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Nr. 34

JUGEND

1902

sich vor Bertha hinsetzte, und die ganze rundliche
Person der kleinen Frau mit den Blicken maß.

„Du Inst noch viel hübscher geworden, Bertha,"
sagte sic schließlich aufgeregt und verlegen; Bertha
gab ihr freundlich und kaum weniger verlegen
eine Schmeichelei über ihr schönes reiches paar
zurück, das noch ganz das alte sei Dann kam
ein andauerndes Schweigen, während dessen
Gertrud der Andern mit nervöser Zärtlichkeit
über die pand und das Knie strich. Es war ja
so furchtbar schwer, das Gespräch zu beginnen!
Sie hatte der Glücklicheren geschrieben — um
pilfc. Nach langen, langen Kämpfen mit sich
selbst und mit dein Willen ihres überempfindlichen
kranken Gatten, Hatto sie den Brief abgeschickt,
als die Noth am größten war — gestern! Und
heute war die Gute schon da mit ihrem Packet
und da war nun pilfe! Die Augen der beiden
begegneten sich und was beit Frauen über die
Peinlichkeit der ersten Anssprache weghalf, das
waren die dicken Thränen, die ihnen gleichzeitig
über die Backen rollten, Dann lagen sie sich in
den Armen und Bertha schluchzte:

„Warum hast Du mich denn nicht früher ge-
rufen ? Du weißt ja, ich kann Dir so leicht —
das heißt — wenn man nicht einmal das könnte,
für was hätte man sich denn an einen reichen
Mann ver — verheirathon lassen!"

Es war ihr plötzlich der Gedanke gekommen,
der Noth der Armen hcinilich die eigene Scclen-
noth gegenüber zu stellen, damit sie nicht allzu-
sehr als die Beglücktere dastehe. Und der Gedanke
war nicht schlecht. Gertruds Antwort zeigte, daß
er die richtige Wirkung that. Die Frau in dem
verschossenen grauen Wollkleid kam sich innerlich
reich und stolz vor dem seideranschcnden schönen
Weltkind gegenüber, denn sie hatte sich ihren
Weg selber gewählt, hatte ihr Leben nach eigenem
Willen .gelebt. Mitleidig sagte sie zu Frau
Bertha: „Du armes Kind!"

„D ja — arm! Wenn Du nur wüßtest! —
Ach, wenn man die Kinder nicht hätte! Du mußt
sie sehen, sie sind zu goldig! Mein Erwin geht
nun das zweite Jahr in die Schule, Mary wird
im perbst fünf! Die Deinigen sind wohl ein
wenig jünger?"

„Der Junge ist sechs, das Mädel drei! Zwei
sind zwischen heraus gestorben!jj»

„Ach! — — — Und nun denke Dir! Meine
Beiden sind so furchtbar plötzlich gewachsen, daß
von ihnen noch fast ganz neue Sachen da sind,
die sic nicht niehr tragen können. Du sollst mal
sehen!"

„Sic zerrte an der Schnur ihres Pakets und
nahm die weißen Zähne zu pilfe, den Knoten zu
öffnen. Da lagen die perrlichkeitcn nun ans-
gebreitet — Wäsche, Strümpfe und ein paar
Anzüge! Nagelneue! Die Zettel mit Preis und
Firma waren noch daran. Tief erglühend wies
Gertrud darauf und sagte:

„Ich hatte Dich doch nur un: abgelegte Kleider
gebeten."

Bertha log fröhlich weiter:

„Ah - sich' mal! Nicht einmal getragen
haben sie die Sachen und sind schon daraus ge-
wachsen! Um so besser! Sei mir nur nicht böse,
liebe gute Gertrud."

Die Andere wandte sich ab und ihr Athen:
ging schwer. Da neigte sich die reiche Frau zu
ihr und sagte:

„Wollen wir einander Komödie Vorspielen?
Du brauchst pilfe und ich habe Dir über eine
kleine Verlegenheit weghelfen wollen und habe
cs dumm gemacht. Schau, wenn Dir mein
bischen guter Wille helfen soll, müsse» wir doch
ehrlich zusammen reden. Es geht Euch doch —
nicht gut."

„Nicht gut," antwortete die tonlos und ihr
Blick lief über die leeren Wände der Stube hin
und blieb dann auf der Thüre zum Nebenzimmer
haften.

„Dein Mann ist krank?"

„Seit drei Jahren. Bis dahin ging es ja.
Er verdiente wenig, obwohl ihn: keine Arbeit zu
gering war. Aber wir brauchten auch nicht viel
und hatten keinerlei Verpflichtungen. Du weißt
ja — ich habe :::ich von allen Rücksichten auf die
Fainilie freigemacht."

Sie hob den Kopf höher. Wenn sie auf Das
kau:, auf die große befreiende That ihres Lebens,
wie sie cs für sich nannte, erwachte ihr Stolz.
Und der war fast das Einzige, was sie noch als
uncntwerthetcs Eigen hatte. Mit der Liebe zu
den: zänkischen, verbitterten und in seiner wort-
reichen Selbstherrlichkeit oft so gransainen Kranken
da drinnen, war es auch nicht mehr weit her!

„vor drei Jahren wurde mein Mann krank.
Ein ererbtes Ucbel, das plötzlich da war und —
nicht wieder gehen wird! Er verdiente immer
weniger, schließlich nichts mehr. Ich selber konnte
nichts ins paus bringen, denn gleichzeitig mit
Ralphs Krankheit war unsere Kleinste gekonnnen
und ich hatte alle Arbeit allein zu thun. Da ging
denn zuerst unser armer Nothgroschen dahin, meine
Mädchensparkasse, weißt Du! Dann Schmuck, Silber,
Bilder und Bücher — zuletzt die Möbel! Unsere
Noth hat jetzt einen Grad erreicht, den Du Dir
kann: vorstcllen kannst. .."

„Um Pimmelswillen, wie ist das nur möglich!
Und die Deinigen? wendetest Du Dich nicht an
sie!"

„Nie! Mag kommen, was will! Mein Vater
hat Ralph in unerhörter Weise beschimpft, da-
mals — weißt Du! Er traf ihn bei mir, in
ineinen: Zimnier. Da hat er ihn mit der Peitsche
geschlagen und aus den: Pause gejagt. Ralph
wollte Vater vor die Pistole haben, aber er wurde
nur verhöhnt. Da bin ich ans den: Pause ge-
laufen und zog zu Ralph — wir konnten erst zwei
Jahre später heirathen, als ich volljährig wurde.
Unser kleiner B»b war schon auf der Welt. Mein
Mann würde lieber sich und uns tödten, ehe er
von: Vater was annähme!"

„Diese thörichten Standesvorurthcile sind an
Allen: Schuld!" sagte Bertha, un: irgend Etwas
zu sagen.

„Nein", stüsterte die arme Frau. „Ls wäre
ungerecht, wenn ich das gelten ließe. Mein Vater
hatte Ralph nicht kurzweg die Thüre gewiesen!
Er hatte — Ralph war ja noch sehr jung —
nur verlangt, er solle mich meiden, bis er sich
eine richtige Existenz geschaffen. Ralph ist Maler
— Du weißt! Vater wollte ihm auch bei seiner
weiteren Ausbildung behilflich sein und Ralph —
gab ihm die pand darauf, mul, nie heimlich zu
sehen. Aber, wir waren schwach. Und dann ge-
schah, was ich Dir schon gesagt. . ."

Die Klingel ging. Gertrud sprang auf und
kam mit ihren beiden Kindern wieder herein, einen:
blassen, schmächtigen Buben, dessen Augen seltsan:
schön und klug waren und einen: drolligen, kleinen
Mädchen. Bertha streckte ihnen die pand hin,
kramte dann unter den Sachen ihres Packets, und
suchte ein paar Spielsachen hervor, welche die
Kinder mit scheu verhaltener Freude cutgegen-
»ahmen. Sie ließen sich von der freindcn Frau
liebkosen und starrten sic mit großer Neugier an.
Gertrud fing einen Blick Bertha's auf, der übe:
die elenden Kleider der Kleinen hinglitt! Da rief
sie plötzlich in einen: fast wilden Ton:

„Gelt! Ar:::, aber reinlich, wie's in den Ro-
manen heißt! Schau, ich hätte inicl, ancb iininer
noch nicht entschlossen, bei Dir zu betteln, aber
die Fetzen halten den armen Dingern nur mehr
auf ein paar Tage znsaunncn und wie ich das
einsah, habe ich Dir geschrieben." Sie biß die
Zähne aufeinander und stöhnte — so schämte sic
sich. Und in kindischen: Trotz schüttelte sie den
Kopf und wollte Berthas freundliche Trostcswortc
nicht hören. Aber deren leise kosende pand spürte
sie auf den: Scheitel und sie that ihr wohl. Schließ-
lich fühlte sie ein knitterndes Papier in ihrer pand
und fuhr auf. Sie hörte jetzt Bertha sagen:

„Du mußt dies einstweilen nehinen und dann
noch mehr. Es ist für inich sehr leicht, Dir bannt
zu helfen. Mein Mann gibt mir gern, was ich
will. Nicht einmal Euren Namen braucht er zu
wissen. Ich sage ihm was von entfernten ver-
wandten! Gelt — Du nimmstl"

Sie nahm und sah auf das dickgeschwellte, bunte
Briefcouvcrt mit Chiffre und Krönlein, dessen In-
halt ihrem Elend ein Ende machte. Auf ein Wort
des Dankes hatte sie in ihrer Erregung ganz ver-
gessen. Aber weil sie sich so nainenlos schämte,
weil ihr das Blut in die Schläfen stieg, weil sie
nicht weich und jämmerlich erscheinen wollte mit
den: Alinoscn in der pand, wurde sie häßlich
und undankbar und cs war bitterer pohn in ihrer
Stimme, als sie sagte:

„Dein perr Geinahl ist wohl sehr reich? So
gut hättest Du's mit Deinen: paus freilich nie
bekommen!"

Sie erhielt keine Antwort, verwirrt und eigen-
sinnig, gerade weil sic einsah, daß es garstig war,
was sie that, fuhr sic fort:

„Wie hast Du ihn nur lassen können? Ihr
habt Euch doch so lieb gehabt! Und wie hast Dtt
den Mann nehmen können, der fast doppelt so alt
war, wie Du?"


Max Feldbauer (München)

jDrr Herr Mcygcvineister Knallproyer in München hat sich auch ein Automobil gekauft, spannt aber seine vier Rappen vor:

.Wt daß d'Lcut moana, unseroana kunnt sk koane Roß kafa!"
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Max Feldbauer: Herr Metzgermeister Knallprotzer
 
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