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Nr. 23

JUGEND

1900

MW

HV

Originnlradiriing

Max Liebermann (Berlin>

Spielhahnfalz!

Von Anton v. perfall

f us den Tiefen der Erde steigt das Leben
zu den Höhen, nicht aus rosigen Wolken
senkt es sich herab. Aus dunklen, ewig feuch-
ten Schächten, aus den Gründen der Gewässer
steigt der Frühling empor — erdgeboren, nicht
himmelgeboren; arbeitsharter Genosse, nicht
göttlicher Fremdling. Darum lieben wir ihn so.
Wir lieben immer nur Menschliches, nie Gött-
liches, und wenn es einmal so scheint, ist es
eben menschlich. — Daher der schwüle Schweiß-
geruch der ersten Nächte, wenn er wühlt und
bohrt, die schwarzen Schollen wendet und Klüfte
sprengt. Erst wenn er sich ächzend mit tausend
Schinerzen durchgerungen, schmückt er sich. Erst
das Mühen, dann das Schöne, erst der Schweiß,
dann die Düfte, erst die Arbeit, dann die Kunst.

Die erdbedeckten Glieder
waschen sich tut Frühthau,
Flügel wachsen, die Thäler
werden zu eng, aber die Gipfel
trotze:: noch in Eis und Schnee.

Fruchtlos alles linde Schmei-
cheln, höchstens daß die Lawine
drohend grollt; kein leises Rie-
seln verräth erwachendes Lebe::,
kein Ast schüttelt erwachend die
winterlast ab, keine Fährte
kreuzt die Flächen, keine Schwin-
ge die Luft. —

Der Mond lächelt verschmitzt:
„Packt er Dich endlich, der Frost,
alte Mutter Erde? Nun, ge-
rade so fing's bei mir auch an,
bei den Spitzen, dann zog's
sich's immer mehr herab, im-
mer mehr, ganz langsam, bis
mir das Herz erstarrte. Ja,
warte nur, das geht langsam
aber sicher." — k—

Die Sonne entbrennt in hei-
ligem Zorn jeden Morgen und
schleudert feurige Gluthen aus
die trotzigen Höhen, doch sie
dringen nicht in die Tiefe, lösen
nicht die Starre der Schneefel-
der und ersterben fruchtlos als
schwächlicher rosiger Schimmer.

Eines Morgens aber lächelt
der Mond nicht mehr im stahl-
blauen Aethermeer; dort oben
um die eisige Spitze flattert's
und springt's, - tschiu — hui
— tschiu, tönt's herauf, voll
heißen: Verlangen, in der ewi-
gen Sprache. — 0, er kennt
ihn wohl, den frechen Gesellen, — der Spiel-
hahn ift's, der höchste Lebenskünder!

wehmüthige Erinnerung beschleicht den
Mond. — Vor Aeonen sang er auf seinen
Höhen, der lustige Geselle, ebenso brünstig, von
eben dem holden Wunder durchglüht — und
— ja, das wußt' er noch genau, von dem Tage,
an de:n der Letzte seinen Liebessang ertönen
ließ, an einem eisigen Frühlingsmorgen, währte
es genau noch 562,000 Jahre, bis der Frost
ihm das Herz gebrochen. Da kann er noch
lange Zusehen, schlechte Aussicht! mit schiefem
Munde verzieht er sich. —

Die Sonne aber, kaum daß sie ihn erblickt
den alten Freund, überschüttet ihn jubelnd
mit ihrem goldenen Licht, und das Licht ge-
biert die Farbe und der schwarze Geselle erblüht
in strahlender Pracht, — inmitten von Eis und
Schnee, von Tod und Schweigen ist das Leben
geboren: Farbe, Bewegung, Liebe! — — —
Die Nacht habe ich auf der Alm zuge-
bracht. Baptist, der Schindeldecker war da,
die Winterschäden auszubessern, ein alter Philo-
soph, der am liebsten so einsame Arbeiten
übernimmt, fernab von allem Menschenpack.

„Arbeiten waar guat, aber 's Spreach'n is
so viel hart," war die längste Rede, die er
vor Jahren einmal an mich gehalten.

Können sich die Freude derckei:, die ich
dem Baptist mit n:einem Kommen n:achte.

Er stierte eben in das flackernde Feuer
vor sich und rauchte kalt, als ich durch das
Fenster guckte. — Diese monumentale Ruhe
in dem braunen Antlitz!

„Das Denken ist der Schlächter des wirk-
lichen. Der Schüler muß den Schlächter tobten,
dann erst wird er die Regio:: von Asat dem
Falschen verlassen und in das Reich von Sat
dem wahren gelangen. —"

Ich dachte Buddhas und glaubte die
„Stimme der Stille" zu vernehmen.

wie ein Schmerz zuckte es über sein Ant-
litz, als ich eintrat.

„Grüß Gott, Baptist! Hat's Dich scho::
'rausgetrieben?"

„woll! woll!"

„Schindel decken?"

„woll!"

„Kein' Hahn g'hört umeinand?"

„I dacht' net."

Lange Pause.

„Ich möcht' nämlich ein' Hahn schießen
Morgen früh am Sattel oben."

„Möchst?"

Ein böser Seitenblick fiel auf mein Gewehr.

„Hat er Dir was 'than, der Hohn?"

Schwer zu beantworten.

„Gewiß nicht, aber lustig ist's halt,s'Hahnei-
schiaß'n, und schö::e Federn geit's^ — kennst
das Liedl denn nicht?"

„Lusti?" Er lachte skeptisch. „Lusti!"
klang es seltsam nach.

Die zwei „Lusti" sitzen mir noch immer
im Mhr; jeder Schauspieler hätte daran lerne::
können. Ich war aber kein Schauspieler, sondern
ein Jäger, so verdroß es mich bloß.

„Unsinn! wir Alle tödten, ja wohl, —
Du auch! mit jedem Axthieb, und werden ge-
tödtet, der eine von einem Löwen, der andere
von einem winzigen Würmchen, das er gar
nicht sieht. Das liegt ja im Schöxfungsplan."

Da sah er mich groß an.

„Unser Herrgott selber will's," wurde ich
deutlicher.

„Leider Goot! Leider Goot!" Er nickte
mit dem weißen Haupte.

„Leider Gott, daß Gott will? Also thut
Dir Gott selber leid."

Da stand er aus, legte seine Pfeife auf
das Gesims und ging in die Kammer.

„Grad oans woaß i, Herr, daß i froh bi,
daß i der Baptist bin."

Lange starrte ich auf die schwarze Thür,
die hinter ihm sich schloß.

Der Schindeldecker gratulirt sich dazu, kein
Gott zu sein, keine Welt geschaffen, sondern
nur Schindeldächer geflickt zu haben, — oh
Stimme der Stille! Zum Ehrendoktor der
Philosophie gehört er ernannt, der Baptist.

Julius Diez
Register
Max Liebermann: Radierung
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Anton Frh. v. Perfall: Spielhahnfalz!
 
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