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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (??. Dezember 1900)
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Nr. 50

JUGEND

1900

Die

„Religionsfreiheit" der Klerikalen

Das Lentrum hak im Reichstag einen Antrag auf
Durchführung der Reiigionsfr ei heit im deut-
schen Reiche eingebracht, wonach in Wahrheit alle
persöntiche Freiheit in Reiigionssachen vernichtet und
Alles unter die Rtacht des Klerikalismus gebeugt
werden soll, vor Allem handeit es sich um die Zu-
lassung der Jesuiten und um ungehinderten Leeten-
fang. Denn „nach beendetem J2. Lebensjahre,"
so heißt es im Gesetzentwurf, „steht dem Kinde die
Entscheidung über sein religiöses Bekenntnis; zu."
U f. w.

Truxbt Fhr's gehört, naive Seelen.

Daß jetzt das Lentrum Freiheit will?

Der Fuchs hat wider's ibühncrstehlen
Sich ausgeklügelt eine Bill!

Das heißt, wen» stbr's beim Licht betrachtet.

Die Diihner stiehlt er ferner auch,

Doch künftig werden sie geschlachtet
Nur mehr für seinen wcrthen Lauch!

Blas daß kein Buhn im sekien Stalle
vor seinen Zähnen sicher sei,

Nein, alle Bühner frei sind, Alle,

Für ihn zum Schmause, vogelskci!

Daß Keiner fürder im Gehege.

worin er wildern will, erscheint

lind ihm ein. Tellereisen lege

Das ist die Freiheit, die er meint l — —

wir haben ihn schon oft betroffen
Aus unverschämter Bintcrlisi —

Netzt weiß ich nicht, ich sag es offen,
tvb's Frechheit, oder Dummheit iitl

stch bin der Deutung nicht kapabel,
wonach des Gauners Meinung sieht —

Und ein's nur tröstet mich: die Fabel
vom Kruge, der zum Brunnen geht!

Er wird in seinen Lügenwerken
Fa täglich dreister, der Musjeh
So müssen sie's am Ende merken
Sogar am grünen Strand der Spree!

„Jugend“

Des Volkes Munsck

„Zwischen Kaiser und dem Volke,"
Wangenheim entrüstet ruft,

„Bilden Kreise eine Wolke,

Die nicht von besonder'm Duft.

Sie verdunkeln oft dem Lenker

Seinen freien, hohen Blick-“

Hol' der Teufel diese — Stänker
Zu des Reiches Heil und Glück! 1,0.

Ls war in der großen Mongolei
Nachts um die zwölfte Stunde,

Da machten der Gerippe zwei
Um ihre Gräber die Runde.

Und Jedes das Andre zu fragen begann,
warum es nächtlich wandre.

Das eine sprach: Bin Dsch i ngisch an.
Timur nannt' sich das and're.

Und Dschingischan sprach sorgenvoll:
„Was wird aus meinem Skelette?

Jch weiß nicht, wohin vor Goßlers Groll
Ich meine Gebeine rette."

Doch traurig warf ihm Timur ein:

„Lr wird sich den Teufel scheeren
Um Dein Gebein und mein Gebein,

Lr trägt weit bess'res Begehren:

Lr heischet Ersatz, Zreund Dschingischan,
verderben seh' ich grinsen;

Die Schadensumme wuchs riesig an
Durch vieler Jahrhunderte Zinsen.

Wenn mit den Zinsen ganz und voll
Die Schuld er will erheben,

Und China für uns zahlen soll —

So viel Taöls kann's nicht geben."

Doch Dschingischan sprach: „Timur geh',
So schlimm wird's wohl nicht werden!
Schau nur, wie sie haust, die deutsche Armee
AUHier aus chinesischer Erden!

Da wüthet ein Jeder fürchterlich
Mit Z uerbrand und Säbel,
Zehntausendmal ärger, als Du und ich —
Zum Wenigsten sagt es der Bebel!

Drum, Timur-Leng, schlaf' ungenirt
Jn Deinem Grabe weiter,

Weil unsere Schuld sich kompensirt
Mit jener der deutschen Streiter!"

So sprach der selige Dschingischan
Zu Timur, dem Äalmuken,

Da schlug es Eins, da krähte der Hahn,
Da hörten sie auf, zu spuken!

w.-o.

(Life)

842

Line 8krlrnuen§inänner'8ersammlung
in Tirol

Drcnitatischc Scene im Stil des weiland Kandidaten Jobses.

Personen:

Der Hochwürdige Herr Dekan.

Der Viccbürgermeister, der Kirchpropst, ein halbes
Dutzend klerikaler Landtagsabgeordneter, mehrere
Pfarrer ntid Ginnten des Dekanats-Sprengels, ver-
schiedene andere Kirchenlichter aus deni Biirgerthum,
sämmiliche als Chor.

Sechs Unberufene.

Der Hochwürdige Herr Dekan
Meine vielgeliebten, andächtigen Zuhörer,

Die Wahl unter den Kandidaten wird immer schwerer.
Drum wollen wirnicht länger im Unsichern schwimme»
lind auf Dipauli vereinigen unsere Stimmen.

Das ist der richtige Mann ohne Flecken und Tadel,
Ein frommer Katholik und dazu noch vom Adel.
Hat wer was dagegen, so mög' er melden sofort es,
Denn selbstverständlich hat hier Jeder die Freiheit

des Wortes!

Der Dipauli war stets eine Stütze von Altar und

Thron —

Erster Unberufener

Da haben wir Bauern nit g'lebt davon!

Wir wollen nix mehr wissen von dem Weinbaron!

Chorus

Schmeisit's ihn hinaus! (Erster Unberufener wird au
die Luft gesetzt.)

Der Hochwürdige Herr Dekan

Rach dieser unliebsamen Störung
Lad' ich Euch ein zur weiteren Anhörung.

Bedenket vor Allem die Würde des OrteS,

Doch hat selbstverständlich Jeder die Freiheit des

Wortes.

Wir werden in unfern harten Zeiten
Kaum einen sindc» mit gleichen Fähigkeiten!'

Zweiter Unberufener

B'sonders im Weinverschneiden!

Chorus

Schmeisit's ihn hinaus! (Zweiter Unbcrnseuer fliegt
hinaus.)

Der Hochwürdigc Herr Dekan

Nach dieser abermaligen Störung
Find' ich ganz begreiflich Eure Empörung.

Solang unser Kandidat im Ministerium gesessen,
Hat er stets gewahrt des Volkes Interessen!

Dritter Unberufener

Davon haben ivir nix g'spürt!

Hat er sich vielleicht bei der Weinzollklansel g'mnckst

oder g'rührt? —

Chorus

Schmeisit's ihn hinaus! (Geschieht mit grosier
Promptheit.)

Der Hochwürdige Herr Deka»

Nach dieser erfreulichen Säuberung des Lokales
Komme endlich zur entscheidenden Wahl es!
Bedenkt nur, wie bescheiden ist unser Kandidat,

Jn christlicher Demuth sucht ec gar kein Mandat.
Register
W. O.: Die zwei Mongolen
Redaktioneller Beitrag: Die "Religionsfreiheit" der Klerikalen
Monogrammist Frosch: Zeichnung zum Gedicht "Die zwei Mongolen"
Laurin: Eine Vertrauensmänner-Versammlung in Tirol
Lo.: Des Volkes Wunsch
 
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