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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 42 (??. Oktober 1900)
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Nr. 42

.JUGEND

1900

6s gebt ein finstres ödesen um,

Das nennt steh Jesuit;

6s redet nicht, ist still und stumm,
llnd schleichend ist sein Critt.

6s trägt ein langes Crau'rgewand

ünd hurjgescbornes Haar

dnd bringt die Nacht zurück ins Land,

Mo schon die Dämm’rung war.

(Aus „3efuitenlieöer“ von Hermann v, Gilm,)

Rom und das Deutsche

fj&an liest und hört nicht selten die Behauptung,
x> daß Bismarck mit der Einleitung des Kul-
turkampfes einen großen und unbedingten politi-
schen Fehler begangen habe. Aber der Fehler war
nur bedingt. In der Rechnung war der Faktor
des allgemeinen direkten Wahlrechts
außer Acht geblieben, was allerdings anffallend
genug ist, da Bismarck selbst dessen Bater war,
Zu seiner Entschuldigung kann man anführen, daß
die politische Macht, welche der katholische Seelen-
hirte krast der Bindung über seine Herde zu er-
ringen vermag, dem protestantisch denkenden Staats-
mann nicht genügend bekannt, und daß zu Ende der
' 60 er Jahre dieser politische Einfluß Roms in Deutsch-
land noch nicht entfaltet, oder doch noch nicht „orga-
nisirl" war. Ob er überhaupt nicht entfaltet wor-
den wäre ohne den Kulturkampf, bezweifle ich;
denn es ist kaum denkbar, daß die günstige Kon-
stellation, welche der ecclesia militans durch das
deutsche Wahlrecht geboten war, seitens eines so
klugen Interessenten unbenutzt geblieben wäre. Herr
Dr Lieber hat es ja in Bonn ganz offen gesagt,
daß Rom die wohlwollende Konnivenz Friedrich
Wilhelms IV, auszunutzen verstanden habe. Ich
glaube vielmehr, daß wir auch ohne Kultur-
kampf zu einer gleich umfassenden Mobilisirung der
klerikalen Normalmenschen in Deutschland gekom-
men wären, wie wir eine solche der Sozialisten,
der Agrarier und der Schutzzöllner erlebt haben.

Ja es scheint, daß die Entfaltung demagogi-
scher Einflüsse von dem Augenblicke ab in Rom
geplant gewesen ist, wo nian — es war um Sadowa
— mit einer deutschen Hegemonie des protestant-
ischen Preußen rechnen mußte. Aber man glaubte,
der sehr umständlichen, um 1866 (ohne das allge-
meine direkte Wahlrecht) noch zweifelhaften inne-
ren Mission eine rascheren und größeren Erfolg
verheißende äußere Aktion vorausschicken zu
können, und so entstand 1870 die politische Kom-
bination: Unfehlbarkeit und revanche

pour Sadowa, ein groß und weit angelegter
Plan, dessen klägliches Mißlingen, insoweit er die
deutsche Frage betraf, den Spiritus rsetor in Rom
zunächst aus Rand und Band brachte, dann aber
zu einer um so energischeren Sammlung der parla-
mentarischen Hilfstruppen anspornte. Wer gegen-
über diesem sehr durchsichtigen Gang der politischen
Thatsachen noch immer behauptet, Bismarck und
nicht Rom sei der intellektuelle Urheber des
Kulturkampfes gewesen, der ist entweder dumm
oder schlecht.

Auch das wird kein zugleich Ehrlicher und Ein-
sichtsvoller leugnen, daß die Hochmögenden der
Papstkirche nicht nur gegen das D eu t s ch e R e i ch,
sondern gegen alles Deutschthum einen tiefen,
kaum verhohlenen Groll hegen. In Rom wittert
man hinter jedem Deutschen einen unsicheren Kan-
tonisten, der sich möglicherweise einmal erfrechen
könnte, über kirchliche Dinge eine eigene Meinung

zu hegen. Wir Deutschen Alle, auch die
Katholiken, auch die Herren Lueger und
Roeren (diese allerdings fast ohne GrundI) sind
in den Augen Rom's suspektl Nur so läßt
sich die konsequente Vernachlässigung — hier stief-
mütterliche Behandlung, dort geradezu Ver-
folgung — alles Deutschthums und die Be-
günstigung des Polnischen, Czechischen, Magyari-
schen, Französischen und Italienischen erklären.
Der erste beste kroatische Mausefallenhändler ist Rom
lieber als alle katholischen Philosophen und Theo-
logen deutscher Zunge zusammengenommen I Der
innerste Kern des tiefgehenden Zwiespaltes ist
nicht die Frage „ob römisch oder protestantisch,"
sondern der Gegensatz zwischen dem römischen
und deutschen Geiste. Und wenn es — wo-
rauf ja auch in höchsten Kreisen Deutschlands ganz
offenkundig hingearbeitet wird — selbst gelänge,
unter dem tolerant klingenden Titel der „Wieder-
vereinigung der Konfessionen," oder durch minder
harmlose Gegenreformation den kirchlichen Pro-
testantismus zu Falle zu bringen, so
bliebe immer noch die deutsche Sprache der
Goethe und Schiller, der Luther und
Bismarck, der Kant und Feuerbach, die
nach Möglichkeit zu „entdentsetzen," zu ent-
mannen und von den slavischen und roman-
ischen Grenzgebieten her konzentrisch auszu-
rotten wäre. Die deutsche Sprache, wie sie
sich nicht nur seit, sondern schon lange vor

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Walter Püttner: Der Jesuit
Georg Hirth: Rom und das Deutsche
 
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