Nr. 25
JUGEND
L
1900
0. Porsche (Manchen)
Dem Verdienste seine Krone!
Durchlaucht’ge Prinzess, euer Patschhändchen bitt’ ich!
Ich bin kein gewöhnlicher jächwerenöther,
Ich bin ßt. {Jürgen, der Drachentödter.
Durchlauchtige Prinzess, euer Patschhändchen bitt’ ich!
6m e
ganz gexvöknNcke Geschickte
Eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte
Las ich jüngst im Lokalberichte:
Die Klara 8. aus der Ritterstraße,
Zuletzt Direktrice bei I. G. Hase,
Putzfederfabrik Berlin 8. 0.
Lausitzerplatz Nr. so und so,
Unterhielt seit Monaten bereits
Mit dem flotten jungen X. W. aus Zeitz
Ein Verhältniß. Allein ihr Schatz
Ward dessen kürzlich überdrüssig
Und schrieb ihr ab; denn er ward schlüssig
Sich zu vermählen und zwar in Bälde
Mit einem Fräulein mit etwas Gelde.
Die 8. durchaus nicht begreifen wollte,
Daß Alles ein Ende haben sollte —
Und da er nicht kam und da er nicht schrieb,
Dem Mädchen nichts weiter übrig blieb,
Als zu versuchen, ob der X. W.
Im Geschäft ihr Rede und Antwort steh'. —
Sie kam dem Herrn sehr ungelegen,
Er ließ sich aber doch bewegen,
Ihr im Laden, dem grade leeren,
Auf zwei Minuten Gehör zu gewähren.
Sie weint' und schwur, sie könne zeitlebens
Keinen Andern lieben — alles vergebens.
Sie reicht ihm die Hand und sprach mit Zagen:
„Du sollst Dich nicht mehr über mich beklagen!"
Dann griff sie hinein in ihr Umhängtäschchen
Und führt' an die Lippen ein kleines Fläschchen —
Er schlug es ihr aus der Hand. Zu spät!
Sie stürzt zu Boden in Krämpfen, verdreht
Die Augen jammernd in furchtbarem Weh —
Man schafft sie sterbend zur Charit^! —
So etwa las ich's in zwanzig schalen
Nüchternen Zeilen im Lokalen.
Und könnt' und könnt' es nicht vergessen!
Wer mag des Leides Tiefe messen
In solchem dürftigen Berichte!-
Oh Herrgott, immer die alte Geschichte!
Das arme Mädel bild't sich ein,
Es gäb in der ganzen Welt a-llein
Nur diesen einzig süßen Schatz,
Den Cigarrenverkäufer vom Leipziger Platz.
Der hatt' es so leicht, sie zu bethören!-
Nun konnte sie nie einem Andern gehören,
Und solche Liebe hätt's nie gegeben,
Und so was endete nur mit dem Leben!
Und wie es doch aus ist — stirbt sie daran!
Dieweil versteht der verehrte Mann
Die ganze Geschichte nur etwa so,
Wie ein Knabe, der Blumen vom Felde rauft
Und dann einem Schmetterling nachlauft.
Die Blumen gleiten ihn: aus der Hand —
Er läßt sie welken im Sonnenbrand.
Und wenn er den Falter todtgequält,
Einen Goldkäfer er zur Beute wählt....
Und macht sich gar kein Gewissen d'raus:
Mit rothen Backen kehrt er nach Haus
Und thut seine Arbeit unverdrossen —
Er hat seinen Sommertag genossen! —
Ich seh' das arme Mäd'l stehn,
Ich seh' die lieben Augen fleh'n —
Ich hör' die bebenden Lippen lallen:
„Ich will Dir auch nie mehr lästig fallen."
Er zuckt die Achseln und kraust die Stirne,
Denkt nichts, als: wär' sie erst draußen, die Dirne,
Wie unangenehm, wenn Mt Leute kommen-
Inzwischen hat sie das Gift genommen!
Und der Mann ist beileibe kein Bösewicht:
Er ist wohl nicht besser noch schlimmer nicht,
Als Hunderttausende ehrlicher Jungen,
Die je ein Mädchenherz bezwungen,
Und lustig, in den verschiedensten Stilen
Die Feste feierten, wie sie fielen.
Wer schreit da: Sünde! — Keine Spur.
So will's die Ordnung der Natur!
Wer will die heilige Noth verdammen?
Der Herrgott selber schürt die Flannnen
Und treibt die Motten im tollen Tanz
In Höllengluth und Himmelsglanz,
Und läßt die Mannsen heil ausfahren,
Nur etwa mit versengten Haaren —
Jndeß er die Weibsen vom Liebesfest
Gar sonderbar geschmückt entläßt:
Mit Dornenkronen und blutigen Malen
Müssen sie kurzes Glück bezahlen!
Hört ihr sie wider den Herrgott schrei'n?
„Barmherziger, muß es also sein?!"
Und die heiligen Dulderinnen
Blühen mit ihren blutigen Zähren
Wie rother Mohn in gelben Aehren.
Und Knaben kommen mit frischen Sinnen
Und 'raufen sie aus in raschem Verlangen
Und stecken sie lachend an den Hut,
„Oh rothrothe Blumen, wie steht ihr uns
gut!"-
Vom Abend zum Morgen sind sie vergangen! —
Oh lästiger Singsang, leidiges Lied! V
Die Welt verstopft sich davor die Ohren — |
Ist doch aller Zorn daran verloren! ^
Gescheh'n muß Alles, was geschieht.
Und wenn die Mädel, die liebestollen,
Das durchaus nicht begreifen wollen —
Soll uns das den Humor verderben? — —
-'s sind doch nur die — Besten, die
d'ran sterben I
Srnsl von Molzogen
Gedanken
^Jd) habe mir wiederholt die Frage vor-
gelegt, woher cs kommen mag, daß ein bc
deutender Rechtslehrer der Schaar prakt
ischer Juristen, die durch seine Hände ge-
gangen ist, so unverkennbar seinen geistigen
Stempel aufprägt. Ich glaube, die Lösung
gefunden zu haben. Nicht so fast die Le
deutung des Meisters trägt die Schuld,
als die geistige Unselbstständigkeit der
Schüler. Sie vernehmen vom Lehrer nicht
— wie sie sollten — was sie zu erkennen
und deshalb zu wissen, sondern was sie
zu merken und deßhalb zu glauben
haben. Bei jedem Beruf, der vorwiegend
in geistiger Dhätigkeit besteht, ist cs den
Dcnktragcn bequem, mit feststehenden For-
meln zu arbeiten, die 2lndere ihm ausge-
rechnet haben, und der Umgcstaltcr, der
das iurare in verba magistri bezüglich
seiner Vorgänger abzuschaffen gewußt hat,
wird, ohne es zu wollen, zum geistigen Des-
poten seiner Schüler. Denn: naturam ex-
pellas furca, tarnen usque recurret.
Mar v. Seydel
Es gibt Menschen, die gar nicht reli-
giös sind, die aber doch gelegentlich in die
Rirche gehen, um zu beten. „Na, so ein
Stehseidel Frömmigkeit kann doch nie
schaden!" denken sie. M. v. wendheim
^)ir betrachten uns selbst so lange und
intensiv mit den eignen Augen, bis wie bei
jeder kritischen Handlung das Gefühl haben,
von einem Auge beobachtet zu sein-eine
der Arten, und zwar eine feinere, wie Götter
entstehen. Zeno
JUGEND
L
1900
0. Porsche (Manchen)
Dem Verdienste seine Krone!
Durchlaucht’ge Prinzess, euer Patschhändchen bitt’ ich!
Ich bin kein gewöhnlicher jächwerenöther,
Ich bin ßt. {Jürgen, der Drachentödter.
Durchlauchtige Prinzess, euer Patschhändchen bitt’ ich!
6m e
ganz gexvöknNcke Geschickte
Eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte
Las ich jüngst im Lokalberichte:
Die Klara 8. aus der Ritterstraße,
Zuletzt Direktrice bei I. G. Hase,
Putzfederfabrik Berlin 8. 0.
Lausitzerplatz Nr. so und so,
Unterhielt seit Monaten bereits
Mit dem flotten jungen X. W. aus Zeitz
Ein Verhältniß. Allein ihr Schatz
Ward dessen kürzlich überdrüssig
Und schrieb ihr ab; denn er ward schlüssig
Sich zu vermählen und zwar in Bälde
Mit einem Fräulein mit etwas Gelde.
Die 8. durchaus nicht begreifen wollte,
Daß Alles ein Ende haben sollte —
Und da er nicht kam und da er nicht schrieb,
Dem Mädchen nichts weiter übrig blieb,
Als zu versuchen, ob der X. W.
Im Geschäft ihr Rede und Antwort steh'. —
Sie kam dem Herrn sehr ungelegen,
Er ließ sich aber doch bewegen,
Ihr im Laden, dem grade leeren,
Auf zwei Minuten Gehör zu gewähren.
Sie weint' und schwur, sie könne zeitlebens
Keinen Andern lieben — alles vergebens.
Sie reicht ihm die Hand und sprach mit Zagen:
„Du sollst Dich nicht mehr über mich beklagen!"
Dann griff sie hinein in ihr Umhängtäschchen
Und führt' an die Lippen ein kleines Fläschchen —
Er schlug es ihr aus der Hand. Zu spät!
Sie stürzt zu Boden in Krämpfen, verdreht
Die Augen jammernd in furchtbarem Weh —
Man schafft sie sterbend zur Charit^! —
So etwa las ich's in zwanzig schalen
Nüchternen Zeilen im Lokalen.
Und könnt' und könnt' es nicht vergessen!
Wer mag des Leides Tiefe messen
In solchem dürftigen Berichte!-
Oh Herrgott, immer die alte Geschichte!
Das arme Mädel bild't sich ein,
Es gäb in der ganzen Welt a-llein
Nur diesen einzig süßen Schatz,
Den Cigarrenverkäufer vom Leipziger Platz.
Der hatt' es so leicht, sie zu bethören!-
Nun konnte sie nie einem Andern gehören,
Und solche Liebe hätt's nie gegeben,
Und so was endete nur mit dem Leben!
Und wie es doch aus ist — stirbt sie daran!
Dieweil versteht der verehrte Mann
Die ganze Geschichte nur etwa so,
Wie ein Knabe, der Blumen vom Felde rauft
Und dann einem Schmetterling nachlauft.
Die Blumen gleiten ihn: aus der Hand —
Er läßt sie welken im Sonnenbrand.
Und wenn er den Falter todtgequält,
Einen Goldkäfer er zur Beute wählt....
Und macht sich gar kein Gewissen d'raus:
Mit rothen Backen kehrt er nach Haus
Und thut seine Arbeit unverdrossen —
Er hat seinen Sommertag genossen! —
Ich seh' das arme Mäd'l stehn,
Ich seh' die lieben Augen fleh'n —
Ich hör' die bebenden Lippen lallen:
„Ich will Dir auch nie mehr lästig fallen."
Er zuckt die Achseln und kraust die Stirne,
Denkt nichts, als: wär' sie erst draußen, die Dirne,
Wie unangenehm, wenn Mt Leute kommen-
Inzwischen hat sie das Gift genommen!
Und der Mann ist beileibe kein Bösewicht:
Er ist wohl nicht besser noch schlimmer nicht,
Als Hunderttausende ehrlicher Jungen,
Die je ein Mädchenherz bezwungen,
Und lustig, in den verschiedensten Stilen
Die Feste feierten, wie sie fielen.
Wer schreit da: Sünde! — Keine Spur.
So will's die Ordnung der Natur!
Wer will die heilige Noth verdammen?
Der Herrgott selber schürt die Flannnen
Und treibt die Motten im tollen Tanz
In Höllengluth und Himmelsglanz,
Und läßt die Mannsen heil ausfahren,
Nur etwa mit versengten Haaren —
Jndeß er die Weibsen vom Liebesfest
Gar sonderbar geschmückt entläßt:
Mit Dornenkronen und blutigen Malen
Müssen sie kurzes Glück bezahlen!
Hört ihr sie wider den Herrgott schrei'n?
„Barmherziger, muß es also sein?!"
Und die heiligen Dulderinnen
Blühen mit ihren blutigen Zähren
Wie rother Mohn in gelben Aehren.
Und Knaben kommen mit frischen Sinnen
Und 'raufen sie aus in raschem Verlangen
Und stecken sie lachend an den Hut,
„Oh rothrothe Blumen, wie steht ihr uns
gut!"-
Vom Abend zum Morgen sind sie vergangen! —
Oh lästiger Singsang, leidiges Lied! V
Die Welt verstopft sich davor die Ohren — |
Ist doch aller Zorn daran verloren! ^
Gescheh'n muß Alles, was geschieht.
Und wenn die Mädel, die liebestollen,
Das durchaus nicht begreifen wollen —
Soll uns das den Humor verderben? — —
-'s sind doch nur die — Besten, die
d'ran sterben I
Srnsl von Molzogen
Gedanken
^Jd) habe mir wiederholt die Frage vor-
gelegt, woher cs kommen mag, daß ein bc
deutender Rechtslehrer der Schaar prakt
ischer Juristen, die durch seine Hände ge-
gangen ist, so unverkennbar seinen geistigen
Stempel aufprägt. Ich glaube, die Lösung
gefunden zu haben. Nicht so fast die Le
deutung des Meisters trägt die Schuld,
als die geistige Unselbstständigkeit der
Schüler. Sie vernehmen vom Lehrer nicht
— wie sie sollten — was sie zu erkennen
und deshalb zu wissen, sondern was sie
zu merken und deßhalb zu glauben
haben. Bei jedem Beruf, der vorwiegend
in geistiger Dhätigkeit besteht, ist cs den
Dcnktragcn bequem, mit feststehenden For-
meln zu arbeiten, die 2lndere ihm ausge-
rechnet haben, und der Umgcstaltcr, der
das iurare in verba magistri bezüglich
seiner Vorgänger abzuschaffen gewußt hat,
wird, ohne es zu wollen, zum geistigen Des-
poten seiner Schüler. Denn: naturam ex-
pellas furca, tarnen usque recurret.
Mar v. Seydel
Es gibt Menschen, die gar nicht reli-
giös sind, die aber doch gelegentlich in die
Rirche gehen, um zu beten. „Na, so ein
Stehseidel Frömmigkeit kann doch nie
schaden!" denken sie. M. v. wendheim
^)ir betrachten uns selbst so lange und
intensiv mit den eignen Augen, bis wie bei
jeder kritischen Handlung das Gefühl haben,
von einem Auge beobachtet zu sein-eine
der Arten, und zwar eine feinere, wie Götter
entstehen. Zeno