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1902

JUGEND

Nr. 47

Jetzt zurück iit die Saulöchcr, che es Nacht
wird, — wer weiß, ob da nicht sich eine geheime
Grgie vorbereitet!

Langsam hinaufgestiegen im jetzt zähen Schnee,
der bis über die Schenkel reicht. Das Gipfelmeer
der Tauern entbrennt in phantastischer Gluth,
während unser Gebirge sich schon in schwere
Schatten hüllt.

was da alles sich herumtreibt in dem endlosen
steinernen Gewoge, an Mensch und Thier, an
Schmerzen und Lüsten, — wie unendlich klein es
Einen anmuthet, — alles Käfergeschichten.

Der Grat ist erreicht im Schweiße des Ange-
sichtes. Das erste Loch ist leer, aber eine gold-
frische Fährte kreuzt sie, und kaum das; ich mit
dem Auge ihr Ende erreiche, erblicke ich schon
ihren Herrn oben aus dem Felskopf.

Seine Silhouette hebt sich schwarz ab, von
dem sich bräunenden Horizont. Er äugt auf
die andere Seite hinab, sichtlich gespannt, trippelt,
schlägt mit dem Lauf, — verschwindet wie ein
Blitz.

Also da unten! — wir treten in die Fährte,
kreuzen das Loch.

Ehe wir die Stelle betreten, wo der Bock
sich abgcschwuugcn, wird Athen, geschöpft, eine
gute Meinung gefaßt, das Korn von Schnee
gesäubert.

Jetzt gilt's! — —

Auf, dicht an den Boden geschmiegt, langsam
vorgcbeugt, — gar orgicnhaft sah cs wahrhaft
nicht aus. Ein paar Fichtenstorren auf dein Grund,
ein Gewirr von verschneiten Steinblöcken, das
schwer Durchsicht gewährte, — und doch lag etwas
in der Luft, meine Jägernerven fühlten das. Der
Schnee war da und dort aufgewühlt, die Fährten
hatten etwas Erregtes, Leidenschaftliches. —

Plötzlich entdeckte ich schon Eines in dem gegen-
überliegenden Gehäng, eine Geis mit dem Ritz.
Angstvoll starr blickte sie in die Tiefe, ihre Flanken
zitterten, — dann noch Eines, weiter unten, allein,
ein schwacher Bock. — Dasselbe Starren auf einen
Punkt, dieselbe zitternde Erregung. —

was da wohl Erschütterndes geschehen zwischen
den Blöcken und Storren? Ls mußte unbedingt
für die Saulöcher etwas von der höchsten Be-
deutung fein.

Ich ahnte es und zog den Stecher an. Der
schwache Bock machte einen zögernden Sprung nach
abwärts, der kurze Bart sträubte sich auf seinen,
Rücken. —

Da stäubte der Schnee auf zwischen den Fels-
brockeu, — wie der Trust aus der Schachtel schnellte
der Richtige heraus, kohlschwarz, die Arukcn
hoch und weit, wohl aller Saulöcher unbeschränkter
Herr und König. Er stößt einen boshaften ge-
quetschten Laut aus und stürmt hinauf —

Die Geis bleibt stehen im starren Entsetzen,
aber der Junge reißt aus. kjicr ist Königsrevier!
In einem Hui ist er oben auf der Schneid. Er
aber äugt stolz und hoch ringsum, nach einem
weiteren Gegner. — Die Geis beachtet er kaum.
Eben will er wieder zurück, wohl zu den gestörten
Freuden des Grundes, — da blättere ich ihn au,
— ein jäher Ruck herum, mir zu, auf einen Fels-
block gesprungen, kampflustig erwidert.

Ich fühle etwas wie Freundschaft mit ihm,
dem alten Höhengeuosseu, — soll dich der Winter-
sturm fällen, die feige Noth, — wenn das Blut
dir vertrocknet? Gder soll cs dich troffen mitten
in der Hochfluth, auf dem gluthvollen Kamm
des Lebens? — — Da — Blitz und Rauch! —
So löse ich die Frage.

Er stürzt, hebt sich, — endet, •— und unter

ihm, zwischen dem Gestein und den Storren, stiebt
die Schaar seiner Lust auf, zwei, drei, vier, —
rathlos fliehend, dann wieder auf ihn blickend, —
auf den räthselhaften Frieden, der so plötzlich über

ihn, den Trotzigen, Glühenden gekommen.

Die Grube ist leer. Auf ihrem Grund, auf
breitem Stein, wie auf einem Vpfcraltar, leuchtet
ein fcucrrother Fleck mitten aus dem keuschen
weiß.

Hier beging ein Mensch die Feier der weißen
Woche, raunten sich die Gamsböck zu — und
mieden die Saulöcher für dieses Jahr. —

Fahrt durch die Welt

Und so fahren wir, und so fahren wir,

Und so fahren wir immer zu!

Durch der Bäume bräutliches Blühn,
Durch das blumenäugige Grün,

Durch das sonnige, saftende Saatenseld —
D Bruder, wie schön ist die Welt!

Und so fahren wir, und so fahren wir,

Und so fahren wir immer zu.

Durch der Gärten reisende Zrucht,

Durch des Lichwalds ruhende Wucht,
Durch der Blitze zuckende Wetterpracht,
Durch die friedlich blauende Sommernacht-
Und so fahren wir, und so fahren wir.

Und so fahren wir immer zu.

Durch des Spätwinds fröstelndes wchn,
Durch das fahle, das bange vergehn . .
Hüll' dich ein, hüll' enger dich ein,

Denn gefahren, gefahren muß sein!

Und so fahren wir, und so fahren wir,

Und so fahren wir immer zu.

Durch den Schnee, durch das starrende Lis,
Wo kein Leben vom Leben mehr weiß,
In den Tod, in den grauenden Tod,

In der Sehnsucht verglühendem Noth . .
Schlaf' nun ein, schlafe ruhig nun ein!
Denn du fuhrst, und du fuhrst nicht allein.

Und so fuhren wir — und so fahren wir:
Und so fahren wir immer zu.

Hanns von Gumppenberg

Ludwig v. Zumbusch (München)
Index
Ludwig Ritter v. Zumbusch: Der Führer
Hanns Theodor Karl Wilhelm Frh. v. Gumppenberg: Fahrt durch die Welt
 
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