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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 23 (?? Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0386

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Nr. 23

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Das Lied des Linsamen

Lin banger Träumer such ich das 6Iück.
O'rum bin ich nirgencls zuhaus.
Manchmal ein 5onnenschein,

manchmal ein blick
Ku§ fremden Mgen - oh schnelles 6Iück,
IVie schnelle löschst du aus.

Verlorene Liebe kehrt nie zurück.

Wie ist das Leben leer.

Ein banger Träumer such ich das 6Iück,
Ach, 6lück ist selten und Liebe ist glück,
Und Einsamkeit ist schwer.

Otto Zuiius öierbaum

Xijuig — kjang — kjö —

Lin chinesisches Märchen
von Ernst von wolzogen

fing

eitnt Ihr die Geschichte von dein Porzellan-
^ chinesen, der auf dem Eckbrett in der guten
Stube steht und immer mit dein Kopfe nickt
und die Zunge herausstreckt? — Nein? Da
muß ich sie Luch doch gleich erzählen.

Also dieser Porzellanchinese war vor vielen,
vielen Iah en ein ganz richtiger, lebendiger
Natur-Lhinese, welcher in der großen Kaiser-
stadt Peking.lebte und Kjing —kjang —
kjö — king hieß. Lr war von Beruf Poet
und soweit ein ganz anständiger Mann. Außer-
dem bekleidete er das ehrenvolle Amt eines
wirklichen geheimen Mberhofmärchenerzählers
Ihrer Kaiserlichen Hoheit der allererhaben-
sten Prinzessin ^ s ü — ßing, genannt das
Sonnenstäubchen; denn diese kleine Prin-
zessin von sechs Jahren war das allerhellste,
zarteste Diamantstäubcken^ welches jemals in
den Sonnenstrahlen Allerhöchster Kaiserlicher
vaterliebe gezittert hatte. Etwas Kleineres
als L^sü—ßings Füßchen gab es im ganzen
chinesischen Reiche nicht. Ls versteht sich von
selbst, daß sie nicht damit gehen konnte; aber
das darf eine chinesische Prinzessin überhaupt
nicht, wenn sie jemals einen richtigen Prin-
zen zum Manne bekommen will, wenn sie
daher spazieren wollte, so band sie sich ihren
rosaseidenen Leib-Luftballon uni und flog da-
mit wie ein Schmetterling in den kaiserlichen
pofgärten herum. L^sü—ßing war auch so
furchtbar klug, daß sie sich durchaus nichts
weiß machen ließ — deßhalb konnte sie auch
das blanc-manger nur mit Himbeersauce ver-
tragen. Sobald Jemand versuchte, ihr etwas
vorzuflunkern, drohte sie sogleich mit ihrem
wunderniedlichen Zeigefingerchen und sagte:

„Du, Du! wenn Du noch mal lügst, kannst
Du Dir gefälligst den Bauch ein bischen auf-
schlitzen!"

Da könnt Ihr Luch wohl vorstellen, wie
gefährlich das Amt des Gberhofmärchener-
zählers war, da solche Leute bekanntlich für
ihr Leben gern ein wenig flunkern.

Als der gute Kjing — kjang—kjö—king
den ersten Tag also zu erzählen anhub: „Ls
war einmal ein Prinz, der hieß Pi" ..., da fiel
ihm die kluge Prinzessin gleich in's Wort:
„Ist das auch wahr? preß er wirklich blos Pi?"

Kjing—kjang—kjö— king nickte blos mit
dem Kopfe und wollte eben fortfahren, als
die p inzessin sagte: „Du, Du, Kjing^-kjang—
kjö—king, wenn's man wahr ist! Stecke mal
die Zunge 'raus — denn Du weißt, wenn
Du gelogen hast, so ist ein Bläschen darauf."
Sie sagte das aber alles auf Lhinesisch.

Der arme Mberhofmärchenerzähler streckte
also die Zunge heraus — und es war kein
Bläschen darauf. Der Prinz hatte daher wirk-
lich blos Pi geheißen, und die Geschichte konnte
weiter gehen.

„Dieser Prinz Pi ging eines schönen Tages
im Garten seines Papas, des Königs, spazieren.
Da sah er auf dem Teich, welcher sich darin
befand, eine Lnte schwimmen, die war aus
purem Golde und ..."

„Du, Du, Kjing kjang - kjö—king, wenn's
man wahr ist! Stecke mal die Zunge 'raus!"
sagte psü—ßing wieder.

Und er nickte mit dem Kopf und streckte
die Zunge heraus; aber es war wieder kein
Bläschen darauf. Die Lnte aus purem Golde
war also wirklich auf dem Teich geschwommen,
welcher sich im Garten des Königs befand,
dessen Sohn blos Pi hieß, und die Geschichte
konnte weitergehen.

„Und sagte zu dem Prinzen: ,Ach, Du
lieber Prinz Pi . . "

„Konnte sie denn sprechen?" fragte psü—
ßing bedenklich.

„Ja; denn es war eine Zauberente," ant-
wortete der Märchenerzähler.

„Du, Du, Kjing—kjang—kjö- king, wenn's
man wahr ist! Stecke mal die Zunge 'raus!"
sagte die Prinzessin wieder.

Na, Ihr könnt Luch wohl denken, wie's
dem armen Mann bei dem ewigen „Du, Du,
Kjing—kjang—kjö—king!" zu Muthe war
Aber da nie ein Bläschen auf seiner Zunge
erschien, so durfte psü—ßing ihm doch noch
nicht befehlen, sich den Bauch ein bischen auf-
zuschlitzen. Doch that dieser ihm immer schon
weh, wenn er die furchtbar kluge Prinzessin
nur von weitem sah.

Allein der Mensch gewöhnt sich an Alles,
und so auch Kjing —kjang—kjö—king an die
Fragen der Prinzessin. Nur war es kein Wun-

der, wenn ihm das Kopfnicken und Zunge-
Herausstrecken nach und nach so zur .zweiten
Natur geworden war, daß er es nach jedem
Satze ganz unwillkürlich that. Und das machte
wiederum psü— ßing so großen Spaß, daß sie
ihren Märchenerzähler immer lieber gewann.

Aber ach! sein Glück sollte nicht lange
dauern; denn eines Tages bekam der arme
Kjing —kjang—kjö— king doch ein Bläschen
auf der Zunge, mochte es nun vom Lügen
oder von zu heißem Reisbrei herrühren. Und
da er an diesem Tage gerade der Prinzessin
das höchst wunderbare Märchen von dem Floh
Pu erzählte, welcher in dem Schwanz des
Katers Mi —a—u lebte, welcher so lang war,
daß er ihn siebzehn Mal um den Leib wickeln
konnte, wobei doch noch ein so langes Lude
übrig blieb, daß er sich daraus bequem eine
Doppelschleife am Vals binden konnte — so
sagte die furchtbar kluge Prinzessin psü—ßing
natürlich wieder: „Du, Du, Kjing—kjang—
kjö—king, wenn's man wahr ist! Stecke mal
die Zunge 'raus!"

Der Unglückschinese streckte zwar die schöne
rothe Zunge nur ganz flüchtig und ganz wenig
heraus, aber Prinzessin Sonnenstäubchen hatte
eben so scharfe Augen als die Sonne selbst
und entdeckte daher das Bläschen sofort.

„Gnade, Gnade, allergnädigste Prinzessin!"
jammerte Kjing—kjang—kjö—king. „Lr konnte
seinen Schwanz allerdings nur zwei Mal um
den Leib wickeln, aber . . .

,,Siehst Du, Du nichtsnutziger Flunkerer!"
rief die Prinzessin und weinte vor Verdruß.
,,Also fünfzehnmal hast Du dazugelogen —
ich sag's meinem Papa!" Und sie schnallte sich
richtig sofort ihren rosaseidenen Leib-Luftballon
um und flog an den Thron des Kaisers, dem
sie die ganze Geschichte erzählte.

Natürlich war der Kaiser schön böse; denn
das war doch Majestätsbeleidigung, einer kaiser-
lichen Prinzessin weiß machen zu wollen, daß
es einen Kater gebe, welcher einen Schwanz
besitze, der noch länger sei, als selbst der Aller-
höchste Zopf des Kaisers aller Lhinesen! Auf
seinen Befehl wurde Kjing—kjang—kjö—king
sofort ergriffen und auf einem Rost so lange
gebraten, bis er schön knusprig war. Dann
wurde er in einem Mörser zu Pulver gestampft,
mit Porzellanerde tüchtig durchgerührt, mit
Wasser angemacht und von dem kaiserlichen

Mberhofporzellanchinesenverfertigungsanstalts-

Direktor eigenhändig zu einer Puppe zurecht-
geknetet, die seinem früherem Selbst so ähn-
lich war, wie ein Li dem anderen. Darauf
wurde er in den Backofen dritter Klasse mit
gelinder Wärme befördert und mußte jo lange
darin bleiben, bis er alles Wasser wieder
ausgedampft hat:e. Darauf wurde er schön
bunt bemalt mit denselben Farben, welche er

Gertrud Kleinhempel (München)
Index
Josefus: Die tschechische Obstruktion
Archimedes: Parabel
v. L.: An die Knobler!
Ludwig Bauer: Wiener Schnitzel
Oskar Blumenthal: Den Gesetzgebern
[nicht signierter Beitrag]: Graf Pückler
[nicht signierter Beitrag]: Neues von Serenissimus
Julius Diez: Ganz der Papa!
Ernst Frh. v. Wolzogen: Kjing - kjang - kjö - king
Gertrud Kleinhempel: Zierleiste
Otto Julius Bierbaum: Das Lied des Einsamen
 
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