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JUGEND

Nr. 25

Volk und Liberalismus

Von Karl deutsch

Der Liberalismus hat darum raten so bösen
Stand, weilseine politischen Pflichten gewöhn-
lich mit seinem Geiste in Coufliot gerathen.
Liberale Gesinnung ist etwas ganz Aristokrat-
isches. Was Hecht denn: liberal sein? Das
heißt: einen weiten Horizont und ein weites
Herz haben; Alles kennen, darum Alles ver-
zeihen; frei von Vorurtheilen fein und Jeden
nach seiner Fapon leben und selig werden
lassen; die relative Berechtigung aller Religionen,
aller Philosophieen und aller politischen Richt-
nngen anerkennen; hochherzige Freigebigkeit
üben und alle Güter, auch- die geistigen, über
einen möglichst weiten Kreis zu verbreiten be-
strebt sein. Kann der Bauer, der Kleinhand-
werker, der Lohnarbeiter, der kleine Beamte
mit seinem engen Gesichtskreis und seinem in
den engsten Verhältnissen einseitig ausgebilde-
ten Empfinden ein solcher Mann sein? Nein,
das kann nur einer, dem entweder die gesell-
schaftlich hohe Stellung oder reiches Wissen
den weiten Horizont erschlossen haben; Weit-
herzigkeit und Engherzigkeit mögen angeboren
sein, aber in engen Verhältnissen und in einem
engen Gesichtskreis muß jene verkümmern.

In England hat man das stets gewußt
Die großen Whigs sind Aristokraten gewesen,
und Tories haben manchmal liberale Maß-
regeln gegen die Parteiliberalen durchgesetzt.
Adam Smith fragt nicht, w o philisterhaft eng-
herzige Moralgrundsätze herrschen, sondern er-
stellt es als notorisch hin, daß der kleine Mann
der Moralphilister sei, und zeigt uns, tute sich
diese Engherzigkeit und die Weitherzigkeit der
hohen Aristokratie aus den beiderseitigen wirth-
schaftlichen Verhältnissen erkläre. Er denkt an
die Zeit, wo der Puritanerfanatismus staats-
gefährlich geworden war, und räth der Regier-
ung, den sauertöpfischen muckerischen Klein-
bürger durch Feste ausiuheitern und zum Lebens-
genuß zu erziehen. Und heut sind die Tem-
perenzbewegung, die reizenden Hüte der Osfi-

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zierinnen der Heilsarmee, das Gegröhl, die
abgeschmackten Erbauungsstunden und Umzüge
dieser sehr wohlmeinenden und vielleicht auch
Gutes stiftenden Gesellschaft den aristokratischen
Kreisen ein Greuel. Was ist denn liberal in
den ob ihrer Freiheit gepriesenen ganz demo-
kratischen Vereinigten Staaten? Nicht die
Menschen sind's; der Boden ist's, der Raum,
der sich selbst Jedem freigebig schenkte, und
der dem einsamen Ansiedler bis vor einigen
Jahrzehnten gestattete, sich nach Belieben zu
tummeln und auf dem Kopfe zu stehen, wenn
ihm die harte Arbeit für dergleichen Erlustig-
ungen Zeit und Kraft übrig ließ. In einer
nordamerikanischen Kleinstadt kommt es vor,
daß eine auf den Straßen betend herumzieh-
ende Frauengarde die Obrigkeit tyrannisirt,
und daß man gelyncht wird, wenn man seinen
Wein nicht im Geheimen trinkt oder wenn
man am Sonntag ein lustiges Liedchen trällert.
Und das „freie" Schweizervolk hat jüngst das
echt liberale und humane, von den gesetzgeben-
den Körperschaften in zehnjähriger mühseliger
Arbeit zu Stande gebrachte Kranken- und Um
sallversicherungsgesetz verworfen. Wenn in
Deutschland, namentlich in Preußen, gewöhn-
lich die Massen es gewesen sind, die den
Liberalismus politisch vertreten haben, die
Grundaristokratie aber ihn bekämpft, so kommt
das von dem auf unserm Kontinent herrschen-
den Bevormundungssystem, das die Herrschen-
den als von Gott geordnete Erzieher und Zucht-
meister der erbsündlich verseuchten lasterhaften
Massen hinstellt; und als hie und da an die
Stelle des ehrsamen Handwerks ein fluktuiren-
des und durch Massenanhäufung der Disziplin
entzogenes Proletariat trat, schien dessen Ver-
halten die eine Hälfte der Kontinentaltheorie
zu bestätige::. Um die andere Hälfte blieb es
freilich immer schwach bestellt; von den lüder-
lichen Fürstenhöfen des an eien r4gime bis
zu den Harmlosen herab hat der Adel mehr
als liberal gelebt, und in einer Charakteristik
des Fürsten Pückler-Muskau sagt der alle
Holten liberal sein kann nur der Aristokrat.

Indem nun- aber die liberale Gesinnung
fordert, daß man dem Armen spende und den
Schwachen und Unterdrückten beistehe, sieht
sich der politische Liberalismus gezwungen,
den kleinen Leuten, das heißt aber den illibe-
ralen Elementen, zur Macht zu verhelfen. Im
Ständestaat konnte mau liberal handeln, ohne
die bevorzugte Stellung der Aristokratie und
damit den Liberalismus selbst zu gefährden,
im Verfassungsstaat geht das nicht. Dazu

kommt, daß die Aristokraten zwar liberal sein
können, es aber bei Weitem nicht alle in
Wirklichkeit sind, und daß ihrem Liberalismus
meist viel zur Echtheit fehlt, indem sie zwar
für sich selbst ohne Gewissensbedenken jede
Freiheit in Anspruch nehmen, aber we:t ent-
fernt davon sind, diese Freiheiten der Masse
zuzugestehen; und dasselbe gilt von der Ari-
stokratie des Geistes.

Diese Widersprüche und Schwierigkeiten
haben vielerlei Spielarten des Pseudoliberalis-
mus erzeugt: den Fabrikanten, der sich des
Arbeiters bedient, den Pfaffen und den Junker
zurückzudrängen, der aber, nachdem er die
Macht errungen hat, den aussätzigen Arbeiter
füsiliren läßt; den gelehrten Bonzen des Un-
glaubens, der sich nicht damit begnügt, die
Alleinherrschaft des alten Glaubens zu brechen,
sondern ihn aus dem Herzen des Volkes mit
Gewalt herausreißeu will; den Phrasenhelden,
der in der Volksversammlung die großartigsten
Dinge verspricht, aber um ein Aemtchen oder ein
Bändchen alle seine schönen Grundsätze verkauft.

Dieser Pseudoliberalismus hat den echten
Liberalismus in der ganzen civilisirten Welt
in Mißcredit gebracht, so. daß heut so ziemlich
alles, was nicht zum Sozialismus und Anar-
chismus schwört, absolutistisch-conservativ-kirch-
lich gesinnt ist oder sich wenigstens so gebär-
det. Es ist ja das allgenteine Schicksal der
Ideen, durch die Verkörperung, die ihnen zur
Macht verhilft, verunreinigt zuwerden', aber
unter den politischen Idealen läßt sich keines
schwerer in einer mächtigen Partei-rein erhalten
als das liberale. Seine wahren und auf-
richtigen Anhänger, die geistigen und Herzens-
aristokraten, werden daher zwar auch in Zu-
kunft der Nothwendigkeit nicht ausweichen
können, sich auf Massen zu stützen, wenn sie
liberale Maßregeln durchsetzen oder- illiberale
abwenden wollen, aber ihre eigentliche Auf-
gabe ujtrb doch stets bleiben, durch die Litera-
tur Liberale Gesinnung, so weih nur irgend
die Fassungskraft dafür reicht, in allen Volks-
schichten und Parteien zu verbreiten, unbe-
kümmert um die zufälligen Pärteinamen , die
ja meist nur Blendwerk sind.

Ein Trost

für moderne Lyriker! Auch Goethe be-
zahlte die Druckkosten für die 1. Auflage seiner
Gedichte; klagt er doch im Epigr. 35:

„Ich habe, wie schwer, meine Gedichte be^
zahlt!"


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Der gewissenhafte Husstellungsbesucher R SchoU (MunchenJ

(Zeitungsnachricht: „Der Spezial Katalog der österreichischen Abtheilung allein umfaßt neun stattliche Hefte.")
Register
Fritz Scholl: Der gewissenhafte Ausstellungsbesucher
Carl (Karl) Jentsch: Volk und Liberalismus
[nicht signierter Beitrag]: Ein Trost
 
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