unsere
Bedürfnisse schieben? Das eine große Trieb-
rad, das mit unzähligen Transmissionen alle
Maschinen der Welt treibt, ist — Faulheit; die
Kraft, die sich in all diese Formen umsetzt, ist
die Ersparniß an Kraft, und unser Thun, mit
dem wir die gerühmte Maschinenkultur schaffen,
will nichts als unsere Entlastung vom Thun.
Nicht weniger aber als der Gipfel des prak-
tischen Lebens, ist der des fühlenden zugleich
der Gipfel der Faulheit: das ästhetische Ge-
nießen. Was giebt uns denn im Erleben des
Schönen jene unvergleichliche innere Freiheit,
jenes Jenseits aller Härte und Schwere der
Dinge, jene Windstille und Helligkeit der Seele,
vor der alle Feindseligkeit und Dumpfheit sich
löst, wie Wolken vor der Sonne des Sommer-
mittags? Ist es denn anderes, als daß das
Schöne uns in den Schooß wirft, worauf das
Leben sonst den Preis der Mühsal, des Kampfes,
des Ringens gesetzt hat — uns in den Schooß
wirft mit der holdseligen Miene, mit der an-
muthige Güte den Armen beschenkt, daß er sich
als den Gewährenden, aus Gunst Annehmen-
den fühlen soll? Man hat mit Recht gesagt,
der Reiz des Schönen bestünde in der Leichtig-
keit und Ungehemmtheit des Vorstellungsver-
laufes, den es entfesselt. Der kurze Augenblick
des Genießens wird zu einer ungeheuren Er-
höhung des Lebens durch die Fülle leicht da-
hingleitender Vorstellungen, die die Schwelle
des Bewußtseins wie im Tanze umspielen,
während das Leben sie in Unverträglichkeit und
Reibung auseinanderhält. Im Empfinden des
Schönen haben wir uns das zweckmäßige In-
strument geschaffen, um die Widerstände der
Dinge in der Seele zu überwinden, so daß
uns im Spiel gelingt, woran sonst die ganze
Arbeit uttb Mühe des Lebens gesetzt werden
mich. Es ist der höchste Triumph, den die
„Weeßte, ick Hab' jetzt ooch Nachtdienst R mike
bei mei’m Leitnant." — „Zs er denn krank?- — „Ree. Ick muß aber von
Zeit )u Zeit Nachsehen, ob sich seine Lchnurrbartbinde nich verschoben hat.-
JUGEND
Nr. 20
KeLaxMK öer Kaulheit
Ein Satyrspiel zur Tragödie der Philosophie
Von O. 8.
„Und schreib getrost: am Anfang war die
That!" Aber vergiß nicht die richtige Beton-
ung: am Anfang war die That; denn alle
höhere Entwicklung wird vom Willen zur
Faulheit geleitet. Lassen wir uns nicht von dem
Anschein der Unruhe und Geschäftigkeit blenden,
mit dem die Menschenwelt ihr Innerlichstes
übertäubt, überdeckt, wie das Meer die dunkle
Ruhe seiner Tiefen mit dem Sturm seiner
Wellen! Nichts anderes ist jede Thätigkeit,
als die Brücke zwischen zwei Faulheiten, und
alle Kultur arbeitet, daß sie immer kürzer und
kürzer werde. Denn welchen Sinn und Zweck
hätte das ungeheure Mühen und Schassen des
modernen Menschen, als daß er damit ein um
so tieferes, umfassenderes, heiligeres Faulsein
erringe? Es ist die eigentliche Tragik seiner
Existenz, wenn er, das Ziel überspannend, sich
in einem Unterbau von Mitteln verstrickt, aus
dem er nicht mehr hinausfindesi wenn das
Leben eher zu Ende ist, als die Vorbereitungen
für seinen definitiven Werth. Aber grade dies
zeigt, daß die Faulheit das Absolute, in sich
allein Ruhende, Selbstgenügsame des Daseins
ist, alle Thätigkeit aber nur relativ, nur Mittel,
über sich hinausweisendes Durchgangsstadium.
Die fleißigste Aktivität ist nichts als eine leere
Form, ein bloßer Weg, sinnlos, wenn nicht an
ihrem Ende die Erlösung von ihr winkte. Ein
griechischer Philosoph hat behauptet, daß es
zu den Bewegungen der Welt, weil jede von
einer andern, vorhergehenden verursacht wird,
nur gekommen sein kann, wenn es ein letztes
Prinzip gäbe, das, selbst unbewegt, doch alle
Bewegung von sich ausgehen läßt. Jahrtausende
lang hat der innere Widerspruch und die gleich-
zeitige Unumgänglichkeit des „unbewegten Be-
wegers" die Philosophie erregt. In der Faul-
heit haben wir ihn endlich ergriffen; denn sie,
nicht nur unbewegt, sondern die Unbewegtheit
in Substanz, ist doch die Veranlassung unserer
Bewegungen, mit ihrer Vertiefung und der
Sehnsucht nach ihr steigt die Kraft und das
Tempo all unsrer Regsamkeiten.
Nur ein moralistisches Vorurtheil läßt uns
diese „unsichtbare Herrscherin" unseres Thuns
verkennen. Daß man seinem Genius folgt und
nur das thut, wozu man Talent hat, ist nichts
als Faulheit — weil alles andere einem schwerer
siele! Wie schwer wäre es für Rafael gewesen,
eine Symphonie zu schreiben oder Amerika zu
entdecken! Wie schwer für Beethoven oder
Columbus, die sixtinische Madonna zu malen!
Jedes Dasein spitzt sich auf das zu, was ihm
die größte Höhe des Erfolges bei der größten,
damit vereinbaren Faulheit gewährt. Grade
das Genie macht es sich am bequemsten, es
geht immer den Weg, der ihm der selbst-
verständliche ist, auf das ängstlichste pflegen
mathematische Genies künstlerische Bemühungen
zu vermeiden, parlamentarische Genies intellek-
tuelle Betätigungen, Feinschmeckergenies die
Leistungen des Asketenthums — warum? Doch
nur, weil sie ihnen unbequem sind! Als Genie
preisen wir den, dem die Natur die sichersten
Instinkte, die wirksamsten Kräfte mitgegeben
hat, um mit dem Maximum von Faulheit das
Maximum von Erfolg zu gewinnen: der CultuS
des Gentes ist der CultuS der Faulheit!
Weil man sie nicht in ihrer Tiefe erfaßt
hat, verhüllt sich ihre Bedeutung in so ver-
schämte Ausdrücke wie: Prinzip der Krafter-
sparniß — auf das eingestandenermaßen die
höchsten Errungenschaften des Menschengeistes
zurückzuführen sind. Mit der Erkenntniß der
Naturgesetze glauben wir die ganze Vielheit der
Ereignisse in höchster Verdichtung und Ver-
geistigung zu besitzen, durch das Naturgesetz
beherrschen wir gleichsam ihre Seele und sind
der Beobachtung des einzelnen Verlaufes ent-
hoben. Aber das heißt nichts anderes, als daß
wir uns mit dem Gesetz, das die Bewegungen
der Dinge ein für allemal zusammenfaßt, die
Mühe ersparen, den Einzelfall festzustellen;
wären wir nicht so faul, wir hätten niemals
auf die ganze Fülle und Breite des Seins ver-
zichtet, um es in Pillenform zu uns zu nehmen,
hätten uns niemals statt mit der Wirklichkeit
mit ihrer Abstraktion im Naturgesetze begnügt.
Abstraktion ist die sublimirteste, sublimste Faul-
heit. Und die praktische Anwendung unseres
Wissens um die Naturgesetze in der Maschine?
Weshalb in aller Welt arbeiten wir nicht mehr
mit den Händen, sondern kaufen uns die Arbeit
ab, indem wir die eisernen Sklaven, die so oft
unsere Herren werden, zwischen uns und unsere
Bedürfnisse schieben? Das eine große Trieb-
rad, das mit unzähligen Transmissionen alle
Maschinen der Welt treibt, ist — Faulheit; die
Kraft, die sich in all diese Formen umsetzt, ist
die Ersparniß an Kraft, und unser Thun, mit
dem wir die gerühmte Maschinenkultur schaffen,
will nichts als unsere Entlastung vom Thun.
Nicht weniger aber als der Gipfel des prak-
tischen Lebens, ist der des fühlenden zugleich
der Gipfel der Faulheit: das ästhetische Ge-
nießen. Was giebt uns denn im Erleben des
Schönen jene unvergleichliche innere Freiheit,
jenes Jenseits aller Härte und Schwere der
Dinge, jene Windstille und Helligkeit der Seele,
vor der alle Feindseligkeit und Dumpfheit sich
löst, wie Wolken vor der Sonne des Sommer-
mittags? Ist es denn anderes, als daß das
Schöne uns in den Schooß wirft, worauf das
Leben sonst den Preis der Mühsal, des Kampfes,
des Ringens gesetzt hat — uns in den Schooß
wirft mit der holdseligen Miene, mit der an-
muthige Güte den Armen beschenkt, daß er sich
als den Gewährenden, aus Gunst Annehmen-
den fühlen soll? Man hat mit Recht gesagt,
der Reiz des Schönen bestünde in der Leichtig-
keit und Ungehemmtheit des Vorstellungsver-
laufes, den es entfesselt. Der kurze Augenblick
des Genießens wird zu einer ungeheuren Er-
höhung des Lebens durch die Fülle leicht da-
hingleitender Vorstellungen, die die Schwelle
des Bewußtseins wie im Tanze umspielen,
während das Leben sie in Unverträglichkeit und
Reibung auseinanderhält. Im Empfinden des
Schönen haben wir uns das zweckmäßige In-
strument geschaffen, um die Widerstände der
Dinge in der Seele zu überwinden, so daß
uns im Spiel gelingt, woran sonst die ganze
Arbeit uttb Mühe des Lebens gesetzt werden
mich. Es ist der höchste Triumph, den die
„Weeßte, ick Hab' jetzt ooch Nachtdienst R mike
bei mei’m Leitnant." — „Zs er denn krank?- — „Ree. Ick muß aber von
Zeit )u Zeit Nachsehen, ob sich seine Lchnurrbartbinde nich verschoben hat.-