Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 28 (09. Juli 1900)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0039
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1900

JUGEND

Nr. 28

HU I)eil!

_ , bayerischen Geistlichkoit macht die „Frankfurter
Leitung" den Vorschlag, Damenräder zu benutzen, um das
Ordinariat, welches wahrscheinlich blos aus Toilettcrücksichten
das Radeln verbiete, umzustimmen. —

Nun steht wohl auch dem Tandemfahren in Gesellschaft
mit der Köchin bald nichts mehr im Wege!

Lin R efervatrecht in Gefa hr!

Die Zierde der bayerischen Abgeordneten-
kammer und infolgedessen auch des Bamberger
Domkapitels, unser lieber, alter Redaktions-
freund vr. Schädler schreibt uns:

Theure Jugend!

Wiederum streckt sich die preußische Kralle
gierig nach einem unserer heiligsten Guter aus,
wieder will man uns eines unserer werthvollen
Reservatrechte tückisch aus der Nase ziehen:
Das preußische Kultusministerium hat die all-
gemeine Einführung des hunderttheiligen Cel-
s.iusthermometers dekretirt und verbannt
künftig von allen öffentlichen Orten das Ther-
mometer nach Reaumur! Und schon wurden
natürlich Stimmen laut, daß wir in Bayern diese
Thermometer-Convertirung mitmachen sollen.
Aber da wird nichts darausI Da sind wir auch
noch da! Wie: unfern alten, ehrlichen, liebge-
wordenen Reaumur sollen wir uns nehmen
lassen, um dafür den windigen preußischen Cel-
sius einzutauschen? Das bedeutet eine Ber-
schlechterung der, Temperatur uni 20 Prozent!
Früher hat man bei 15 0 ein warmes Zimmer
gehabt — in Zukunft werden wir bei 15 0 ein-
fach Zähneklappern vor Kälte. Populär gespro-
chen: bis jetzt konnten wir in Bayern es uns
leisten, die lange Wurst der Wärmegrade vom
Eispunkt bis zum Sieden in achtzig Stücke zu
schneiden; nach dem Vorgänge des hungrigen
Preußens sollen in Zukunft 100 Stücke daraus
gemacht werden, natürlich entsprechend kleinere.
Nein, und abermals nein! Wir sind auch
hell genug, um den Grund der frivolen Zu-
muthung eiuzusehen, einen Grund, der eine
schwere Gefährdung unseres religiösen Friedens,
der Parität in Bayern, im Gefolge hat:
Das protestantische Celsiusthermo-
meter — sein Erfinder war ein Landsmann
des ketzerischen Gustav Adolf! — wird mobil
gemacht gegen den spezifisch katholischen
Reaumur! Das ist wieder ein Glied in der
langen Kette sogenannter Fortschritte der Wissen-
schaft, welche sich gegen unseren Glauben rich-
ten : Den materialistischen Celsius der liberalen
Weltanschauung wollen die Preußcuseuchler in
Bayern einführen statt des tiefinnigen und
glaubenstreuen Reaumur unserer Väter! Man
braucht nicht sehr scharfsichtig zu sein um hinter
dieser Machenschaft die teuflische Fratze der
Freimaurerei zu erblicken! Und außerdem
will man uns mit dem Reaumur wieder eine
der festesten Stützen der bayerischen Selbständig-
keit entreißen, uns auf das Niveau willenlosen
Vasallenthums Herabdrücken. Dagegen wehren
wir uns mit Händen und Füßen, und wenn
uns auch der saubere Professor Seydel vielleicht
Stumpfsinn oder Diätcngier dafür vorwirft,
verlangen wir eventuell eine Extra-Session des
Landtags für diesen Fall! Und wenn künftig
im Reichstage wieder eine Armee- oder
Marinevorlage zur Sprache kommt, werden
die bayerischen Centrumsabgeordne-
ten schon die Antwort auf den neue-
sten preußischen Uebergriff zu geben
wissen! . .. ,

Heil und Sieg!

Ihr alter Spezi

Doktor Schädler

Gutenberg und Schwarz

JfHUir haben Gutenberg gefeiert, aber in
W Wirklichkeit war es die Mobilisirung
des abendländischen Freigeistes, welcher die
Feste galten. Daß es auch eine Schwarzkunst
und Buchstaben gibt, die der Erstarrung
und Verdummung des Geistes gute
Dienste leisten, wurde nur schüchtern nnge-
deutet. In dieser Beziehung war der „Druck-

fehlerteufel" in der Gutcn-
bergnummer der „Jugend"
mehr als ein bloßer Scherz:
er ist der leibhaftige Schalk,
der den Fortschritt am Gehen
hindert. Und ein zeitgemäßer
^ Blick in die Schwarzkunst der
"Chinesen könnte uns zeigen,
wie auch die kunstvollste Buch-
stabenbeweglichkeit nichts
niitzt, wenn es an der Beweg-
lichkeit der Sprache und des
Geistes fehlt. Hier müssen also
die beutelüsternen Europäer
andere Minen springen lassen,
andere Witze ersinnen, als das
vielgepriesene abendländische
Rezept Gutenbergs. Das
himmlische Reich ist ein Ko-
loß mit himmlischer Geduld,
den man ohne Rücksicht auf
sein himmlisches Ruhebedürf-
niß in Aufregung gebracht
hat, wie der Nichtimker durch
kindische Bewegungen einen
Bienenschwarm auf sich zieht.

Denn das muß doch jeder
Vernünftige cinfehen, daß bei
einiger Rücksicht auf die Logik
der chinesischen Kultur die
hirnlosen Metzeleien von heute zu vermeiden
gewesen wären, ebenso wie die Metzelei in
, Südafrika! Man hätte die Chinesen, die im
Grunde nicht bösartig sind, „gut chine-
sisch" behandeln, man hätte namentlich ihre
Götter, ihren Aberglauben in Ruhe lassen
sollen, lind auch hier ist cs nicht das Christen-
thum, das sie aufgebracht hat, sondern das
heuchlerische Renegatenthum; die euro-
päische Zollverwaltung haben sie sich dagegen
ruhig gefallen lassen. Nun ist der Teufel los,
und die europäische Diplomatie ist trotz
ihrer angeblichen Ueberlegenheit ahnungslos
in eine noch nie dagewesene Patsche ge-
rathen — der Maulwurf im Bienenkorb!
Das kommt daher, weil man die eigentlichen
Kenner der chinesischen Volksseele nie um
Rath gefragt hat. Den „guten" Rath ertheilen
eben meistens Solche, die von der Beweglich-
keit des Alphabets einen einseitigen und will-
kürlichen Gebrauch machen. Man sieht, nicht
nur der chinesische Literaturgott ist ein un-
sicherer Kumpan, und so schön auch die Ein-
ladungen zu den Friedenskonferenzen gedruckt
werden, — schließlich kommt alles auf den euro-
päischen Polizeiverstand und die Kanonen an.
Gegen den seligen Berthold Schwarz ist und
bleibt unser braver Gutenberg doch nur ein
armer Waisenknabe. ®C0l.g Hirch

MenerNckes

3m wiener Männergesang-Vereine
Beschloß man, am Grabe des Heinrich

Heine

Linen Kran; niederzulegen,

Von der Verehrung wegen.

Fm Wiener Ltadtrath hat es verdrossen,
Daß solches man in Paris beschlossen,
Die Väter erklärten sich dagegen,

Von der Lonsession wegen.

Fm Wiener Männergesang-vereine
Beschloß man, am Grabe des Heinrich

Heine

Keinen Kranz niederzulegen,

Von Zeitmangels wegen.

21. JE.

Der Laubfrosch der Kritik

(Illustration folgt vielleicht später!)

In einer angesehenen Zeitung beklagt cs
Herr vr. Karl Voll, daß die Malerei von
den graphischen Künsten und speziell von der
heute so populären Form der buntfarbigen
Illustration von Blättern wie „Jugend"
und „Simplicissimus" beeinflußt werde.
,,Wcr will der kleinen Zierpflanze die Fähig-
keit zugestehen, sich zu strecken, bis daß sie
einem edlen Baume gleicht? Lafontaine's
Fabel vom Frosch, der sich aufblähte, kann
hier vielleicht nicht ohne Nutzen angezogen
werden." Nun, uns ist es ganz gleichgiltig,
was Herr vr. Voll persönlich ,,anzieht," aber
daß er in einem angesehenen Tageblatt solchen
Stoff verzapft, das geht noch über den FroschI
Er scheint zu den Unentwegten zu gehören,
die das Wort „Kunst" nicht von „Können"
abzuleiten im Stande sind, denn er leistet sich
den herrlichen Satz, daß „in der Kunst
Alles von der Proportion abhängt."
Nein, Herr Or. Voll, in der Kunst hängt wirk-
lich Alles vom Können ab, — Proportionen,
Farben, Pinsel und Leinwand sind Faktoren
zweiter und dritter Ordnung. Jm'Gegentbeil,
es ist sogar schwerer, in kleinem als in großem
Maßstab starke Wirkung zu erzielen. Vor dein
Richterstuhl achter Kennerschaft und wahren
Kunstverständnisses gibt es keinen prinzi-
piellen Unterschied zwischen kleinen Zier-
pflanzen und edlen Riesenbäumen, und es
ist mindestens sehr — unvorsichtig von Ihnen,
der geistreichen Jllustrationskunst, die sich nur
als Blüthe einer sehr reichen Kunstentwicklung,
wie der Münchner, entfalten kann, weil das
Talent dazu ein sehr seltenes ist, — dieser
in Deutschland eben erst knospenden Kunst
einen solchen Fußtritt zu versetzen. Lassen Sie
gefälligst die „Zierpflanzen" der „Jugend"
unbehelligt und behalten Sie den Lafontaine'-
schen Frosch für sich! Vielleicht können Sie ihn
als Laub- oder Leibfrosch brauchen. Hiiarius

Ominöser Druckfehler

In einem deutsch-böhmischen Provinzblatt
war vor Kurzem zu lesen:

„König Milan trifft am 24. ds. M.
mit Gefolge in Karlsbad ein und wird im
Hotel Pump Wohnung nehmen."

So viel wir wissen, heißt das Hotel „Pupp."

479
Register
Georg Hirth: Gutenberg und Schwarz
Monogrammist Frosch: All Heil!
M. E.: Wienerisches
Pater Hilarius: Der Laubfrosch der Kritik
[nicht signierter Beitrag]: Ominöser Druckfehler
[nicht signierter Beitrag]: Ein Reservatrecht in Gefahr!
 
Annotationen