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Nr. 9

JUGEND

1901

der Barbar ist bloS mit der Seele fromm; der
Kulturträger auch mit der Zunge. (Skandirt):
Sprach's und wandte sich d'rauf zum flaschen-
belasteten Waschtisch.

Zeigte dem Spiegel die Zähne und griff zur

borstigen Bürste,
Rieb das Email mit Bedacht nach den Seiten
sowohl, wie nach aufwärts,
Siehe, da glänzten sie gleich wie Blüthen der
südlichen Mandel.
Es gibt kein Versmaaß, das so den Localton
des Aschermittwochs hätte, wie der alte, brave,
schleifbeinige Hexameter. — Herr Professor vr.
Johann Heinrich Boß, ich gestatte mir eine kleine
klassische Libation! (Er ergreift das Glas Mu»d>
wasser und gurgelt. Darauf putzt er sich die Zähne):
Nun komme Tag, daß ich dich küssen kann! (Stellt
sich breitbeinig vor einen Spiegel): Emil, Adels-
mensch und Kulturträger, — wie siehst Du aus!
Ein Angesicht wie Käse,

Die Beine knick und matt, —

Wohl dem, der Aschermittwochs
Keinen Spiegel im Hause hat-
Ob die Marquise heute auch so wie Camem-
bert aussieht?

Ein Camembert, umrahmt von rothen Locken,
Es starrt der Blick, und alle Pulse stocken,

Und Du erkennst, o Mensch, wenn Du bei

Sinnen bist,

Vor diesem Bild, daß Aschermittwoch ist.

Es ist doch sehr ein nachdenklicher Tag. Die
Insuffizienz aller Genußorgane stabilitirt sich als
ein roollsr äs bronze vor der matschen Seele
wie ein gigantisches Ausrufezeichen, und man
steht mit einem consirmandenhaften Gefühle von
Betroffenheit da. — Leben, meine süße Geliebte,
kannst Du mir noch gut sein, da ich so schlecht ge-
wirthschaftet habe? Hast Du noch Blumen für
mich und Früchte, oder blos den leeren Korb?
Nimm' mich bei den Ohren, stell' mich in eine
Ecke, wie einen schlechten Schüler, laß' mich auf
Erbsen knieen und den Sekt an Deiner vollen
Tafel cariren, — aber gib mir keinen Korb auf
immer. Augenblicklich ist mir zwar schwach zu
Muthe, und ich fühle, daß ich mir den Magen
verdorben habe, aber es gibt ein Wort, das heißt
Diät, und hinter diesem Worte lächelt die Hoff-
nung. Fasten, — ja! Vierzig Tage lang fasten
wie der Johannes von Sudermann, den man nicht
aufführt, aber ich muß gewiß
fein, daß Du mir dann wie-
der gut bist, Du mit den ro-
then Lippen, Du mit der vol-
len Brust, Du mit den nie
untergehenden Sonnen Dei-
ner huldreichen Augen! Ge-
biete, und ich will Drillichan-
züge tragen vierzig Tage lang
im Schnitte von Predigt-
amtskandidaten. Gebiete, und
ich will vierzig Tage lang
Knorr's Hafermehlschleim es-
sen. Gebiete, und ich will
meiner Tante täglich Ohnets
Romane vorlesen vierzig Ta-
ge lang. Aber dann mußt
Du mich wieder in Deine
Arme nehmen, meine süße
Geliebte. Du sollst mir dop-
pelt lieb sein dann, und
ich will keinen Tag so hoch
preisen, wie den Aschermitt-
woch, den Tag der großen
Diät! —

Rasimir: Gnädiger Herr?

Der Dandp: Ist das Bad geheizt?

Rasimir: Zweiunddreißig Grad.

Der- Dnndp: Ist der Masseur da?

Rasimir: Jawohl.

Der Dandp: Die Manicure?

Rasimir: Jawohl.

Der Dandp: Und welches Pferd?

Rasimir: Lux, der Rothfnchs.

Der Dandp: Sind Sie bei Sinnen? Ist das
ein Aschermittwochsgaul? Bestellen Sie Lex, die
behäbige Schimmelstute!

Rasimir: Sehr wohl!

Der Dandp: Dann können Sie jetzt in die
Kirche gehen.

&

Rnotenbock

von Arthur Dolitscher

Knotenbock heißt ein kleiner, buckliger Schreiber
im Salzversteuerungsamt. Seit Kurzen: trägt er
das linke Auge verbunden und die Nase hoch,
die Kollegen wollen ihn kaum wiedererkennen.
Das kam so:

Als ganz junger Bursch — denn so weit muß
die Chronik zurückgreifen! — als ganz junger
Bursch schmückte sich Knotenbock mit den herrlich-
sten hellblauen Schlipsen, die in der Stadt aus-

zntreiben waren, allein sie hatten Mühe sich be-
merkbar zu machen, denn das spitzige Kinn lag
so dicht ans der runden Brust, wie ein Schiffs-
schnabel ans dem Globus; kaum daß man ein
wenig Kielwasser von ihnen sah. Dafür fuchtel-
ten ein paar lange Hände in blutrothen Glacös,
die sogleich Jedermann in's Auge springen muß
teil, und das war Knotenbock eben recht, denn
er war ein eitler Bursche. Als er dann älter
geworden war, suchte er der Welt schon mit per-
sönlicheren Vorzügen zu imponiren, so mit seinem
Vornamen Bskar, der so sein klang in der vor
stadt, wo er zu Hause war. „Mein Name ist
Mskar!" das klingt doch fein? Aber er sagte
cs sonderbar gepreßt, und seine kleinen Augen
funkelten dabei unruhig und fragend zu deu
Mädchen hinüber, die sich in ihrer Ecke ganz dicht
an einander schmiegten, Knotcnbock von der Seite
anblickten und erst verstohlen, dann immer mnthigcr
kicherten. — Und wie dann die fünf, sechs laugen,
pechschwarzen und seidigen Härchen ans dein
spitzigen Kinn herausgeschossen waren, da lagen
sie über einer abgenützten, schwarzen und fettigen
Spottgeburt von einer Halsbinde und bewegten
sich blos, wenn Knotenbock den verkniffenen Mund
anfthat, und das geschah selten. Auch sagte er,
wenn er seinen Namen neunen «nutzte, jetzt ein
fach: Knotenbock! und lächelte dazu bitter in sich
hinein, denn er hatte irgendwo von Schicksal und
Vorherbestimmung gelesen. Doch hinderte ihn
dies nicht, all die Mädchen und Weiber und Frauen-
zimmer, die ihm auf der Straße begegneten, so
ingrimmig und feindselig anzuschauen, als trügen
sie und nicht das Schicksal die Schuld an seinem
Unglück.

Jahrelang pendelte der kleine Bucklige zwischen
der trübseligen Wohnung und dem staubigen Amt,
dem staubigen Amt und der trübseligen Wohnung
hin und her, hin und her. Die alte Mutter starb.
Die alte Dienerin wurde immer älter. Die Straßen,
durch die er mußte, verjüngten sich, protzten ans
tausend Schaufenstern und Bogenlampen mit viel
zu hellein Licht und aus seinem Fenster unter'm
Dach konnte Knotenbock auf die fröhlichen Menschen
hinunterschauen, die an einander vorüberhuschten,
auch einander nachblickten, hie und da stehen blie-
ben, sicherlich um verliebte Worte zu tauschen und
tändelnd zu erlangen, was ihm ewiglich versagt
war. Dann warf Knotenbock das Fenster zu,
setzte sich auf die Bettkante und stützte die Vhreu
in seine spinnebeinlangen Hände.

Denn das Leben hätte so schön werden können!
Im Amt war's gut sein, bis auf den widriqen
Geck, der Jahraus Jahrein nichts wußte, als mit
feinen Eroberungen prahlen, Loni, Gertrud, der
dicken Lenta und wie sic
hießen, zu Haus auch — bis
auf die alte taube Magd, die
er haßte, weil sie selber eine»
Buckel bekommen hatte vor
Altersschwäche, auch war
etwas vermögen vorhanden,
aber an den Häusern in den
Straßen und der Liebe in den
jungen Jahren mußte man
sich vorbeidrücken, um nur
je eher wieder von den Men-
schen weg zu sein, die um
so lebensfroher wurden, je
tiefer er sich in feine gZual
hineinwühlte. Und so wäre
Knotenbock vielleicht aus der
Welt gegangen wie ein ver-
drießlicher Sonderling aus
einer sonntäglich überfüllten
Gasse, wenn sich an einein
Abend im letzten Herbst nicht
etwas ereignet hätte, daran
seine Seele sicb kerzengrad
aufrichtete in dem kleinen
buckligen Körper.

Als er nämlich an jenem
Abend durch die noch helle
Index
Emil Orlik: Zeichnung ohne Titel
Arthur Holitscher: Knotenbock
Josef Rudolf Witzel: Zeichnung ohne Titel
 
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