JUGEND
Nr. 33
19C0
des Kuchens versuchte, seine kleinen Fäuste
in des Usurpators Augen zu bohren, und
dieser bemühte sich nach Möglichkeit, seinen
Gegner mit der einen Band zn kneifen,
während er mit der andern den Gegen-
stand des Streites in seine Taschen zn prakti-
zieren suchte. Doch die Verzweiflung gab
dem Besiegten neuen Muth, er erhob sich
und versetzte dem Sieger mit seinem Kopf
einen wohlgezielten Stoß in den Magen,
daß er zur Lrde taumelte, wozu soll' ich
diese» abscheulichen Kampf noch weiter be-
schreiben, der in Wirklichkeit weit länger
dauerte, als man bei Kräften von Kindern
voraussehen konnte? Der Kuchen wan-
derte von ksand zn kscmd und wechselte jeden
Augenblick die Tasche. Doch ach, cs wech-
selte auch das Aussehen, und als sic end-
lich — ans dein einfachen Grunde, weil sie
nicht mehr weiter konnten — ermattet,
stöhnend lind blutend inne hielten, da war
der Gegenstand des Streites sozusagen nicht
mehr vorhanden; die Brotschnitte war ver-
schwunden utid so fein zerkrümelt wie die
Sandkörner, mit denen sie sich vermischt
hatten.
Diese Scene hatte der Landschaft in
meinen Augen ihre Poesie geraubt, und
mit der ruhigen Freude, die meine Seele
in sich aufgenommen, bevor ich diese beiden
kleinen Burschen zu Gesicht bekommen,
war es vollständig vorbei. Lange blieb ich
in Gedanken versunken sitzen und sprach
zu ntir selbst:
„Das ist wirklich ein seltsames Land,
wo das Brot Kuchen genannt wird und
ein so köstlicher Leckerbissen ist, daß cs einen
mörderischen Bruderkrieg zu erregen ver-
mag." (Deutsch v. Wilhelm Thal»
Bukolische Epistel
Gewißlich, Freund, im vorigen Jahr,
da wogten die Felder in Fülle.
Unermeßlichen Segen hing
der gnädige Himmel darüber.
In unglaublicher Spenderlaune
öffnete der alte Banerngott
seine volle Hand
und beivarf uns verschwenderisch
mit Schätzen.
Er hat's ja, und er thäts nicht,
machte cs ihm nicht Vergnügen.
Das Ivciß jeder. Und ich glaub,
es steht auch in der Bibel.
Ganz Bullendorf,
die Perle aller Mistfinkcnncster,
fühlte sich wie in Kanaan,
dem erwählten Land der Verheißung,
darinnen Milch fleußt und Honig.
AlleGassen waren lieblichstenRuches voll,
die feinste Nase merkte nimmer,
woher die dicke, braune Jauche kommt
und wohin sie fährt in tropfenden Fässern.
Man wandelte wie im Paradies,
zwischen Thymian und Majoran,
ein leibhaft Gedicht war das Leben.
Gewißlich, Freund! Das war ein Jahr!
Ein Jahr des Prassers und lachenden
Uebermuts.
„So hinan Senn! hcll und h-llcr, C. Kästner
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein tZerz auch schmerzlich schneller
Uederielig ist die Nacht," (Goethe)
Jeder Tag ein Fest,
der Sonntag ein doppeltes.
Von oben und unten und von
allen Seiten
des Glückes mehr als genug.
Auch lvir Bauern verstehn uns darauf,
zu leben wie Gott in Frankreich,
wenn wir im Schmalztopf sitzen.
Und wir Bullendorfer zumal.
Köstlich wars. Geistlich und weltlich
famos.
Das Wirthshaus voll, die Kirche
nicht leer,
und die Lustbarkeit wie sie für
Christen sich ziemt,
kein Blutvergießen, keine Löcher
im Kopf,
kein Schadenfeuer, kein Streit.
Alles in Ehrbarkeit,
soweit das Auge der Oeffcntlichkeit
reichte.
Herrlich wars,
ein Wohlgefallen für Gott und
die Menschen.
Allüberall ein Bcmühn,
das seltene Glück zu befestigen.
Der hochwürdige Herr Pfarrer
in Dankbarkeit that sich
noch eine Schaffnerin ein und
aus Vorsicht
eine jüngere Köchin dazu,
und für besondere Leckerbissen
eine entfernte jüngste Kusine.
Der Segen war unermeßlich.
Welch' ein Jahr!
Das Erntefest ein einziger Rausch
zum lauten Lobe Gottes.
Wars ein Wunder?
Besieh dir im Geiste die Markung!
Körnerschwer neigten sich
die reichen Aehren auf mannshohem
Halm,
goldig schimmernd in duftiger Reife,
den köstlich frischen Geruch des
nährenden Brots
und der butterschmalzniilden Krapfen
über die breiten Fluren schwingend
im spielenden Hochsommerwiuü.
Seitlich hing vor Schwere
des Hafers vielteilige Rispe
so zierlich am zarten Stiel
wie freundlicher Schmuck der Geliebten.
Im Frühthau tropften schimmernd
des Erbsenfelds schwellende Schoten,
und die Bohnen im Strauch
lachten und leuchteten röthlich
im üppig prangenden Blust,
lockend tvic liebliche Wangen.
Kartoffeln, Rüben und Kohl,
dazwischen Kukeruz und Kürbis —
Nr. 33
19C0
des Kuchens versuchte, seine kleinen Fäuste
in des Usurpators Augen zu bohren, und
dieser bemühte sich nach Möglichkeit, seinen
Gegner mit der einen Band zn kneifen,
während er mit der andern den Gegen-
stand des Streites in seine Taschen zn prakti-
zieren suchte. Doch die Verzweiflung gab
dem Besiegten neuen Muth, er erhob sich
und versetzte dem Sieger mit seinem Kopf
einen wohlgezielten Stoß in den Magen,
daß er zur Lrde taumelte, wozu soll' ich
diese» abscheulichen Kampf noch weiter be-
schreiben, der in Wirklichkeit weit länger
dauerte, als man bei Kräften von Kindern
voraussehen konnte? Der Kuchen wan-
derte von ksand zn kscmd und wechselte jeden
Augenblick die Tasche. Doch ach, cs wech-
selte auch das Aussehen, und als sic end-
lich — ans dein einfachen Grunde, weil sie
nicht mehr weiter konnten — ermattet,
stöhnend lind blutend inne hielten, da war
der Gegenstand des Streites sozusagen nicht
mehr vorhanden; die Brotschnitte war ver-
schwunden utid so fein zerkrümelt wie die
Sandkörner, mit denen sie sich vermischt
hatten.
Diese Scene hatte der Landschaft in
meinen Augen ihre Poesie geraubt, und
mit der ruhigen Freude, die meine Seele
in sich aufgenommen, bevor ich diese beiden
kleinen Burschen zu Gesicht bekommen,
war es vollständig vorbei. Lange blieb ich
in Gedanken versunken sitzen und sprach
zu ntir selbst:
„Das ist wirklich ein seltsames Land,
wo das Brot Kuchen genannt wird und
ein so köstlicher Leckerbissen ist, daß cs einen
mörderischen Bruderkrieg zu erregen ver-
mag." (Deutsch v. Wilhelm Thal»
Bukolische Epistel
Gewißlich, Freund, im vorigen Jahr,
da wogten die Felder in Fülle.
Unermeßlichen Segen hing
der gnädige Himmel darüber.
In unglaublicher Spenderlaune
öffnete der alte Banerngott
seine volle Hand
und beivarf uns verschwenderisch
mit Schätzen.
Er hat's ja, und er thäts nicht,
machte cs ihm nicht Vergnügen.
Das Ivciß jeder. Und ich glaub,
es steht auch in der Bibel.
Ganz Bullendorf,
die Perle aller Mistfinkcnncster,
fühlte sich wie in Kanaan,
dem erwählten Land der Verheißung,
darinnen Milch fleußt und Honig.
AlleGassen waren lieblichstenRuches voll,
die feinste Nase merkte nimmer,
woher die dicke, braune Jauche kommt
und wohin sie fährt in tropfenden Fässern.
Man wandelte wie im Paradies,
zwischen Thymian und Majoran,
ein leibhaft Gedicht war das Leben.
Gewißlich, Freund! Das war ein Jahr!
Ein Jahr des Prassers und lachenden
Uebermuts.
„So hinan Senn! hcll und h-llcr, C. Kästner
Reiner Bahn, in voller Pracht!
Schlägt mein tZerz auch schmerzlich schneller
Uederielig ist die Nacht," (Goethe)
Jeder Tag ein Fest,
der Sonntag ein doppeltes.
Von oben und unten und von
allen Seiten
des Glückes mehr als genug.
Auch lvir Bauern verstehn uns darauf,
zu leben wie Gott in Frankreich,
wenn wir im Schmalztopf sitzen.
Und wir Bullendorfer zumal.
Köstlich wars. Geistlich und weltlich
famos.
Das Wirthshaus voll, die Kirche
nicht leer,
und die Lustbarkeit wie sie für
Christen sich ziemt,
kein Blutvergießen, keine Löcher
im Kopf,
kein Schadenfeuer, kein Streit.
Alles in Ehrbarkeit,
soweit das Auge der Oeffcntlichkeit
reichte.
Herrlich wars,
ein Wohlgefallen für Gott und
die Menschen.
Allüberall ein Bcmühn,
das seltene Glück zu befestigen.
Der hochwürdige Herr Pfarrer
in Dankbarkeit that sich
noch eine Schaffnerin ein und
aus Vorsicht
eine jüngere Köchin dazu,
und für besondere Leckerbissen
eine entfernte jüngste Kusine.
Der Segen war unermeßlich.
Welch' ein Jahr!
Das Erntefest ein einziger Rausch
zum lauten Lobe Gottes.
Wars ein Wunder?
Besieh dir im Geiste die Markung!
Körnerschwer neigten sich
die reichen Aehren auf mannshohem
Halm,
goldig schimmernd in duftiger Reife,
den köstlich frischen Geruch des
nährenden Brots
und der butterschmalzniilden Krapfen
über die breiten Fluren schwingend
im spielenden Hochsommerwiuü.
Seitlich hing vor Schwere
des Hafers vielteilige Rispe
so zierlich am zarten Stiel
wie freundlicher Schmuck der Geliebten.
Im Frühthau tropften schimmernd
des Erbsenfelds schwellende Schoten,
und die Bohnen im Strauch
lachten und leuchteten röthlich
im üppig prangenden Blust,
lockend tvic liebliche Wangen.
Kartoffeln, Rüben und Kohl,
dazwischen Kukeruz und Kürbis —