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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 8
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1901

J U G E r D

Nr. 8



Julius Die2 (München)

Emil: Aber gnädige Frau, ich versichere
Ihnen.... wenn Sie ahnten, wo sie jetzt ist

Agathe: Das ist ganz gleichgiltig; keineswegs
ist sie in Ketten geschmiedet und Sie sind es auch
nicht.

Emil: Aber es gibt auch Ketten, die

Agarhe: Nein.

Emil: Wenn Sie wüßten, wo sie ist!

Agathe: Warum geht sie nicht fort? Warum
üehcn Sie nicht hin? Berkleidet, wenn es nicht
anders möglich ist — als Kellner — als Irr-
Unniger. — Warum holen Sie sie nicht?

Emil: Ich weiß gar nicht, was ich Ihnen
antworten soll.

Agathe: Allerdings ist es gefahrloser, sich
ans dem großen Bären ein Rendez-vous zu geben.

Emil: Gnädige Frau, es ist eigentlich komisch,
daß ich mich bei Ihnen entschuldigen muß —
ad er schauen Sie, man kann doch nickt wegen
einer Viertelstunde — wegen eines Augenblicks
ioviel — alles — riskiren.

. Agathe: Das ist eben der Jrrthum. Wenn
ah Ihnen erzählen würde, was einmal eine mei-
ner Freundinnen wegen einer solchen Minute
oder Stunde gewagt hat... .

Emil: Bitte, erzählen Sie, vielleicht kann ich
was lernen.

Agarhe: Ich versichere Ihnen, daß es mir
darauf nicht ankommt. (Sie schweigt)-

Emil: Ich bitte Sie!

Agathe: Was denn?

Emil: Die Geschichte Ihrer Freundin.

Agathe: Es war offenbar eine Nacht wie
heute, cs war sogar die Slilvestcrnacht, das weiß
ich. Meine Freundin —

Emil: Sie ist längst todt.

Agathe: Selbstverständlich. Aber damals
lebte sie und war verheirathet.

Emil: Und hatte sieben Kinder.

Agathe: Was fällt Ihnen ein?

Emil: Ich sage das, um meinen Verdacht
abzulenken.

Agathe: Sie hatte kein Kind — zu jener
Zeit kaum einen Gatten. Aber sie waren nun
einmal ein Paar und so gaben sie gemeinschaft-
lich ein Fest, so eine Art Familienfest, wie heute
in diesem Hause — ja. Aber er, der, den sie
liebte, war nicht geladen.

Emil: Er gehörte eben nicht zur Familie.

Agathe: Niemand kannte ihn- Der Gatte
und er hatten sich nie gesehen. Aber meine
Freundin wollte mit ihm zusammen sein, gerade
in dieser Stzlvesternacht — und er mit ihr; denn
sie liebten einander, und da es nun einmal ein
Fest war, wollten sie es zusammen feiern. Und

sie thaten es auch.

Emil: Ja — aber wie?

Agarhe: Auf die einfachste Weise von der
Welt. Er wartete im Wagen, nicht weit vom
Hansthor, von Mitternacht an, und meine Freun-
din verließ das Haus, ihre Wohnung, ihre Gäste,
ihren Mann, während man tanzte, spielte, trank.

Emil: Wie? Wie konnte sie das thun?

Agathe: Wie man Alles kann — : indem man

es thut. Sie eilte zu dem Wagen, in dem er
ivartete, und stieg ein.

Emil: Unglaublich I Und dann?

Agathe: Dann fuhren sie zusammen in den
Prater. Es.. - muß wunderschön gewesen sein.
Eine Nacht etwa wie heute, Schnee, überall Schnee
und alles still vor lauter Schnee. Und unten in
der großen Allee sind sie wahrscheinlich ausge-
stiegen und Arm in Arm spazieren gegangen und
waren... wahrscheinlich glücklicher, als man es
auf irgend einem Sternbild sein kann. Und eine
Stunde, nachdem sie fortgegangen, war die Frau
wieder daheim unter ihren Gästen.

Emil: Ohne daß es Jemand gemerkt hätte?

Agathe: Das will ich eben nicht sagen; viel-
leicht war ihre Abwesenheit dem Einen oder dem
Andern ausgefallen — aber da sie nun doch
zurückkam-

Emil: Ja — sie kam zurück — und doch —

Agathe: Es hätte schlimm ausgehcn können,
meinen Sie?

Emil: Ja, das mein' ich allerdings. — Wenn
der Gatte der Sache nachgeforscht — wenn er
entdeckt hätte....

Agarhe: Ja — dann wäre es eben mißglückt;
er hätte sie davongejagt.

Emil: AHI was für ein Muth! Was hat
Ihre Freundin nicht Alles auf's Spiel gesetzt!

2lgarhe: Ja, wenn man nichts auf's Spiel
setzen will....

Emil: Schade, schade....

Agathe: Was?

ny
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Julius Diez: Scherzo
 
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