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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 23 (?? Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0399

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JUGEND

1900

Nr. 23

Aufsicht der Polizei und des Staatsanwalts
stellen wollen, schon darum nicht, weil solche
Umgebung für die produktive Thätigkeit
doch allzu wenig anregend oder vielmehr
allzu sehr entmuthigend sein würde.

Prof. Dr. Friedrich paulsen

Liecl eines alten berliner
Kanlriers an seinen SoKn

„UlohlthätigKeit ist eine schöne Zache.

Mein lieber Sohn.

Uerstehen muss man nur die rechte Macbe —"
$o sprach der alte Hohn.

„Gibst Brod Du, oder abgelegte Kleider
Um Gotteslohn

Dem nächsten besten deutschen Hungerleider,
50 hast Du nichts davon.

Doch sammelt man für fremde Eandeskinder
Im Testsalon,

Zum Beispiel für die ausgesog'nen Inder —
Der Michel für den 3ohn —

Dann zeig Dich nobel, bleche! Denn der Handel
Hentiert mein Lohn-

in'sHnopflocb Kriegst Du mindestens ein Bändel,
Ulirst schliesslich gar Baron.“ a. mo.

Theaterneuigkeitm

aus dein Eairde Shakespeares

Im Shaftesbury-Theater wurde kürzlich ein
Ausstattungsstück mit denl Titel .,Eiue ameri-
kanische Schönheit" gegeben. Das Haupt-
auLstattungsrequisit ist die schöne Schallspielerin
Miß Edna Map, um die heruur die Ver-
fasser schon ein anderes, 500mal aufgeführtes
Schauspiel dichteten. Ter Inhalt des neuen
Werkes ist folgender: Ein junger englischer
Edelmann liebt die „amerikanische Schönheit";
diese ist aber mit einem deutschen Prinzen ver-

lobt. Um die Liebe der Schönen zu gewinnen,
gibt der Edelmann sich für einen Gärtner aus
und überreicht ihr im geeigneten Moment eine
exotische Pflanze, wofür sie sich in ihn verliebt.

Das eigentliche Stück besteht aus Couplets,
die ohne gerade witzig zu sein, durch
schlechte Musik ennuyieren. Solange
indessen Miß Edna May noch schön ist, stirbt
das englische Drama nicht aus. Die Herren
Verfasser der amerikanischen Schönheit haben
bereits drei neue Stücke in Arbeit, die wir
hier kurz zu charakterisiren in der angenehmen
Lage sind.

Das erste Stück heißt „Liebe und Lach-
gas." Ein junger amerikanischer Edelmann
liebt eine englische Schönheit. Aber die gries-
grämige, jedoch tugendhafte Mutter hat per-
manentes Zahnweh und mit dem Freier nichts
im Sinn. Er gibt sich für einen Zahnarzt
aus und zieht der Alten schmerzlos mehrere
Zähne. Gerührt gibt sie ihre Einwilligung.

In diesem Stück kommen vor:

Großes römisches Colosseum-Rennen, ein
Mann auf 2 Pferden stehend.

Großartiges und schneidiges doppeltes
4 Pferde-Hürden-Rennen.
Vorführung des ausgezeichneten Gestüts eng-
lischer Renn- und Zugpferde von
Messrs. Spit and Whip.

Das zweite Stück führt den Titel „Herz
und Wad e." Ein junger englischer Edelmann
liebt eine amerikanische Schönheit, aber sie ist
bereits mit einem Russen verlobt. Bei Gelegen-
heit eines Fußball-Wettkampfes bemerkt die
Schöne, daß der Engländer viel stärkere Waden
hat als der Russe. Sie reicht ihm erröthend
ihre Hand-

In diesem Stücke gelangt zur Vorführung
eine große Vconstre-Abnormitäten-Ausstellung,
darin u. a.:

Die Dame ohne Oberleib,

Der Mann ohne Rumpf,

Der Fettmensch, 4 Fuß hoch und 700 Pfd.

schwer.

Ein Nashorn mit einem Kropf von 6x/2 Mir.

Umfang,

Eine Schlange mit natürlichem Vollbart,
Die Känguruh-Kuh re. re.
Die amerikanische Schönheit
besichtigt alle diese Merkwürdig-
keiten am Arme ihres Geliebten,
aber sie bleibt ihm treu.

Das dritte Stück endlich heißt
„Der Sabbathschänder."
Ein junger amerikanischer Edel-
mann liebt eine englische Schön-
heit; aber der fromme Vater will
„es" nicht haben; denn der Freier
10 - hat einmal nachweislich an einem
Sonntag gelächelt. Da übersendet
der Liebende dem Vater ein wohl-
getroffenes Bild des Prinzen von
Wales mit einem Bibelspruch

iDaciikIänge

Procumbit humi bos! Ich darf, ohne
ein falscher Prophet zu sein, in Sachen
der lex Heinze wohl den Sieg ansrufen.
Dennoch bin ich nicht in froher Stimmung,
fast hätte ich gesagt: in Katerstimmung.
Daß unseren Finsterlingen der Kamm s o
geschwollen ist, daß sie sich bei uns so weit
erdreisten konnten, ohne Scheu, in unaus-
löschbarem Gelachter unterzugehen, das
macht mich nachdenklich. Wäre unter Frie-
drich dem Großen in Preußen, unter
Montgelas in Bayern eine Figur wie
Stöcker oder Roeren möglich gewesen?
Wir haben's herrlich weit gebracht! Freuen
wir uns des Sieges, aber schämen wir
uns, daß er nöthig war. Und vor Allem
— toujours en vedette!

Prof. Dr. Max von Seydel

Permissu Superiorum . . . Mit Ge-
nehmigung der Oberen! — Deut-
sches Volk, wie bald kann Dich das von
jedem Buchtitel, jedem Bühnenvorhang,
von dem Sockel jeder Bildsäule, von jedem
Bilderrahmen anstarren, wenn Du nicht
allezeit dessen eingedenk bleibst, daß Du
nicht der Magd, sondern der Freien
Kind bist. Wilhelm Aaabe

Orator e5t vir bonus dicendi peritus, der
Redner ist ein rechtschaffener Mann,
der des Sprechens kundig ist. So erklärte
der alte Cato. Vielleicht dürfen wir in
ähnlicher Weise erklären: der Dichter oder
Künstler ist ein rechtschaffener Mann, der
des poetischen, malerischen Schaffens kundig
ist. Wir werden auch ihm die Rechtschaffen-
heit nicht erlassen und erwarten, daß sie
ihn auch in der Produktion nicht verläßt.
Aber darum werden wir ihn doch nicht
bei seiner schaffenden Thätigkeit unter die

Hat ihr schon!

Julius Diez (München)

194
Register
Julius Diez: Hat ihr schon!
Max v. Seydel: Nachklänge
Wilhelm Raabe: Nachklänge
Friedrich Paulsen: Nachklänge
A. Mo.: Lied eines alten Berliner Bankiers an seinen Sohn
Hanns (Hans): Theaterneuigkeiten aus dem Lande Shakespeares
 
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