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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 38 (??. September 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0204
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1900

Nr. 38

Lin Pantheon für Berlin

Für die Kleinigkeit von zwanzig Millionen
Mark möchte ein Schlaumeier-Consortium in Bcr-
lüt einen Häuserblock in der Nähe des dortigen
Schlosses der deutschen Nation aufhängen. Diese
soll dann für ein paar Dutzend weitere Millionen
dort eine „Ruhmes- und Ruhestätte" für große
Männer einrichtcn nach dem Muster des Marmor-
Panoptikums in der Westminster Abtei und des
Pantheons in Paris. Die Ausführung der Idee
und natürlich die Zuerkennung der Ehrengräber und
Denkmäler blieb demDentschen Reichstag überlassen.

Was nun die Mittel zur Erfüllung dieses neu-
eutdeckten dringenden Bedürfnisses betrifft, so kann
darüber kein Zweifel sein: wir bauen, wie wir
denReichstagsbnuausder französischeu Kriegs-
entschädigung errichtet haben, das Pantheon
ans der chinesischen — wenn mir eine kriegen!
Also, die Geldfrage wäre gelöst! Auch die Frage,
wer das Pantheon baut, ist nicht schwer zu ent-
scheiden: wallot darf es aber jedenfalls nicht
sein, sonst kriegt die Geschmacklosigkeit einen zwei-
ten Gipfel. Den Skulpturenschmuck besorgt, ivie
immer, Reinhold Begas, die Wandmalereien
werden nach Origrnnlcntwürfc» von Lnackfuß
hergestellt. Eröffnet wird das Etablissement mit
einem Festspiel von Josef Lauff. Dann folgt
die Jnbelonuerture von Weber, für den modernen
Geschmack verbessert von Stabstrompeter Rulicke.

Aber: wenn das Pantheon fertig ist, wer soll
darin ein Grab oder ein Denkmal bekommen?
Wen wird der Reichstag von unseren Todten
oder Lebendigen als großen Mann anerkennen?

Bismarck? Tcnr haben sie ja nicht einmal
zu seinem 80ten Geburtstag gratulirt!

Goethe? Niemals! Der Mann hat ja eine
Liebschaft gehabt mit einer Pfarrerstochter und
noch dazu einer protestantischen! lind überhaupt..!
3- 33.: Die römischen Elegien!

Schiller? Ja, wenn er die „Räuber" und die
„Kapnzinerpredigt" nicht auf dem Kerbholz hätte!

Richard Wagner? Der alte Achtundvierz-
iger? — Ja Kuchen!

Rank? Ein Philosoph ist immer was Ver-
dächtiges ! Man kann nie wissen, für was er Einen
ansehcn würde I Nein!

Heine? Der Jndenjnnge, der die Frechheit ge-
habt hat, ein deutscher Dichter zu sei»? Nein!

Molrke? Dieser typische Vertreter des Mili-
tarisinns? Nein I

Luther? Dann streikt das Centrum bei der
nächsten Flottenvorlage? Nein!

Beethoven? Der Unpntriotische, der lieber in
Oesterreich gegessen, als in Deutschland gehungert
hat? Nein!

Gutcnbcrg? Der Mann ist ja Schuld an
der ganzen Aufklärungsmisere I Nein!

Berthold Schwarz? Na, was der gekonnt
hat, hätte jeder von den Reichsboten auch fertig
gebracht! Nein!

Und so weiter! Vor dem deutschen Reichstag
gibt es keinen großen deutschen Mann! In
ihm sitzen ihrer so was wie 397! Und den Lebend-
igen von heute würde es nicht besser gehen, als
den Todten von heute, wenn die Lebendigen erst
einmal gestorben wären. Das deutsche Pantheon
würde leer bleiben — so bleibe es auch nngebant!

Im Eichenschatten von Friedrichsruh, in der
Fürstengrnft zu Weimar, im Garten von Wahn-
fried und in der Schloßkirche zu Wittenberg schläft
sich's tausendmal besser als dort in Berlin, wo die
Blechmusik der Garderegimenter täglich vorüber-
klirrt! Nein! Keinen Mann und keinen Groschen
für ein Berliner PantheonI Hans

. JUGEND .

Beim Zeitungslesen

Lin welfenblättchen erzählt seinen Lesern
von einem Volksfest in l) elm st e d t (B r a n n-
schweig): „Ls wurde u. A. ein großer
Luftballon in Gestalt eines großen Löwen
hochgelassen; als derselbe in beträchtlicher
Höhe war und einen Blick in das an-
g r e nz e ndepre u ß e n gcthan hatte, flog
er wieder zurück, zu dentreuenB r a n li-
sch weigern, bei denen er bleiben wollte.
Die Festtheilnehmcr ergötzte cs sehr, wie
der Papier Löwe Preußen wieder den Rü-
cken kehrte. - wenn der „große Luftballon
in Gestalt eines großen Löwen" hätte ahnen
können, was es in Brannschweig für Scha-
denfrohe Menschen gibt, wäre er bestimmt
nach Preußen wcitergeflogen!

Im steirischen Marburg wurde ein
Protestant zu einer Woche strengen
Arrests vernrtheilt, weil er den Hut nicht
abnahm, als ein katholischer Kaplan auf
einem Versehgang vorübcrkam. Der Mann
ist ja noch furchtbar billig weggekommen

-Braten! Braten! Braten!

Vor Kurzem wurde Prinz Prosper
Arenberg zur Verbüßung der ihm in
zweiter Instanz auferlegten Strafe für sein
bekanntes afrikanisches — Abenteuer —
aus Berlin forttransportirt. Lr trug Uni-
form. - Dic deutsche?

wie die Blätter melden, hat ein schlesi-
sches waarcnhans die örtliche Steuer»
bclastnng dadurch wieder ausgeglichen, daß
es die Steuer bei — seinen Ange-
stellten als Kopfsteuer wieder er-
hebt. Könnte der Ausgleich nicht einfach
durch Straßenraub oder Einbruchdiebstahl
bewerkstelligt werden? Verboten ist das
freilich aber doch wesentlich anstän-
diger! -

Die Seligsprechung der Kres-
zentia Höß aus Kaufbenren kann vor-
aussichtlich Heuer nicht mehr stattfinden, da
die Kosten noch nicht aufgebracht sind, welche
mehr als 80,000 Mark betragen. so,ooo
Mark — das ist freilich ein Bissel thener,
aber in Anbetracht eines berechtigten na-
tionalen Ehrgeizes hoffen wir, daß der
bayerische Landtag die Summe in's Bud-
get einstellen und bewilligen wird. Zudem
wäre das wieder die reizendste Gelegenheit
zu einer Nachsession!

Staatssekretär von P o d b i e l s k y ist zur
Belohnung für die flinke Fertigstellung des
Kabels Emden-New-Vork a lg siiiie
des Zieten-Hnsarenregiments gestellt
worden, wie wir hören, stehen für die
nächste Zeit noch einige ähnliche Auszeich-
nnngcn bevor. Graf Waldersee wird,
wenn er siegreich von China heimkehrt,
zum Gbcrpostrath befördert und dem
Grafen B ü l o w ist für die geschickte Führ-
ung unserer auswärtigen Angelegenheiten
der Titel eines königl. preußischen
Akademie-Professors zugedacht! Auch
die Ernennung 211 iqncls zum Bof»
kapellmerster soll nächstens erfolgen.

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Register
Hanns (Hans): Ein Pantheon für Berlin
Julius Diez: Michel am Kerbholz
[nicht signierter Beitrag]: Beim Zeitungslesen
 
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