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1901

. JUGEND

Nr 9

Der F)auber>stock

Nenne nicht mit' schnödem Sinne
Dieses Teuflein hier barock,

AVeil es sich zum Ziel der Minne
Auserlas den Haubenstock!

Hand aufs Herz: AVie oft am Ende
Hat Dein sinniges Gemüth
Für verwandte Gegenstände
Ganz beträchtlich schon geglüht?

Haubenstöcke, Kleiderpuppen
Fand es himmlisch — oder nicht?
Freilich fielen Dir die Schuppen
Recht verspätet vom Gesicht]

Leo Put: (München)

Und Du hast sie hochgepriesen,
Die als Engel, die als Fee,

Bis das Wunder sich erwiesen
Endlich — als Papiermache I o

Straße heimwärts schlich, stürzte ans einem Thor-
weg ein weiberfchrei auf ihn zu: „Jeffus, Maria
und Josef!" und zugleich empfand er einen so
brennenden Schmerz im Gesicht, daß er hinschlug
und das Bewußtsein verlor.

Als er dann zu sich kam und das rechte Auge
aufschlage» konnte, hörte er, wie der Doktor der
alten Magd sagte, daß das linke verloren sei
und daß der Vitriol sonst keinen Schaden ange-
richtet habe, außer einer winzigen, verirrten Munde
am Ainu, die fiel? unter der kühlenden Salbe nur
noch durch ein sanftes Kitzeln verrieth.

Kuotenbock räusperte sich verwundert in seinem
Bette, denn all' dies war so wenig verständlich!
Mem hatte er denn was gethan, dafür er nun
gar mit dein Augenlicht büßen sollte? Das rechte
Äuge starrte durch den Plafond geradhinauf zu
Gott im Himmel und frug: ist denn mein Kreuz
noch nicht schwer genug? Es liegt wahrhaftig
so schwer ans mir, daß ich bucklicht gehen muß
darunter . . . Aber da setzte sich die alte Magd
händeringend an das Bett des Einäugigen und
hieß ihn das heile Auge schließen, wie's der Arzt
verordnet hatte, und Knotenbock that es willig,
weil die Geschichte, die er jetzt mit langen Um-
schweifen und vielem Gethue zu hören bekam,
sich wie ein Traum anhörte.

Eine Verwechslung! Ein Frauenzimmer hatte
ihn für ihren Geliebten gehalten, der sie treulos
verlassen, um eine andere zu heirathcu. Armer
Knoteubock! jammerte die Magd immerzu, so ein
guter, stiller Herr, der doch gewiß nie mit einem
Frauenzimmer zu thnn gehabt, geschweige denn
eines betrogen hatte! Sagte _ es, seufzte tief,
wischte sich die Augen und ging dann in die
Küche, um einen frifdjen Eisbeutel.

wie sie aber wiederkam, da faß Knotenbock
aufrecht im Bett und starrte sie mit seinem übrig-

gebliebenen Auge durchdringend au. Dumme
Person! Nie mit den Frauenzimmern zn thnn
gehabt? wo sie ihre Weisheit denn herhabe,
he? Daher etwa, daß er nie mit seinen Aben-
teuern geprahlt hatte vor ihr? Dazu war sie
ihm zu alt und zu taub gewesen, verstanden!
Schon als ganz junger Bursch hatte er es mit
den Frauenzimmern, und wenn er erst erzählen
wollte, was er in den letzten Wochen .. . Drei
auf einmal habe er gehabt! Die Loui aus dem
Bürgcrbräu, die dicke Lenta von den finstern
Bögen und eine Gouvernante, die Gertrud hieß
und weiß Gott die fremden Sprachen sprach.
Keine Frauenzimmer! Geschwätz!! Nun thut
sie mir den Gefallen und schcert sich in die Küche
hinaus.

Und die alte Magd, die ihren Herrn all die
Jahre noch nicht so viel auf einmal reden gehört,
trippelte bestürzt in die Küche hinaus. Knoten-
bock legte fick) unter seinem Eisbeutel tief in die
Kiffen zurück, mit der Binde auf seinem Auge
und zupfte an den fünf, sechs seidenen Härchen
am Kinn, von denen zum Glück keines versengt
worden war. Nichts mit den Frauenzimmern
zu thnn gehabt? Etwa, weil er bucklig war?
Und der andere, mit dem ihn das elende Frauen-
zimmer verwechselt hatte? war der vielleidst
ein Adonis? Einen Buckel hatte er jedenfalls,
gerade wie er, Knotenbock, sonst läg er nidst hier,
im Bett, jawohl!

„Das e^len—de Frauenzimmer!" sprach Kno-
tcubock und schnalzte dazu so laut, daß die alte
Magd in der Küche cs hörte, obschon sic taub
war und ängstlich hereingetrippelt kam, um »ach
dem Befinden des Herrn zu fragen. Der hieß
sie niedersitzen und nun mußte sie erzählen, wie
das elende Frauenzimmer denn eigentlich aus-
gesehen habe, nun im Gesidst und so, rundherum.

Ul

Und die Alte begann haarklein zu berichten,
was die Nachbarsfraucn von dem elenden Frauen-
zimmer wußten. Daß Gott erbarm: groß und
blond und dick war sie gewesen, mit starkem Busen
und breiten Büsten . . .

Knotenbock blinzelte. So, so, also blond und
groß und dick, jawohl, so war's gerade reckst, denn
für die Mageren hatte er doch nichts übrig!

„He?" machte die Alte und neigte ihr Ghr
zu dem Patienten.

„Daß sie ein dummes, altes Weib ist, Hab'
ich gesagt, sonst nichts; na, und angezogen war
sie auch irgendwie?" Mit großem Gejammer
fuhr die Alte in ihrer Erzählung fort. Allein
sie kam nickst weit, denn cs schellte im Flur.
„Da sind sie ja schon!" rief Knotenbock ans und
sprang vor Schrecken fast aus dem Bett. Dann
befahl er der Magd ganz besondere vorsichtsmaß-
regeln an für den- Fall, daß es die drei Damen,
Loui, Lenta und Gertrud wären, und legte fick,
erwartungsvoll zurück, denn cs war das erstemal,
daß ihn Jemand besuchte. Aber es war nur der
Kollege aus dem Ämt, der widrige Geck und
Weiberheld, der etwas pikantes gewittert hatte
und nun gekommen war, um von Knotenbock
selbst Näheres zn erfahren. Zwinkernd setzte er
sich zum Patienten und sckstug auf die Bettdecke
vor Vergnügen und Theilnahme.

Ei, ei, was waren denn das für Gesckstchten,
potztausend! Solch ein Vogel war er also, Knoten-
bock? Ein Don Juan, der nickst um die Ecke
biegen konnte, ohne daß Weiber mit Vitriol aus
allen Thorwegen auf ihn losstürzten. Ja, stille
Wasser sind tief! Und mit einem leisen Pfiff
klopfte der Kollege auf die Stelle, wo er Knoten-
bocks Bauch vermuthete. Der Kranke spreizte sich
und genoß zum erstenmal in seinem Leben das
Glück, beneidet zu werden. „Nun, da war ja
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Leo Putz: Zeichnung zum Gedicht "Der Haubenstock"
O. [Ostini]: Der Haubenstock
 
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