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Nr. 53

1901

. JUGEND »

faust auf dem üeberbrettl

Da das Interesse am Brettlthnnr immer wei-
tere Kreise des Publikums ergreift, und die zeit-
genössische Produktion bald nicht mehr im Stande
sein wird, allen Anforderungen zu genügen, da
es uns andrerseits auch als eine Pflicht der Pietät
erscheinen muß, unseren großen Gestorbenen, denen
dieses glänzende Bethätigungsgebiet dichterischer
Befähigung zu Lebzeiten leider verschlossen blieb,
noch nachträglich Eingang in die heiligen Hallen
des Brettls zu verschaffen, so hat sich ein findiger
und pietätvoller Brettldirektor entschlossen, altbe-
währte Meisterwerke der Literatur, die in ihrer ur-
sprünglichen Form für uns Moderne kaum mehr
genießbar sein dürften, für den Gebrauch des
Brettls zurechtzuarbeiten. Aus einem derartigen
uns güttgst zur Verfügung gestellten Manuskript:
„Faust auf dem Brettl"
geben wir folgende Probe:

(Erscheinung des Erdgeistes.)

Faust

Es wölkt sich über mir,

Die Lampe schwindet,

Es dampft — es zucken rothe Strahlen
Mir um's Haupt. — ES weht
Ein Schauer vom Gewölb herab
Und faßt mich an.

.Ich fühle ganz mein Herz Dir hingegeben.

Du mußt, — Du mußt, — und kostet es

mein Leben I

Eine dumpfe Stimme

Es kostet ein und eine halbe Mark Entröe,

An Deinem Leben liegt mir nichts.

Der Geist

(erscheint in der rothen Flamme und deklamirt)
Der grüne See starrte in sich selbst hinein
— Im Abendschein.

Der Horizont ward gelber,

Am Ufer blockten Kälber
Und ich, — ich

Schaute selber-

Ins Wasser hinein.

Faust

Schreckliches Gedicht!

Der Geist

In Lebensflnthen, im Citatcnsturm
Wall' ich auf und ab,

Wehe her und hin,

Geburt und Grab,

Und wundre mich, daß ich selbst
Nicht schon — begraben bin.

Faust

O weh!

Soeben sah ich noch röthlich ihn glühn,

Nun leuchtet er schaurig im Dunkelgrün,

Erhabner, wer bist Du im Feuerdunst? —

Der Geist

(verschwindet leider noch nicht):

Das Teloplasma für Höhenkunst.

Faust

Wehl- Ich ertrag Dich nicht. Beiimana

Gin Dementi

Scharf griff der Kaiser drein in diesen Wochen
In Potsdam, als er streng und zürnend sprach:
..Wer frevelnd mein Duellverbot gebrochen,
Den jag' ich künftig ans demHeer mit Schmach!"
So haben wir in einem Blatt gelesen.

Doch das Dementi kam gleich hinterdrein —
Behüt' Dich Gott! ES war zu schön gewesen,
Behüt' Dich Gott — es hat nicht sollen sein!

Wir hofften schon, die Thorheit werde enden,
Die Einen zwingt, wenn ihn ein Wort verdrießt,
Den Gegner in die Unterwelt zu senden,

Wenn nicht vielleicht — der Andre besser schießt!
Von altem Jrrthnm sahen wir genesen
Die Menschheit und und von schwerer

Blutschuld rein —

Behüt' Dich Gott! Es war zu schön gewesen,
Behüt' Dich Gott, es hat nicht sollen sein!

Wir hofften, in die Rumpelkammer wäre
Zu anderm Unsinn auch der Wahn gelegt,
Es schmücke Den die bessre Art von Ehre,
Der mehrlei Tuch und einen Degen trägt,
Es sei erkannt: der wahren Ehre Wesen
Sei allen wackren Sterblichen gemein —
Behüt' Dich Gott! Es wär' zu schön gewesen,
Behüt' Dich Gott, es hat nicht sollen sein!

Läßt wer im Rausch ein grobes Wörtlein fallen,
Das er als Nüchterner sich nie verzieh',
Wird's halt in Zukunft immer wieder knallen,
Womöglich gleich im Park von Sanssouci!
Wir hau'n und schießen ohne Federlesen
Vergnügt so weiter auf einander ein —
Behüt' Dich Gott! Es wär' zu schon gewesen,
Behüt' Dich Gott, cs hat nicht sollen sein!

Pips

Hn Houston Stewart Chamberlain

In Nr. 87 der Wiener Zeitschrift „Die Fackel"
veröffentlichen Sie einen Artikel mit der Ueberschrist
„Der voraussetzungslose Mommsen." Sie
vertheidigen darin das Vorgehen der preußischen
Negierung im „Falle Spahn", verdammen in
beleidigenden Ausdrücken den greisen Gelehrten we-
gen seines Protestes und sagen, daß Mommsen
verstehe, jede gute Sache zu einer schlech-
ten zu machen und keine Gelegenheit vor-
übcrgehen lasse, sein beneidenswerth rüst-
iges Polkabein zu sch Win gen— so auch kürz-
lich erst, als der Kampf zwischen Deutschen
und Tschechen hell ausflammte. Sie erklären:

„Auch hier konnte Mommsen ruhig schwei-
gen und römische Geschichte studiren: weder
er noch sein Vaterland war im Spiel; sprach
er aber, so war es seine Pflicht — seine Pflicht als
weitblickender Historiker, seine Pflicht als erfahrener
Jurist und Menschenkenner, seine Pflicht als Greis
an der Schwelle des ewigen Schweigens — be-
schwichtigend, aufklärend, gerecht zu reden. Doch
weit entfernt! Er setzt sich hin, schreibt
den unüberlegtesten, leidenschastlichsten
Brandbrief, daß der leibhaftige Ritter von
Schönerer es nicht ungeschickter, arrogan-
ter, aufreizender hätte machen können."

Da hört, Herr Chamberlain, denn doch die Ge-
müthlichkeit aus! Erlauben Sie, daß wir Sie an
einen Artikel über Wilhelm II. erinnern, den Sie
im Mai 1906 in der .Jugend' (Nr. 22) veröffent-
lichten und wo es heißt:

„Und keineUeberzeugung hege ich fester
und heiliger als die, daß die höhere Kul-
tur der Menschheit an die Verbreitung der
deutschen Sprache geknüpft ist."

In diesen Kamps um die Kultur, in diesen heiligen
Kamps um gemeinsame Sprache und gemein-
sames Volksthum, die durch Badeni's Verord-
nungen brutalisirt werden sollten, griff Mommsen
ein, mit jugendlichem Feuer, gerecht und aus-
klärend, mit Worten, die ihm kein Deutscher je ver-
gessen wird — und Sie, der Obiges in der .Jugend'
schrieb, wagen es nun, ihn gehässig zur Rede zu
stellen?! Mit größerem Rechte könnte man Ihnen
zurufen, Herr Chamberlain: was gehen Sie, den
geborenen Engländer, die häuslichen Angelegen-
heiten der deutschen Wissenschaft, die Haltung
Deutscher im Vertheidigungskrieg gegen die Tsche-
chen an? Hier könnten Sie ganz ruhig schweigen
— und englische Geschichte studiren. Auf diesem
Gebiet gäb es Gelegenheit genug sür Sie, Ihr be-
neidcnswerth vielseitiges Polkabein zu schwingen,
hier könnten Sie aufklärend, gerecht und beschwich-
tigend wirken, indem Sie z. B. mit den Worten
Christi gegen die Schandthaten Ihrer Landsleute
in Süd-Afrika zu Felde ziehen!

Seitdcni Sie in Potsdam zu Mittag gespeist
haben, scheint Ihnen jedes Verständniß für die
Regungen des deutschen Volksempsindens und die
Wallungen, von denen die Besten bei uns ergriffen
sind, abhanden gekommen zu sein. Es ist deshalb
auch kein Wunder, daß Sie, gleichfalls in diesem
Fackel-Artikel, Ihr Müthchen am Goethebund zu
kühlen suchen, indem Sie ihn bezeichnen als „jenen
Bund, der die Interessen der internatio-
nalen Zweideutigkeit im Allgemeinen und
die der Talentlosigkeit — auch derjenigen,
die nicht einmal pornographisch ist — im
Besonderen vertritt, dazu den hehren Na-
men Goethe's mißbrauchend."

Mit diesen Worten schlagen Sie der Wahrheit
und Tausenden ernster Männer in's Gesicht und geben
der Vermuthung Raum, daß Sie sich doch in ge-
wissen Dingen Ihren Namensvetter Joe, diesen
Meist erd er Verleumdung, zumVorbild nehmen
wollen. Mit Siegsried rufen wir deshalb Ihnen,
dem früheren Mitarbeiter, zu:

„Kehre Dich weg,
so weit Du kannst,
und komm' nie mehr zu mir!"

,, Jugend“

Liest des Ulcibnaebtsmanns

Schlaf', Herzenssöhnchen, und rühre Dich nicht,
Ruh' ist dem biederen Bürger ja Pflicht.

An Deinem Bettchen hält Tag und Nacht
Das Regiment Alexander die Wacht.

Lieb Herzenssöhnchen, wenn artig Du bist,
Kriegst Du auch etwas zum heiligen Lhrist:
Wieder mal andere Litzen — wie sehr
Freust Du Dich da — für das preußische Heer.

Bleib', Herzensbülowchen, immer so brav!

Weil Du so artig warst, wurdest Du Graf.
Wenn Du den Zolltarif durchbringen wirst,
Bringt Dir das Lhristkind am Ende den Fürst.

Dir auch, mein lieber, mein herziger Kerl,
Bringet das Lhristkiud was Schönes, o Scherl;
Siehe, ein Kaiserwort kräftig und schön,

August, das kannst Du nun deuteln und dreh'n.

Tausend! Sogar der Lommerzicnrath
Hat einen Wunsch, wenn der Weihnachtsmann naht.
Lines nur möcht' er geschenkt, ach herrje, —
Nämlich den Rest seiner Strafe, o weh!

Schlaf', Herzenssöhnchen, sei ruhig und still,
Schreibe nur, wenn die Regierung es will,
Nörgle nicht, schildere weiß nur in weiß;
Herzchen, dann kriegst Du den Schillerpreis.

Frido

ein gefährlicher Herr

„wohin denn so eilig?" fragte ein Abge-
ordneter den Dr. Heim.

„Ins Parlament! Dort wieder ein bißchen
Amokläufen!"

900
Register
Bellmaus: Faust auf dem Überbrettl
Frido: Lied des Weihnachtsmannes
Pips: Ein Dementi
Redaktioneller Beitrag: An Houston Stuart Chamberlain
Julius Diez: Überbrettl
[nicht signierter Beitrag]: Ein gefährlicher Herr
 
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