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Nr. 22

. JUGEND

1900

Max Feldbauer (München)

Der Münchner und der Herrenreiter

Jetzt bo legst Dt nieder! Mit solchene Gesteller woll'n die

an Feldzug mitmach'n, wos net ainol a Lust vertragen können, von dene graue Mäntel will i gar net

Freude

von Amalie Skram

Aber Frau Dorothea wußte besser Bescheid.
Nach diesem letzten furchtbaren Anfall, der jetzt,
tute früher, von ihrem kranken Herzen kam, hatte
sie ein paar ruhige Stunden gehabt; aber sie
fühlte, daß dies nur eine Galgenfrist war.

Nun lag sie da, schmal und weis; im Bette,
die mageren, kleinen Hände über die Blonden
der Decke gefaltet. Im Zimmer nebenan, in das
die Thüre geöffnet stand, fas; die Krankenpflegerin
in einem Schlafstuhl.

Dorothea dachte: wenn ich nur dem entgehen
kann, das; mein Mann hereinkommt und nach
mir sieht und Gutenacht sagt, dann will ich froh
sein. Aber er kommt gewiß. Er glaubt, es ist
seine Pflicht.

Wenn sie aus dem Bette springen könnte
und beide Thüren verschließen? Springen —
sie lächelte bei dem Gedanken. Nein, aber wenn
sie gehen könnte. Sich vorsichtig und stille über
den Boden schleppen. Und überdies — selbst
wenn sie springen könnte, was sie nicht konnte,
so würde ja die Krankenpflegerin augenblicklich
gelaufen kommen. — Ach , aber dieser Nacken,
dieser häßliche, selbstzusriedene Nacken, den sie
ansehen sollte, wenn ihr Mann drinnen gewesen
und ihr Gutenacht gesagt hatte und sich umwen-
dete und wieder ging!

Zu denken, das; ein Mensch, an dem sie ein-
mal so unbeschreiblich gehangen, ihr so zuwider
werden konnte. So, daß sie oft rem unwillkür-
lich jagte: Pfui, wie greulich!

-Dorothea erhob sich mühsam im Bette

und strich das schwere, krause Haar aus den
Schläfen. Sie wollte aufstehen, ihre Fächer und
Laden ordnen und ein paar Worte an ihre
Schwester schreiben.

-Sie schob die Bettdecke fort und versuchte, die
Füße auf den Boden zu setzen. Aber sie konnte
nicht. Stille legte sie sich irüs Bett zurück, wäh-
rend ihre armen, kraftlosen Finger an der Decke
zogen und zerrten.

War sie betrübt, weil sie sterben sollte?

Der Frühling war so lieblich und der Sommer
so schön, und bloß dies, zu athmen und zu leben,

war ihr ein unendliches Glück. Und nun mitten
im Maimonat — diesem Monat der wunder-
vollen, jubelnden, neugeborenen Herrlichkeit des
Jahres!

„Der Tod ist das ärgste von allem," hatte
einmal ein weißhaariger, jugendfreudiger Mann
zu ihr gesagt. Damals hatte sie gelächelt und
gedacht,' daß gerade das schön sein mußte, jung
zu sterben. Doch jetzt — ach, wie viel das Leben
sie gelehrt hatte. —

Dieses, nicht da zu sein — wie war es doch
unergründlich. Viele Ellen unter der Erde zu
liegen in einer vernagelten Kiste und nur Knochen
und übelriechender Staub zu sein.

Aber es gab ja keine Hilfe. Sterben mußten
ja Alle. Alle. Es galt, die Angst vor dem
Tode zu überwinden, sieb vertrauensvoll hin-
zugeben, in der Gewißheit, daß, was auch mit
Einem nach dem Tode geschah, es doch das
Beste war und blieb, das einzige naturgemäß
Mögliche.

Wie glücklich die gläubigen Christen waren!
Sie wußten aufs Haar, wie es ihnen ergehen
würde. Und selbst die, die nicht gläubig waren,
nur Christen, sie hattet: immerhin dies, das; sie
sich im letzten Augenblick einbilden konnten,
gläubig zu sein, und nach Jesus rufen und auf
die Gnade in Christo bauen konnten.

Das vermochte sie nicht. Und darum war sie
so arm und dürftig, so schwach und klein.

Ja, arm und dürftig und schwach und klein.
Aber doch so wunderlich stille und unbekümmert,
ja beinahe froh. Sie hatte in dieser Zeit, da
Kummer und .Krankheit und allerlei Elend un-
aufhaltsam über sie hereinbrachen, oft nichts
Anderes gewußt, als sich auf die Kniee zu
werfen, die gefalteten Hände über ihren Kopf
zu erheben und unter strömenden Tbränen den
Ewigen anzurufen. Oder das Ewige. . Das,
das war und ist und sein wird. Einmal, in
einer solchen Stunde waren ihre Hände auf den
Stuhl hinabgesunken, vor dem sie kniete, und
ihr Nacken hatte sich gebeugt, und der müde Kopf
sich auf den vetschlungenen Händen zur Ruhe
gelegt. Und da, in oiesem Schlummer kurzer
Minuten, hatte sich Friede über sie gesenkt. Sie
hatte ein unendlich großes, lichtblaues Tuch
gesehen, das vom Himmel zur Erde niederhing,
und an das Millionen Menschen sich klammerten.
Manche hielten das Tuch hoch oben, Andere tiefer

unten, und Andere hatten nur die äußerste Kante
mit dem Daumen und Zeigefinger erhascht. Tief
unten, unter dem hellblauen Tuche strahlte und
jubelte und duldete und verzweifelte und ver-
hungerte und verrieth und mordete die Welt
sich selbst.

Da richtete sie sich auf und griff hastig nach
dem äußersten Zipfel des lichtblauen Tuches,
das ihr so nahe war, daß es um ihre Ohren
rauschte. Im selben Augenblick erwachte sie und
versank in Grübelt:. Dankbare Freude erfüllte
ihren Sinn. Denn sie fühlte sich, wie ein anderer
Mensch. Nur wollen, wollen. Der Güte und
Liebe unermeßliches Tuch war ja um alles Erden-
reich gebreitet. Nur darnach greifen, und mau
war gerettet.

Ach, wie gerne wollte sie doch ein paar Worte
an ihre Schwester schreiben, dieses Wesen, das
stets so gut gegen sie war. Sollte sie nicht noch
ein Mal versuchen, aus dem Bette aufzustehen?
Vorsichtig, vorsichtig, dann ging es schon. —
.Kurz darauf stand sie vornübergebeugt, vor
Kraftlosigkeit zitternd, in ihrem langen Nacht-
kleid und suchte in ihrer Schatulle nach Papier.
Aber es war keines da.

Sie konnte ja den Schlafrock umwerfen und
zu ihrem Manne hereingehen. Er saß ja drinnen
im Lesezimmer und rauchte seine Cigarre.

Aber nein, nein — das wäre allzu theuer
erkauft. Wenn sie nur dem entging, ihn noch
zu sehen. Wenn sie nur sterben könnte — da
sie also wirklich sterben mußte — ohne daß er
ihr noch vor die Augen kam, ohne daß er zu
ihr sprach. Sie konnte ja im allerletzten Augen-
blick noch die Krankenpflegerin bitten, der Schwester
ihren letzten Gruß zu senden. Darüber würde
die Schwester sich ebenso freuen, wie über ein
paar geschriebene Worte. Den letzten Gruß —
wie war das wunderlich.

Sie lag wieder im Bette, die kleinen, mageren
Hände auf der Decke gefaltet.

Da fuhr sie beim Geräusch von Schritten
aus dem Nebenzimmer zusammen. Das war
ihr Mann. Ach Gott, ach Gott, da kam er.

Die Thüre ging auf, und der Mann, mit
einer frisch entzündeten Cigarre im Munde,
näherte sich dem Bette.

„Na, wie stehlls?" fragte er.

„Danke."

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Max Feldbauer: Der Münchner und der Herrenreiter
(Berthe) Amalie Skram geb. Alver: Freude
 
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