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1901

JUGEND

Nr. 10

Jeder wünscht sich einen Darren, der heranszieht seinen Rarren

Zensurgestank

MUenn der deutsche Philister im Reichstag oder
'ÄA wo nur immer zur Rolle des Herkules am
künstlerischen Scheidewege verurtheilt wird, dann
kann man darauf schwören, daß er sich als geisti-
l!cr Krüppel erweist. Nicht einmal das vielverhöhnte
«illigkeirsgefühl des deutschen Normalmenschen,
oas ABC der bürgerlich-moralischen Logik kommt
»ann noch zu seinem Rechte: in seines Geistes
Höhenrauch erstickt jedweder bessre Sinn, und
Dämmerung breitet sich um Kopf wie Lenden.

Glicht genug, daß man eine ganz besonders
abelriechende Philisterei unter dem hochtrabenden
j ltcl n„21)eaterjenfur" in den Adelstand der
beschränkten Unterthanenherrlichkeit erhoben hat,
n>cht genug, daß die hohe Polizei — oft zu ihrem
ebenen Verdruß — gehalten war, sich an diesem
skendei, Knochen die Zähne auszubeißen, — nein,
bht kommen sie sogar mit der unerhörte» Idee,
leies garstige Geschäft an Leute von literarischer
chulung und Bildung, an geschmackvolle Schrift-
»elehrte, vielleicht gar an selbstschaffende Schrift-
,*r SU Überträgen!

Lebten wir nicht im Lande der unverwüstlichen
lisch ^"eierei, so würde ich sagen: Es ist eine teuf-
- ee> eine Mausefalle, ein ganz abgefeimtes
seeleii >11111 ^nrm‘ und ahnungslose Künstlcr-
wer « •'11'3 Verderben zu stürzen. Denn
einem N» noch mit Ernst und Achtung z. B. von
andere» "^"endichter sprechen können, der eines
„Nichtaasc-^hnendichters Werk ex offlcio zur
Gar iocu tun0" kür — gut befunden hätte?
der Man»"--k1^ später Herausstellen sollte, daß
des beschairr Ötünbücf) geirrt, daß er die Moral
behüteten vp,,ne.n Dichters und die Intelligenz des
hätte? 3psrri, !l^.ums schnöde verkannt, unterschätzt
Zeiten z 1 Hu grober Fettfleck würde für alle
haften, wen» , ^>em Sonnenleben eines Goethe
— wen,, er nrl verzeihe die Blasphemie!

bern" sei,, oj. ' "sflzieller Zensor Schiller's „Räu-

Aber wir b° x,crn,eiSert hätte?

Regionen des in"11^11 uns gar nicht in so hohe
»m den GedankenarifdE)en Schaffens zu versteigen,
Zensur durch ßetner amtlichen Theater-
snhren. Soviel (fh 0 ^ 1 e g e n ad absurdum zu
der Feder im p.,:r, hat wohl jeder brave Soldat
ruthe nicht gxm bQ& et auf eine solche Leim-
^ sa, das ist ."amtnrg an einem Hoftheater
licher Zensor "°hEches Geschäft: aber polizei-
Schriftstefler bamt doch „nebenbei" noch

Mann wäre * bas ist unmöglich! Der

tchon beim ersten Schritte fertig, das

Recht der Feder hätte er verwirkt und unisono
würde ihm der Chorus aus dem verschlimmerten
Hamlet entgegendonnern: „Werde Kindergärtnerin.
Ophelia I"

Was sie nur wollen, die Hanswursten, daß sie
sich an diese armselige Theaterzensur klammern,
als wenn es sich um die letzte schwimmende Planke
bei einem Schiffbruch handeltel Haben die Hoch-
mögenden des beschränkten Unterthanenverstandes
nicht genug an ihren zahlreichen regressiven
Checks? Kann der Staatsanwalt nicht den über-
müthigen oder leichtfertigen Redner, kann er
nicht den Autor eines Buches, den Redakteur
oder gar den Verleger einer Zeitung sofort
packen, wenn die polisische Moral irgend ein ge-
fährliches Morgenroth wittert? Was haben ge-
rade die Theaterdichter oder vielmehr die Theater-
leilungcn verbrochen, daß man gegen sic, und
nur gegen sie das widerliche Institut der
präventiven Checks aufrecht erhalten will?

Staatsbürgerlichen Respekt kann ein ernsthafter
Mensch vor der Thcaterzcnsnr nicht haben. Alles,
was von „sittlichen Gefahren" gefabelt wird, ist
natürlich Humbug; der Hauptzweck ist die even-
tuelle Unterdrückung unbequemer politischer
Lehren und Beispiele, nicht etwa blos liberal!-
sirender oder sozialistischer, sondern überhaupt
solcher, welche der herrschenden Richtung nicht in
den Kram passen. Deshalb zweifle ich nicht, daß
sich dieses Instrumentes aus der Rüstkammer
Metternich'scher Staatsweisheit gelegentlich auch
die Jesuiten (wie eben jetzt in Madrid) und die
Sozialdemokraten (wie in Paris geschehen) be-
dienen werden, und daß auch in den Kreisen der
lieberalen Bourgeoisie und der Agrarier sich Kurz-
sichtige und Herrschsüchtige genug finden, welche
im gegebenen Fall damit zu „arbeiten" bereit sind.
Der weitsichtige Politiker, dem es wirklich um
das öffentliche Wohl zu thun ist, wird aus der
Aufnahme, welche ein seinen Absichten nicht ent-
sprechendes Theaterstück beim Publikum findet,
einfach lernen. Denn wie können die Konsuln
zusehen, ns quid u. s. w., wenn sie ihre Augen
mit einer Bauchbinde bedecken? Und wird nicht
durch solche Tyraunenmätzchen ganz direkt der staats-
gefährliche Größenwahn der Delphine gezüchtet?

Man lasse in Gottesnamen, wenn denn Staat
nnd Publikum „absolut" gerettet und geschützt
werden müssen, den Gerichten und meinetwegen
auch der Polizei das Recht oder sogar die traurige
Pflicht des Einschreitens, wenn wir Gehirn-
turner nach ihrer Ueberzeugung einen amtlich zu
beanstandenden literarischen Purzelbaum gemacht

haben. Aber man entziehe ihnen das Recht des
Vorgreifens, der präventiven Checks, der lite-
rarischen Abtreibung, und vor allem werfe mau
die Idee, zu Mitschuldigen an solchen Verbrechen
wider das keimende Leben anständige literar-
ische Kollegen zu machen, dahin wohin sie ge-
hört, - in die Wolfsschlucht! Georg Hirth

Finanzpolitische Pädagogik

Der Aeuß-Gcra-Schleizer Miguel
Fordert für das Menschenrecht
Der Geburt fünf blanke Nickel
Von dem zahlenden Geschlecht.

Er vermehrt die Steuerfelder
Und verlangt beim Eintritt schon
In die weit als Eintrittsgelder
Fünfzig Pfennig pro Person.

pädagogischen Gcmüthes
Zieht der kluge Steuermann
Rinder rcußischcn Geblütes
Zeitig in den Stcuerbann;

Drum erhebt er als famoser
Steucrschöpfcr Säuglingszoll —

Nie zu früh zahlt, wer ein großer
Steuerzahler werden soll. ist

Die dmmenschlacht
im Gesterreichischen Parlament

(3u dem Bild auf der folgenden Seite)

Der Kumpf, der in Men jetzt entbrunnen, macht
Er nicht den Effekt einer Hunnenschlacht,
lvie Herr von Kaulbach senior fjc
Gemalt für die Nationalgalerie?

Das ist ein Gebrüll, ein Drüber und Drunter,
Das ist ein Geraus', ein Hinauf und Hinunter,
Daß Einem schier Hören und Sehen vergeht
Und Keiner sein eigenes Mort nicht versteht!

Frei nach der Kaulbachischen Eomposition
Ist hier ein verkleinertes Abbild davon
Umstehend zu sehen und zur Belehrung
Geneigtester Leser folgt hier die Erklärung —
(Und der verwendete Vers des Knittel
Ist hiefür das passendste Ausdrucksmittel!):
Rechts da unten liegen herum
Präsidenten vom Ministerium,
lvie so der Reih' nach die braven Knaben
Gefallen sind (nicht gefallen haben!)

Da liegen sie zu ihrer Sünden Strafe
Der Eine davon ist der selige Taafe!

(Fortsetzung folgende «Seite.t

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Ist.: Finanzpolitische Pädagogik
Monogrammist Frosch: Jeder wünscht sich einen Narren
Georg Hirth: Zensurgestank
Hanns (Hans): Die Hunnenschlacht im Österreichischen Parlament
 
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