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1900

Nr. 22

Walther Püttner (München)

Kaiser Wilhelm II.

betrachten wir die geschichtliche Stellung
<7^ Kaiser Wilhelms des Zweiten, so ist die
Hroße mittlere Thatsache diese: er ist über-
haupt der e r st e deutsche Kaiser. Er ist
-es historisch, und er ist es, weil er nzeiß, daß er
<§ ist. Wohl hat es während 450 Jahren, von
der Krönung Karls des Großen bis zum Tode
'Friedrichs des Zweiten (mit Unterbrechungen),
in Deutschland echte Kaiser gegeben, doch röm-
ische, nicht deutsche. In Karls des Großen offi-
zieller Titulatur hinkt ganz bescheiden nach:
^,e t per misericordiam D e i rex
Francorum et L a n g o b a r d o r u m“;
-Kaiser ist er aber als: „Romanum guber-
na ns imperium“. Tie Römer sind es,
die ihn zum Kaiser ausrufen und von Byzanz
erbittet er die Bestätigung seiner Kaiserwürde.
Der Begriff des „Deutschen" ist hier ohne
jeden Belang. Wir begeben also nicht blos
-einen historischen Schnitzer, indem wir Bar-
barossa statt des großen zweiten Friedrich im
Kysfhäuser harren lassen, sondern diese ganze
Vorstellung eines wieder ins Leben gerufenen,
-früher schon dagewesenen deutschen Reiches ist
grundfalsch und verhindert das Verständniß
der Gegenwart. Freilich spukt schon früh bei
den Schriftstellern ein „rex Teutonico-
rum“ ein „deutscherKönig," doch rechtlich und

Ich rief im Stillen mir das Vergangene zurück, um, nach meiner
Art, daran das Gegenwärtige zu prüfen, und das Künftige daraus
zu schließen, oder doch wenigstens zu ahnen. Goethe.

urkundlich wird ein derartiger Begriff erst im
Augenblick anerkannt' (Ferdinand I.), als jenes
Geschlecht den Thron bestiegen hatte, welches
durch die geographische Lage seiner Lander
imb die Zusammenstellung seiner Völkerschaften
nicht berufen fehl konnte, die wirkende Kraft
zur Bildung eines echten deutschen Reiches
äbzugeben. Ein wirkliches „deutsches" Reich
gibt es erst seit 1871. Kaiser Wilhelm I. aber
hat sich zur Annahme der Kaiserwürde förm-
lich zwingen lassen, und zwar nicht aus Demuth
oder Rücksicht, sondern weil, wie Bismarck be-
zeugt : „er mehr die Macht und Größe Preußens
als die verfassungsmäßige Einheit Deutschlands
im Auge hatte" (Erinn. 11, 57). Auch bei dem
nachnialigen Kaiser Friedrich fand Bismarck
nur ein bedingtes Verständniß für die Idee
eines echten deutschen Kaiserthums. Dagegen
erfüllte das Bewußtsein seiner einstigen Kaiser-
würde Wilhelm II. von Kindesbeinen an.

Für die geistige Entwicklung einer in einem
entscheidenden historischen Augenblicke wirkenden
Persönlichkeit ist es nun von ausschlaggebender
Bedeutung, in welchen: Verhältniß die fort-
laufende Bewegung der politischen Ereignisse
zu den fortlaufenden Phasen des Lebensalters
dieser Persönlichkeit steht. In diesem Falle
ist das Verhältniß ein äußerst günstiges.

Nicht allein hat der jetzt regierende Monarch
gegen keinen Nachbarn das Schwert gezogen
und erblickt ihn darum selbst der Feind schuld-
los, blutlos — dies ist doch mehr ein äußeres,
wenn auch nicht unwichtiges Moment - nein,
die letzten Etappen in der Entwicklung des
neuen Reiches hat er selber miterlebt. Hat er
auch nicht gefochten, er war doch schon sieben
Jahre alt, als der innere Feind des im Ent-
stehen begriffenen Deutschlands auf's Haupt
geschlagen wurde, und als elfjähriger Knabe
hat er es erlebt, wie sein Vater, sein Groß-
vater, seine ganze Familie und mit ihr alle
wehrbaren Männer Deutschlands gegen den
äußeren Feind in den Krieg zogen und er hat
mit eigenen Augen gesehen, wie sie ruhmge-
krönt heimkehrten. Das Werden des Reiches
ist ihm also ein persönliches Erlebniß, nicht eine
vom Lehrer vermittelte Chronik, und das ist
ein kostbarer Besitz. Nichts kann geeigneter
sein, einen zum lleberschwänglichen geneigten
Charakter zu zügeln und zu festigen, als das
Erlebniß großer Ereignisse. Denn diese faßt
er mit derselben eingeborenen Leidenschaftlich-
keit dann auf und sie wirken richtunggebend
auf sein ganzes Leben. Ich kann behaupten,
ich weiß es aus Erfahrung. Denn als der
p'-oße Krieg ausbrach, war ich in Ems, ein
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