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Nr. 24

JUGEND

1900



doch weißt, daß das Packet mir gehört!" zankt
der Vater ärgerlich.

Else wird sehr roth.

„Ach weißt Du, Papa, ich hätte die Bilder
nicht angeguckt, aber obendrauf lag doch dieses
da! Und das muß ein Jugendbild von Mlle
Angöle sein. »Lang, lang islls her!' Aber ähn-
lich sieht es ihr doch noch!"

„Mlle Angele! Welche Mlle Angele? Wer
ist denn das?"

„Nun, unsere Französin! Die neulich einen
solchen Schrecken hatte, als wir Dich in dem
Schwimmbad sahen!"

„Die da! Eure Lehrerin!" ruft der Papa,
mühsam ein Lachen verbeißend. „Nein, nein,
Kind, beruhige Dich nur! Das ist eine ganz
andere Sorte Französin! Nicht die Eure!"

Aber Else gibt nicht so leicht nach.

„Aber Papa! Sie hat doch denselben Leber-
fleck aus dem Kinn und sie hat sogar dieselbe
Brosche an, die sie immer an Sonntagen trug!
Warte, ich hole Dir die Zeichnung, die ich von
ihr gemacht habe!"

Leichtfüßig springt Else fort. Ihr Papa
aber zeigt, laut lachend, seinem Freund das Bild
und flüstert:

„Das hier war nämlich ein sehr leichtes
Frauenzimmerchen, das ich einmal auf der Reise
traf. Ein Pariser hatte sie sitzen lassen: da nahm
ich sie mit nach Trouville. Ein flottes Ding!
Haben halt einen besonderen Charme diese Fran-
zösinnen! Ich erinnere mich, daß sie das un-
gezogene Lied von Beranger von der „Grande-
Mere“ mit reizender Keckheit vorzutragen wußte.
Mit einer Mimik! — Der Refrain, der hieß

Gombien je re^rette
Mon bras si dodu
Ma jambe bien faite
Et le temps perdu.“

Direktor Müller springt plötzlich auf und
schlägt sich vor die Stirne.

„Donnerwetter! Gerade in dem Schwimm-
bad ist mir das Lied plötzö'ch wieder eingefallen!
Das ist doch sonderbar! Als ich die französischen
Worte hörte, die Stimme, dachte ich mit einem
Male wieder an Trouville. Und Else sagte doch,
daß damals diese Mlle Angele bei ihnen ge-
wesen sei. — Ja, wenn ich mich so recht besinne,
so schien mir das spitze Gesicht, das ich einen
Moment sah, bekannt." —

Else kommt geschäftig wieder herein:

„Siehst Du, Papa! Das ist die Mlle Angele
in ihrer Morgenjacke, mit ihren dünnen Zöpf-
chen! Sie war wirklich sehr ähnlich! Das haben
alle gesunden! Zum Glück hat mich doch keine
verrathen! Das Hütte eine schöne Geschichte ge-
geben ! Oh!"

„Bist Du aber ein boshaftes Karnikel," lacht
der Papa und tätschelt der jungen Zeichnerin
dabei sehr wohlgefällig die rosige Wange.

Er ist nachdenklich geworden, der Direktor.

Als die Herren wieder allein sind, hält er
die dilettantenhafte Carikatur und die alte Photo-
graphie nebeneinander und betrachtet sie mit dem
Augenglas.

„Unverkennbar die Aehnlichkeit! Trotz der
bösen Veränderung! Kein Zweifel! Aus der
flotten Niny ist diese traurige hagere alte Schachtel
geworden!"

„Du meinst das doch nicht im Ernst," ruft
der Doktor, sein Freund. „Dein lockeres Frauen-
zimmerchen von Trouville kann sich dock) nickst
in eine Erzieherin junger Mädchen verwandelt
haben."

„Ja, ja, es passiven sonderbare Dinge!"
meint der Direktor kopfschüttelnd. „Wahrschein-
lich haben mehrere sie sitzen gelassen wie der

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Simon Bussy: Luxembourg-Palais
 
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