Nr. 38
JUGEND
1900
. . . 3ch fuhr mit jeglichem Vehikel W. Georgi (München)
Umher auf diesem Erdenkreis
Der erste Tag der Flitterwochen
Aus dcu Memoiren eines Juristen
von Klemciis Junosza
tjjjiacl) Abschluß meiner Universitäts-Studien war
P ich als Praktikant beim Inquirenten Gericht
thätig. Mein Ehrgeiz träumte von einem europäischen
Rus, den ich dereinst als Kriminalist erlangen würde.
Lecoq war mein Ideal . . . Ich sah in Gedanken
erschütternde, abscheuliche und sabelhast komplizirte
Verbrechen, sah die fähigsten Untersuchungsrichter,
wie sie sich vergebens abmühten, die geschickt ver-
wischten Spuren aufzuspüren. Nur ich vermochte
die Verbrecher ausfindig zu mache», und zwar ohne
alle Vorbereitung, indem ich mich lediglich auf
mein Genie und die Logik der Thatsachen verliest.
^ Ich ahne jedes Verbrechen, und angesichts der
Spuren einer Missethat bin ich ein Hellseher, um
nicht zu sagen . .. ein Prophet!
In Folge dessen liebe ich die Mörder, um sie zu
entdecken, begeistere ich mich an Verbrechen, wie sich
ein Maler an Farben, ein Musiker an Tönen be-
rauscht.
Gar häufig legte ich mir die Frage vor, weshalb
wohl ein Mensch, der ganz und gar von einer
Idee beseelt ist, ihr trotzdem nicht einzig und aus-
schliehlich treu bleibt, weshalb sich in seinem Herzen
noch Platz findet für eine zweite Leidenschaft, für ein
neues Gefühl? Seltsam, daß so etwas möglich ist!
Aber leider ist es so. Der Mensch ist eben Mensch.
Ein Verhängnist brachte mich um das juristische
Gleichgewicht meiner Seele. Ich lernte Maria
kennen, ich begann im Hause ihrer Mutter zu ver-
kehren, ich machte eine Liebeserklärung, die Erfolg
hatte, und so gelangte ich taumelnd bis an die
Stufen des Altars.
Unsere Trauung fand am 22. Mai 18.. in der
Kirche vor geladenen Zeugen statt, worüber ein ent-
sprechendes Aktenstück im Pfarramt ausgenommen
und eingetragen wurde. (Buch der Ehen, Folio 76,
Nummer 114.)
Zwei Wochen vor der Hochzeit hielten >vir mit
der Schwiegermutter Rath, was wir nach der Trau-
ung ansangen sollen. Allerdings schien mir diese
Frage mindestens überflüssig, denn ich glaube, dast
— so weit meine Person in Betracht kommt — keine
Nothwendigkeit vorlag, mir irgendwelche Jnsvrma-
tionen zu ertheilen. Indessen aus Höflichkeit gab
ich nach.
Die Schwiegermutter ergriff das Wort:
„Nun, was werdet Ihr ansangen, Kinderchen?"
„Wir werden uns lieb haben" — sagte Maria.
„Gut, gut, liebes Töchterchen, aber wo?"
Aha! — dachte ich bei mir — locus regit actum,
eine zivile Angelegenheit, bietet also für mich weniger
interessantes Material.
„Ich werde stets wie im Paradiese sein," —
meinte Maria. Der Anstand gebot mir, zu murmeln,
daß ich ebenfalls ... Die Schwiegermutter wischte
sich die Augen.
„Wie rührend," — stieß sie hervor — „Ihr habt
recht, theureKinder, gegenseitige Liebe ist ein Paradies,
wo werdet Ihr aber nach der Trauung hinfahren?"
„Ich . . . zur Untersuchung" — antwortete ich.
„Ei, schäme Dich, ich werde Dir einen Urlaub
verschaffen."
„Ach ja, Muttchen, einen Urlaub, einen Urlaub,"
— schrie Maria — „einen Urlaub für hundert
Jahre." Ich warf dazwischen, daß man nur einen
vierwöchentlichen Urlaub bewilligen würde . . Maria
begann zu weinen und sagte:
„Nur vier Wochen lverde ich also leben?"
Dieser Ausruf erweckte in mir einen unbestimmten
Verdacht, allein es gelang mir, ihn sofort zu ver-
scheuchen. Die Schwiegermutter sprach indessen weiter:
„Theure Kinder, liebet Euch nur, ich aber werde
für Euch denken. Nicht eine Reise in's Ausland will
ich Euch antreten lassen, denn das ist bereits aus der
Mode gekommen. Auch will ich Euch nicht in der
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JUGEND
1900
. . . 3ch fuhr mit jeglichem Vehikel W. Georgi (München)
Umher auf diesem Erdenkreis
Der erste Tag der Flitterwochen
Aus dcu Memoiren eines Juristen
von Klemciis Junosza
tjjjiacl) Abschluß meiner Universitäts-Studien war
P ich als Praktikant beim Inquirenten Gericht
thätig. Mein Ehrgeiz träumte von einem europäischen
Rus, den ich dereinst als Kriminalist erlangen würde.
Lecoq war mein Ideal . . . Ich sah in Gedanken
erschütternde, abscheuliche und sabelhast komplizirte
Verbrechen, sah die fähigsten Untersuchungsrichter,
wie sie sich vergebens abmühten, die geschickt ver-
wischten Spuren aufzuspüren. Nur ich vermochte
die Verbrecher ausfindig zu mache», und zwar ohne
alle Vorbereitung, indem ich mich lediglich auf
mein Genie und die Logik der Thatsachen verliest.
^ Ich ahne jedes Verbrechen, und angesichts der
Spuren einer Missethat bin ich ein Hellseher, um
nicht zu sagen . .. ein Prophet!
In Folge dessen liebe ich die Mörder, um sie zu
entdecken, begeistere ich mich an Verbrechen, wie sich
ein Maler an Farben, ein Musiker an Tönen be-
rauscht.
Gar häufig legte ich mir die Frage vor, weshalb
wohl ein Mensch, der ganz und gar von einer
Idee beseelt ist, ihr trotzdem nicht einzig und aus-
schliehlich treu bleibt, weshalb sich in seinem Herzen
noch Platz findet für eine zweite Leidenschaft, für ein
neues Gefühl? Seltsam, daß so etwas möglich ist!
Aber leider ist es so. Der Mensch ist eben Mensch.
Ein Verhängnist brachte mich um das juristische
Gleichgewicht meiner Seele. Ich lernte Maria
kennen, ich begann im Hause ihrer Mutter zu ver-
kehren, ich machte eine Liebeserklärung, die Erfolg
hatte, und so gelangte ich taumelnd bis an die
Stufen des Altars.
Unsere Trauung fand am 22. Mai 18.. in der
Kirche vor geladenen Zeugen statt, worüber ein ent-
sprechendes Aktenstück im Pfarramt ausgenommen
und eingetragen wurde. (Buch der Ehen, Folio 76,
Nummer 114.)
Zwei Wochen vor der Hochzeit hielten >vir mit
der Schwiegermutter Rath, was wir nach der Trau-
ung ansangen sollen. Allerdings schien mir diese
Frage mindestens überflüssig, denn ich glaube, dast
— so weit meine Person in Betracht kommt — keine
Nothwendigkeit vorlag, mir irgendwelche Jnsvrma-
tionen zu ertheilen. Indessen aus Höflichkeit gab
ich nach.
Die Schwiegermutter ergriff das Wort:
„Nun, was werdet Ihr ansangen, Kinderchen?"
„Wir werden uns lieb haben" — sagte Maria.
„Gut, gut, liebes Töchterchen, aber wo?"
Aha! — dachte ich bei mir — locus regit actum,
eine zivile Angelegenheit, bietet also für mich weniger
interessantes Material.
„Ich werde stets wie im Paradiese sein," —
meinte Maria. Der Anstand gebot mir, zu murmeln,
daß ich ebenfalls ... Die Schwiegermutter wischte
sich die Augen.
„Wie rührend," — stieß sie hervor — „Ihr habt
recht, theureKinder, gegenseitige Liebe ist ein Paradies,
wo werdet Ihr aber nach der Trauung hinfahren?"
„Ich . . . zur Untersuchung" — antwortete ich.
„Ei, schäme Dich, ich werde Dir einen Urlaub
verschaffen."
„Ach ja, Muttchen, einen Urlaub, einen Urlaub,"
— schrie Maria — „einen Urlaub für hundert
Jahre." Ich warf dazwischen, daß man nur einen
vierwöchentlichen Urlaub bewilligen würde . . Maria
begann zu weinen und sagte:
„Nur vier Wochen lverde ich also leben?"
Dieser Ausruf erweckte in mir einen unbestimmten
Verdacht, allein es gelang mir, ihn sofort zu ver-
scheuchen. Die Schwiegermutter sprach indessen weiter:
„Theure Kinder, liebet Euch nur, ich aber werde
für Euch denken. Nicht eine Reise in's Ausland will
ich Euch antreten lassen, denn das ist bereits aus der
Mode gekommen. Auch will ich Euch nicht in der
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