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1900

. JUGEND

Nr. 23

Grigiiial-Interviervs -er „Jugend": I. Leim Prinzen Baccarat

hierzu vier Spezialaufnahmen für die „Jugend

?Mer Prinz ist nicht nur der erlauchteste,
sondern auch der gemüthlichste und

fidelste Lebemann in Europa. Er gibt sich
so zwanglos, daß oft selbst der allerge-
meinste Sterbliche sich für etwas Feineres
halten kann, als ihn. Gegen die lang-
weilige Devise „Noblesse oblige“ hat der
Prinz von jeher die heftigste Antipathie
gehabt, und er kann mit Recht von
sich sagen, daß ihm nichts Menschliches
fremd ist.

Trotz der steifen Etiquette des Hofes
ist es ziemlich leicht, Zutritt zu ihm zu
erlangen. Man braucht dazu durchaus
nicht unbedingt ein hübsches, jugendliches
Mädchen oder ein gelddarleihender Finanz-
mann zu sein, vielmehr finden alle lebens-
lustigen , jovialen Leute, die gern Bac-
carat spielen und nicht in kleinlichen mo-
ralischen Scrupeln befangen sind, stets ^

den liebenswürdigsten Empfang bei ihm.

An Bereitwilligkeit, zu Spezialaufnahmen für eine deutsche Zeitschrift in
jeder gewünschten Pose Modell zu stehen, wird er, wie man hier sieht, von
keinem preußischen Staatsminister oder deutschen Souverän übertroffen.

Der Prinz ist ein Frühaufsteher; jeden Morgen um 5 Uhr er-
hebt er sich vom Spieltisch, um sich nach krause und zur Ruhe zu
begeben. (5. d. Abbildung j.)

er sich im Spiel geistige Anregung und
zugleich durch strenge Vermeidung aller
nicht berauschenden Getränke die nöthige
Bettschwere zu holen sucht.

Es dürfte wohl allgemein bekannt
sein, daß das kostbare Leben des hohen
Herrn einmal durch den Mordanschlag
eines frechen Buben bedroht war. Doch

dies hat dem Prinzen nichts von seiner Lebenslust genommen; er ge-
braucht seitdem nur die Vorsicht, Interviewer und andere Leute, die
er in Audienz empfängt, vorher durch seinen Hofmarschall durchsuchen
und ihnen alle Schießwaffen, spitze Instrumente u. dgl. abnehmen zu
lassen; das mitgebrachte Geld nimmt er hierauf persönlich in Gewahr-
sam. (S. d. Abbildung 3.)

Das erwähnte Attentat hat ihm zum Theil sogar hohe Befrie-
digung gewährt, weil er daraus ersehen hat, daß es wenigstens
unter der Jugend Leute gibt, die ihn (politisch) ernst nehmen. Er

Da er zu den Leuten gehört, die viel Schlaf brauchen, so erscheint
er in der Regel erst um z Uhr Nachmittags wieder auf der Bildfläche
und beginnt den Tag mit einer aus 8 bis \o Gängen bestehenden
Mahlzeit, bei der er sich stets durch einen wahrhaft fürstlichen Appetit
auszeichnet. Nach dem Essen zieht sich der Prinz auf eine Stunde in sein
Arbeitszimmer zurück, um Wechsel zu unterschreiben und sich die Verlust-
listen der Armee vorlesen zu lassen, hierauf empfängt er seinen Schneider
und theilt ihm seine neuesten Bekleidungs-Ideen mit. (S. d. Abbildung 2.)

Nach dieser Konferenz, die für ihn der schönste Augenblick, NB.
bes Tages, ist, gibt sich der hohe Herr einige Stunden der wohlver-
dienten Ruhe hin, worauf er sich mit seiner Familie zum Diner
niedersetzt, das ihm wiederum vorzüglich zu munden pflegt. Damit
ist das Tagewerk des hohen Herrn vollendet und er begibt sich nun ins
Theater, ins VariLt6 oder an Orte, wo man sich noch bester amüsieren
kann, um schließlich in später Nachtstunde in den Klub zu fahren, wo

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schmeichelt sich jetzt mit der Besorgniß, daß nächstens auch einmal ein
Erwachsener den versuch machen könnte, die Schandthaten des ein-
flußreichsten Ministers an ihm zu rächen, und unterzieht sich gegen-
wärtig, um die Chancen des nächsten Attentäters zu verringern, einer
Entfettungskur. (S. d. Abbildung 4.)

Da der Prinz eine vorzügliche Konstitution besitzt, so hat er die besten
Aussichten, ein sehr hohes Alter zu erreichen, was jeder gute Deutsche.den
Landsleuten des Prinzen auch nur von ganzem Kerzen wünschen kann.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Original-Interviews der "Jugend": I. Beim Prinzen Baccarat
Monogrammist Frosch: Illustrationen zum Text "Original-Interviews der 'Jugend'"
 
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