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Spinne Gifer

(mit Zeichnung von L. ». Zumbusch)

?l) dcr alte Mann auf Reifen ging,

* Svagt’ er erst die Hexe Siebenschlau:
«Schau, mein Weib ist so ein junges Ding,
'W), und ich bin alt und schwach und grau,
^^r bewahrt mir meine junge Frau?"

Sprach die Hexe: „Nimm die Spinne hier!
spinnt dein Weib in dichte Netze
Spinne :r‘ • "

ein:

— vcm Weib in dichte Netze
spinne Eifer ist ein kluges Thier
Wird dein Weib von ihr umsponnen sein,
Vleibt ihr Herz und bleibt dein Bette rein!"

Kam der Alte heim zum jungen Weib,

Setzt die Spinne Eiser ihr ins Bett.

Hu, das kribbelt ans dem nackten Leib!

Und sie sucht im reingewöhnten Bett,

Welch Gezicser solche Keckheit hcitt'!

Und die Spinne Eifer spann und spann,
Einen Schleier erst vor ihr Gesicht,

Uni das Hälslein, um die Brüstlcin dann
sieben Netze, eng und sest und dicht,

Und vergaß auch Schoos; und Husten nicht.

Akterchen sah zu uiid srente sich:

«Brav, mein Thierchen, hast es brav gemacht!
"ebe wohl, mein Schatz, und denk an mich.
Gib mir sein auf Thor und Truhen Acht!
Denk an deinen Manu bei Tag und Nacht!"

Alter ging. Dcr schlanke Buhle kam:

„Ganz in Schleiern? Welch ein Brautgewand!
Deine Wange glüht in holder Scham;

Weh, mit diesen Spitzen ans Brabant
Hat er wohl dein Herz mir abgcwandt!"

Sic umarmt ihn. Ach, wie brennt sei» Kuß,
Brennt sich tief in ihr Gespinnst hinein,

Und die Schleier schüren den Genuß.

„Du bist mein!" — „Du Lieber!" —

„Ewig dein!"

Spinne Eifer zieht die Beine ein.

Blieb kein Faden heil. Da klopft's am Thor.
Alterchen kehrt um. Du arme Frau!

Aber Spinne Eifer schießt hervor,

Hurre, schnurre, Alles wie zuvor!

O, du kluge Hexe Siebenschlau!

Isugo Salus

Bernhard Pankok

Ludwig von Zumbusch München)

„Mein Lebensglück"

@l(|Xid;t ohne ein wenig zu stöhnen, stieg die
VV kleine, gute Frau Bertha die fünf Treppen
herauf, die schmal, steil und nicht allzu reinlich
waren. Auf jedem Stockwerk dieses unfreund-
lichen Vorstadthauses waren drei lvohnungs-
thüren; fast jede von diesen öffnete sich, wenn
Bertha vorbeikam, und ans jeder fast guckte dann
neugierig ein mehr oder minder nachläßig ge-
kleidetes Weib heraus »iid sah mißgünstig der
feinen Dame nach, deren wafftröcke auf den
schwarzen Stufen Fron-Fron machten. Linen
Augenblick ertappte sich Frau Bertha auf einer
Art von Behagen über den Effekt, den das
Rauschen ihres Gewandes in der armseligen
Jinskaserne ausübte. Aber gleich darauf schämte
sie sich dieses Triumphgefühles wieder und eilte
hastiger treppaufwärts, das große Paket in ihrer
pand mit einiger Mühe schleppend.

Endlich war sie oben im vierten Stock. Die
mittlere Thüre trug eine kleine zerbrochene Por-
zellantafel mit dem Namen von Gertrud's Mann.

verathmend und mit ein wenig Herzklopfen
stand sie vor dcr Thüre. Sic wußte, daß sie jetzt
großen Jammer sehen würde und hatte eine
seltsame Angst davor. Aber sie schämte sich wieder,
und riß kräftig an dem Alingelzug. Lin müder,
ein wenig schlürfender Schritt — eine scheue Frage:
Wer ist da? — und dann standen sich die beiden
Freundinnen zum ersten Mal nach acht Jahren
wieder gegenüber, Beide erregt, Beide ganz bleich.

Ueber einen dunklen, leeren Vorplatz zog
Gertrud ihre Besucherin in die Wohnstube und
nöthigte sic, Platz zu nehmen. Dann machte sie
hastig die Thüre ins Nebenzimmer zu, ehe sie

1902

Nr. 34
Register
Bernhard Pankok: Vignette
Hugo Salus: Spinne Eifer
Fritz Frh. v. Ostini: Mein Lebensglück
Ludwig Ritter v. Zumbusch: Zeichnung zum Text "Spinne Eifer"
 
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