Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 41 (08. Oktober 1900)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0240
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1900

JUGEND

Nr. 41

ßr ünnhilde

Hans Tlioma (Karlsruhe)

Wagner in Frankreich

Von I)enri Eicbtenberger, Professor an der
Universität Nancy

Deutsch von Friedrich von Gppeln-Broiiikswski

^„Was Richard Wagner angeht," schrieb Nietzsche
i, 1,1888, „so greift man mit Händen, nicht viel-
leicht mit Fäusten, daß Paris der eigentliche Boden
für Wagner ist." Das klang ehedem allen denen
paradox, die da wußten, bis zu welchem Grade
Wagner sich selbst für einen spezifisch germanischen
Künstler hielt, und ganz unglaublich kam es solchen
vor, die sich durch die lärmenden wagnerfeind-
lichcn Kundgebungen irreführen ließen, deren Schau-
platz Paris war und die Nietzsche „den ungesitteten
Lärm, mit dem man sich in Frankreich gegen Richard
Wagner sperrt und wehrt," genannt hat. Heute
bestätigt es die Zeit, Die Thatsache ist unbestreit-
bar, daß Richard Wagner zu den Komponisten
zählt, die von unseren Künstlern auf's eifrigste
studiert und von dem gebildeten französischen Pub-
likum am höchsten geschätzt werden. Seine Musik-
dramen machen nicht nur dem alten Repertoir der
Pariser Oper, sondern auch dem unserer Provin-

zialbühnen Konkurrenz, weswegen sich denn auch
gewisse Zeitungen regelmäßig über das Ucberhand-
nehmen fremdländischer Werke auf den französischen
Bühnen beklagen, Frankreich sendet jedesmal eine
beträchtliche Pilgerzahl zu den Vayreuthcr Fest-
spielen, und wenn die Macht der Mode auch mit
zu den Ursachen dieser Wallfahrt zu rechnen ist,
so wäre es doch recht kindlich, den Snobismus
als einziges Agens anzusehen, das die Franzosen
nach Bayreuth treibt. Schließlich scheint es mir,
als ob Wagners Musik der Masse des unsere
klassischen Konzerte besuchenden Publikums augen-
blicklich die meiste Freude bereitet. Es hört sich
Beethoven und die großen Klassiker mit einem
durch großen Respekt gedämpften Behagen an,
während cs bei der neuesten Musik, die sein Ver-
ständniß nicht selten übersteigt, oft die unbestimmte
Furcht hat, zum Besten gehalten zu werden oder
sich durch unangebrachte Bezeigungen seines Bei-
falls oder Mißfallens zu blamiren, Werke dagegen,
wie die Tannhäuser-Ouverture, der Walkürenritt
oder der Traucrmarsch ans der Götterdämmerung,
sind gerade modern und zugleich klassisch genug,
um ihm einerseits alle Sicherheit und andererseits
völlige Befriedigung zu geben.

Auch in der Presse und in der Kritik sind die
für Wagner ungünstigen Stimmen sehr selten ge-
worden, Selbst der Nietzschekultus, der sich seit
den letzten Jahren bei uns entwickelt, hat dem
Wagncrkultus keinen nennenswerthen Abbruch ge-
than; die Verehrer Zarathustras halten, so glaube
ich, fast alle an der Bcwirndernng des großen
„Zauberers" fest, dessen Verführungskiinste und
Lockmittel Nietzsche mit so leidenschaftlicher Heftig-
keit denunzirt hat. Der Anliwagnerianer ist heule
eine fast ausgestorbene Spezies, Saint-Saöns,
den man zuweilen als solchen bezeichnet hat, schreibt
in Bezug ans Wagner: „Also zugegeben: groß
wie Homer und Aeschylns, wie Shakespeare und
Dante." Was könnte er mehr sagen, wenn er ein
Wagnerianer wäre? Man kann den Franzosen
wirklich nicht mehr vorwerfen, sie schmälten Wagner,
Im Gegentheil könnte man sie eher tadeln, daß
sie ihn zu sehr vergöttern. Wenigstens hat dies
erst kürzlich Saint-Saöns gethan, als er, über das
ungeheure Anschwellen der Wagner-Litteratur in
den letzten vierzig Jahren besorgt, und von dem
Ton der meisten dieser Schriften unangenehm be-
rührt, im vorigen Jahre in der Revue äs Paris
einen Aufsehen erregenden Artikel über die Ge-

68;
Register
Hans Thoma: Brünnhilde
Henri Lichtenberger: Wagner in Frankreich
 
Annotationen