Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

DOI Heft:
Nr. 25 (ohne Datumsangabe)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0421

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 25

JUGEND

Der Meßner-Mchel

Eine Profan legen de aus Tirol
nacherzählt von

Otto Julius Vier bäum

Wm eine Geschichte wie die folgende
'W' zu erfinden, muß man nicht sechs-
beinig fein, wie die Spinnen und wir
Schreibevolk, die wir die meiste Zeit
mit den vier Stuhlbeinen unter unsrer
Eentralbasis zubringen, während unsre
eigenen zwei Beine bloß als Appendix
wirken. Man muß, um so was aus-
zuhecken und auszutragen, zweibeinig
bewegt leben und vor Allem viel im
Walde streifen. Da trifft inan dann
wohl auch ab und an einen ähnlich ge-
arteten Waldmenschen, dein man frisch
von der Pfanne weg vorsetzt, was mail
sich eben zusammengeschnurrt hat aus
der Fabulirhaspel. Der hört's mit seinen
guten Jägerohren an, wirft selber auch
ein paar Stücke Speck in den Schmarrn,
geht dann und erzähltes dem nächsteil.

Aber das ist schon beileibe nicht mehr
dieselbe Geschichte. Bei dem vielen
Laufen schüttelt sich das Gehörte zu einem
immer neuen Brei zusammen, und außerdem
läßt sich's kein richtiger Jäger nehmen, immer
auch selber was dazuzuschießen.

So und nicht anders entstehen Geschichten,
wie die eine ist, die ich mir eben von so einem
fabulirsamen Jäger habe erzählen lassen, als
ich mit ihm über die Mendel aus dem wäl-
schen ins Deutsche stieg. Eigentlich gehört
auch zum wiedererzählen, daß man mitsammen
im Freien wandre. Aber das läßt sich nun
leider nicht leicht machen, wie ich es auch nicht
vermag, die ganze Frische und Derbheit meines
Tiroler Jagdbegleiters in Tinte umzusetzen.
Denn, wie schon Goethe sagt, schwarz auf
weiß sieht manches gar verrucht aus, das vom
Munde her ganz munter klingt.

Aber die Sache selbst will ich doch versucheil,
nachzuerzählen:

Also: Es lebten einmal im Tirolischen,
da, wo wälsche und Deutsche so eng beiein-
ander wohnen, daß sie ihre Buben und Mädel
zur Erlernung der benachbarten Sprache auf
die Zeit der Lehrjahre austauschen, friedlich
nebeneinander ein Pfarrer und ein Meßner.
Der Meßner verheiratet, der Pfarrer mit einer
Häuserin, aber einer recht alten. Den Pfarrer
wollen wir blos hochwürden nennen, wie sich's
gehört; der Meßner aber hieß Michel. hieß
Michel und war eine faule haut. Daß er
vom Meßilergelde nicht leben konnte, versteht
sich. So war er denn Bauer zugleich und
schlug auch Holz im Walde. Aber, eben, er
that's nicht gerile. Er fand, daß er was
kirchliches wäre eigentlich, und daß ihm des-
halb ein Bauch gut stehen müßte, so ein rich-
tiger Pfarrbauch. Aber: wie soll man bei
Holzhacken und dem mühsamen Weinbau zu
einem Bauche kommen? Arbeit frißt Speck.
Also that er lieber nichts. Aber als der Bauch
schon auf dem besten Wege war, sich zu run-
den, just da ergab es sich, daß die Geldlade
leer war, ein Umstand, der viel zu aufregend
ist, als daß man, ihn im Rücken, rein geist-
lich weiter leben könnte. Deshalb — machte
sich Michel auf, ging in den Wald und hackte

Holz? Bein, das that Michel nicht. Aber er
klopfte drüben im Pfarrwiddum an, machte
ein Gesicht, wie ein wüstenheiliger, der täglich
außer Heuschrecken nichts zu sich nimmt, als
immer neue Sehnsucht zum Fimmel, flüsterte
viel und lang von der Noth des Lebens und
pumpte schließlich hochwürden um dreihundert
Gulden an. hochwürden, der schon damals
wußte, daß Zinsnehmen kanonisch erlaubt ist,
ging zu seinem schwarzen Geheimstrumpf und
nahm die Zettel heraus, hielt eine kleine pre-
digt, bestimmte Prozente und Termine und gab
sie hin.

Niemand war vergnügter als Michel. Kaum,
daß er aus dem Schatten des Widdums war,
gingen die vertikalfalten seiner Heiligkeit ins
horizontale eines durchaus weltlichen Grinsens
über, und er führte mit seiner Frau Aloisia
einen kleinen Rundtanz ehelicher und anderer
Zufriedenheit auf.

Aber die Tage gingen, und die Gulden
mit. Und wie die halbe Zeit bis zum Termine
verstrichen war, kam Tag für Tag hochwürden
ins Meßnerhaus und erkundigte sich mit würde
und Nachdruck nach den ökononrischen Fort-
schritten seines werthen Gehilfen beim Dienste
des Herrn. Michel merkte: hochwürden leiht
zwar, aber er thut das nicht als fromme
Uebung, sondern er will wieder im Strumpfe
haben, was er dem Strumpfe entnahm, und
ein paar Gulden extra dazu. Es blieb nichts
übrig: die Kuh muß aus dem Haus. Sieht
hochwürden, daß Michel wiedergiebt, wird er
auch wieder leihen, und Michel kann ja das
nächstemal 500 Gulden nehmen. Die halten
länger an. Trieb also, wie im nächsten Orte
viehmarkt war, die Kuh aus dem Stall und
machte sich auf. hochwürden ließ es sich nicht
nehmen, ihm gute Lehren auf den weg zu
geben. Und eines vor allen: schärfte er ihm
ein: „Gieb die Kuh keinem ploderer!" Plo-
derer? „Na, wer so viel daher red't!" Ah so!

Michel kommt auf den Markt, pflockt die
Kuh an, stellt sich daneben. Kommt Einer
und fragt nach dem Preis, sieht sich die Kuh
vorne, hinten und an den Seiten an., redet

1800

allerlei: was ihr fehlte und was sie
werth wäre und so fort. Michel denkt
sich „ploderer!" und sagt bloß: „Mach
di furt, ploderer!" Kommt ein anderer
und thut ebenso. Michel sagt bloß:
„Mach di furt, Ploderer!" Kommt ein
dritter, vierter, fünfter. „Mach di furt,
Ploderer!" Schließlich sahen ihn die
Bauern schief an, griffen sich an den
Kopf und überlegten sich, ob sie ihn
durchprügeln sollten. Aber es fragte
keiner mehr, denn keiner trat mehr an
ihn heran. „Lauter Ploderer!" dachte
Michel. „Gemmer ge gen!"

Da kam er auf dem Wege vor dem
Orte an einem Bildstöckl vorbei. Auf
dem stand der heilige Hans und winkte
ganz offenbar mit den Armen. „Ah!"
dachte Michel, „willscht eppet Du,
Hannes?" Führte also seine Kuh vor
das Bildstöckl. Na? Der heilige Hannes
winkte stumm und sagte nichts, sah
aber mit deutlichem Begehren die Kuh
an. Das ist kein Ploderer! dachte sich
Michel. Der kriegt die Kuh. Band sie
an's Bildstöckl und ging.

Zu Hause erzählte er dem Pfarrer, wie
es ihm auf dem Markte ergangen. „Recht
so!" meinte hochwürden. „Recht hast 'than.
Aber wer hat die Kuh?" „Oh, feil ischt koa
Ploderer! Und er zahlt mi g'wieß. Morgen hol
i's Geld." „Geht schon gut," meinte der Pfarrer.

Am nächsten Tag ging Michel zum Bild-
stöckl. Das stand schon da, aber die Kuh war
weg. „Hot er eppet die Lies schon g'freß'n?"
dachte sich Michel und stellte sich vor den heil.
Hans und rief: „Also, was is mit'm Geld?"
Der heilige winkte blos freundlich weiter.
„Krieg i's Geld, oder krieg i's net?!" Hannes
winkte. „I, Du . . .." schrie Michel. „Deesch
war mir a Geschäft, jiatz soll Di doch glei
der Deixel!" holte aus und gab dem winken-
den eine watsch'n, daß der rechts über in den
Straßengraben fiel. Und schau: unter seinem
Fußgestell lag ein großer Beutel voll lauter
geprägtem Silber und Gold, hatten's wohl
Diebe dort versteckt. „Ball deesch gsagt hätscht,
hätscht koa watschn net braucht", meinte Michel,
nahm das Geld, stellte den winkenden wieder
auf seinen Stein und ging heim»

hochwürden war innig erfreut, Geld und
Zinsen zu erhalten, Michel aber war nicht
weniger froh, als er beim Auszählen fand, daß
für ihn noch einmal 300 Gulden übrig blieben.
Damit gab er sich wieder eine weile der Ver-
vollkommnung seines geistlichen Aeußeren hin.

Als aber das Geld zum zweiteil Male aus
der Lade war, ging er wieder zu hochwürden,
flüsterte noch gedämpfter, entwickelte noch ver-
tikalere Falten und borgte sich 500 Gulden,
hochwürden ging wieder zum Strumpf des
Hauses, nahm wieder das Geld heraus, hielt
eine längere Rede, stipulirte größere Prozente
und dachte sich: Gewissenhaftigkeit mit Nutzen
zu fördern, ist kanonisch erlaubt.

Michel war mit den 500 Gulden diesmal
schneller fertig als vorher mit den 300. Er
hatte sich's eigentlich so gedacht, daß sie bis
zu dem Termin der Rückzahlung reichen sollten,
aber die Lade war schon leer, als hochwürden
es eben erst an der Zeit hielt, mit Mahnen
zu beginnen. „Jesses, der pfaff fangt scho

416
Register
Hans Christiansen: Medaillon
Otto Julius Bierbaum: Der Meßner-Michel
 
Annotationen