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1900

JUGEND •

Nr. 32

Freundlichkeiten

3tt demselben Augenblick, wo Hunderte bay-
rischer Freiwilliger hinausziehen, um vereint mit
ihren norddeutschen Kameraden im fernen Dsten
für Deutschlands Ehre zu kämpfen, leistet sich der
„Kladderadatsch" die folgende Dreistigkeit:

„Aach der sozialdemokratischen „Münchner Post"
hat sich beim J. schweren Reiter-Regiment in 3TCün-
chen nicht ein einziger Freiwilliger für die Lrpedition
nach Lhina gemeldet.

Wenn das sozialdemokratische Blatt wirklich die
Wahrheit berichtet, so braucht man deshalb noch
lange nicht dem Regiment Mangel an soldatischem
Ehrgefühl und patriotischer Gesinnung vorzuwerfen.
Wie man weiß, kann der Bayer nur da leben, wo
er regelmäßig bayerisches Bier vom Faß erhält.
Daß dies bei einem Feldzuge in Lhina nicht mög-
lich ist, liegt auf der Hand. Da nun die schweren
Reiter bei einer ungenügenden Verpflegung auch
nur Ungenügendes leisten könnten, so ist es im
Interesse der deutschen Waffenehre nur zu billigen,
wenn sie ruhig zu Hause bleiben."

5o was ist schon nicht mehr zum Lachen!
Or. Sigl macht offenbar Schule, und der „Klad-

deradatsch" ist auf dem besten Wege, sich den
„Ehren"-Titel eines preußischen „Vater-
lands" zu erwerben.

All contraire!

Wilhelm Scherrelmaun, der Modernsten
einer, hat unter dem Titel „Anna Maria"
Prosadichtungen veröffentlicht, von denen eine, die
die Ueberschrist „Vision" trägt, folgendermaßen
lautet: „Sonnenblnmcublnten starren schmerzlich
groß mit weiten offenen Augen in die sterbende
Sonne. — So ernst und still wie die Kinder Leichen
schauen... Meine Seele sitzt und sinnt, das Haupt
geneigt. Sie taucht die Füße in die heilige Todcs-
fluth und wäscht und spült... Die Stille schluchzt.
— Sie spült und spült und spült .. . Sonnen-
blumenblüten starren schmerzlich groß."

„Hut ab vor solcher Poesie!" meint eine
Literaturzeitung hiezu sarkastisch.

Im Gegcnthcil —: Hut ein...!

Aus zuverlässiger Quelle erfahren wir:
Der wahnsinnige Prinz Tu au hat sich von
Peking nach München geflüchtet und sich mit

wenigen aber begeisterten Anhängern im Rath-
haus verschanzt. Abtheilnngen der verbündeten
Großmächte, besonders Italiener und Bayern,
werfen rings um das Rathhaus Schanzen ans
und dringen vom Rindermarkt her in Laufgräben
gegen den Feind vor. Zugleich werden in der
ganzen Stadt die Kanäle anfgegraben. um ein
Entrinnen des Prinzen durch dieselben zu vereiteln.
Der Anblick der in ihren Khakianzügen arbeitenden
Truppen zieht täglich Hunderte von Neugierigen n».
Der Berkehr ist größtentheils unterbro-
chen. Eine Zeit lang kursierte das Gerücht, es
handle sich nur um städtische Reparatur-
arbeiten; man ist aber seht allgemein von der
Anwesenheit des wahnsinnigen Prinzen überzeugt,
weil ja die Vornahme solcher ausgedehnten Arbei-
ten mitten in der Fremdensaison sonst ganz
ausgeschlossen wäre.

Ein Londoner Hutmacher stellte das neue
Modell eines Cylinderhutes aus und nannte es
„Transvaal". „Wieso?" fragte ein boshafter
Knnde, „das ist doch kein Schlapphut!"
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[nicht signierter Beitrag]: Wilhelm Scherrelmann, der Modernsten einer...
[nicht signierter Beitrag]: Freundlichkeiten
[nicht signierter Beitrag]: Aus zuverlässiger Quelle...
Monogrammist Wespe: Münchner Secessionsbilder
[nicht signierter Beitrag]: Au contraire!
 
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