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1902

JUGEND «

Nr. 51

Winterabend wuutaid Föhring (Leipzig)

Das Dachen der üodfen

von H. De Hora

Sch sehe ihn noch vor mir, den schlanken, hoch-
’ aufgeschossenen Jungen mit seiner hohen Stint
und dem ernsten Denkergesicht, welches so ernst war,
daß ihn seine Kameraden schon tu der Schule immer
„den Professor" nannten. So ernst, trotz seiner 23
Jahre und der friedlichen Welle des Glücks, in
der sein Leben dahinfloß. Und ich wußte auch,
woher diese Falten in seiner Stirne kamen und
der skeptische Zug um die Mundwinkel, der seinem
Antlitz etwas lferbes, Strenges, etwas so Unjnnges
verlieh! vom lhunger! Nicht vom lhunger des
Leibes, sondertt von jenem seelischen, den Raabe
so grauenhaft putzig zu schildern weiß, den: lfunger
nach Ehre, nach Glück, Wissen, Licht —■, nach der
Wahrheit! Und weil die Lüge immer lächelt und
die Wahrheit immer ernst ist, — deshalb war ihm
das Lachen so selten.

Und doch habe ich ihn noch lachen sehen, lachen
immerzu, stundenlang, unaufhörlich, lachen mit
all seinen weißen Zähnen und mit blauen Lippen

darüber-und dieses Lachen vergeh' ich nie!

— Es war ein Heller goldener Herbsttag, wo
sie ihn hinanstrugen aus dem Bperationssaal des
großen Krankenhauses in die kleine, weißgetünchte
Zelle, die er nicht mehr lebend verlassen sollte. Er
war nicht lange krank gewesen. Rasch und fest
hatte ihn das Verderben beim Genick gefaßt und
aus der heiteren gesunden Jugend seines Lebens
in den Abgrund des Sterbens hinabgeschleudert.
Irgend ein Unheilbares, das Unheil, war mit ihm
emporgekoinmen und riß ihn nun mit hinunter —
und die geschickten Messer des Lhirurgen waren
heute an dem stahlharten Schicksal abgeglitten...
er war verloren. Ganz weiß, ganz kühl, von
einem reifartigen Frostschweiß bedeckt, lag er nun
in den weißen Kissen und rang nach Luft. Ich
stand dicht hinter seinem alten Mütterlein, das
weinend den Kopf des Jungen auf ihren Arm
gebettet hatte und, nicht mit den Lippen, aber mit

den Augen fragend, von mir wissen wollte: „Doktor!
Ist es wirklich aus? Geht es wirklich zu Ende?"

Ach, ein Blinder hätte sehen müssen, daß es
zu Ende ging! Aber Mutterherzen sind sonderbare
Dinger! Blinder als die Blinden hoffen sie für
ihr Liebstes noch, wenn schon Alles verloren ist,
und wo das Mögliche aufhört, erwarten sie das
Wunder. Und es geschah eins!

Der Junge da im Arm seiner Mutter war todt.
Kein Herzschlag pochte, kein Athem hauchte mehr

— was wollte sie nun plötzlich, daß sie aufgeregt,
zitier>id alle Taschen ihrer Röcke durchsucht, emsig
herumkribbelt und nestelt, als hätte sie etwas
Wichtiges verloren? Und siehe, endlich zieht sie
aus Siebensachen und Plunder ein altes, vergilbtes
pergamentfetzchen empor, ein vergriffenes, zer-
knittertes Heiligenbildchen, und ein glücklicher
Glanz geht über ihre kummervollen Züge. Sie küßt
es, sie drückt es ihm in die kalte Hand und flüstert:
„Da! kfeinrich! Nimm schnell! Ein Ablaß —,
Ablaß in der Sterbestunde — es wird gut thnn..."

Aber Heinrich war todt, und brauchte keinen
Ablaß und kein Gebet und keine Amulette mehr

— und doch geschah ein Wunder! Die todten
Lippen haben sich leise geöffnet und sind anzu-
schanen wie ein ewiges Lächeln, wie jenes Lächeln,
das der sterbende Huß über ein anderes altes
thörichtes Mütterlein gelächelt — — —.

Sonderbar! Dieß Lächeln blieb bis zu jener
Stunde, als sie den nackten Leichnam auf den:
Sektionstisch nach der Ursache seines Leidens durch-
wühlten! Da standen sie herum, die hochwohlweisen
Doctores und Profeffores und starrten, die Köpfe
zusammensteckend, hinein in die Tiefe dieses kalten
Leibes, den sie wie die Maulwürfe aufgestoßen
hatten um das Licht herein zu lassen. © ihr
Maulwürfe I Wiemel tausend und tausend solcher
Mensbenhöhlen habt ihr schon aufgestoßen, und
das Licht ist eingedrungen —, und ihr seid blind
geblieben! — Da standen sie herum und es war
ein „Ah!" und „Interessant!" und „Wer hätte das
gedacht!" und so weiter, und sie fanden immer
neue und interessante Dinge da drunten in dem

rothen Leibe, während droben der weiße Kopf des
Leichnams, hintenübergebeugt über den Holzkeil,
seine trüben grauen Augensterne zur Decke richtete.
Aber wie? Geschah noch einmal ein Wunder?
Die blauen Lippen zogen sich plötzlich noch weiter,
noch lachender in die Höhe und zwei Falten an
den Nasenflügeln sahen aus, wie kleine klnge
Schlangen, die spöttisch zischelnd in die Winkel des
Mundes schlüpfen. . .

Dann trug man ihn hinaus in die Morgue.
Da lag er in einem schwarzen Rock wie ein Predigt-
amtscandidat, und ein enger Hemdkragen mit
weißer Binde schnürte ihm den Hals zu, den er
sonst allen Winden preisgegeben hatte, und sein
schwarzes Haar, das er nnr mit den fünf Fingern
zurücksträhnte, wenn es ihm gar zu wirr über die
grübelnde Stirne fiel, hatten sie glattgekämmt wie
den Pomadeschädel eines Ladenschwengels, und
ihn, dem die Gaffer ein Greuel waren, hatten sie
hier ausgestellt wie eine Fleischerwaare-—

Armer Junge, da begriff ich auch das dritte
Wunder und wußte, weshalb Dein Lachen immer
ärger, immer spöttischer ward von Stunde zu
Stunde!

Allein nimm Dich zusammen! Es ist noch nicht
aus. Hörst Du, wie sie sich an „Dein Fenster"
drängen und auf Dich deuten und sich erzählen,
weshalb und wieso Du sterben gemußt? Hast Du
nicht vor einem halben Jahr zu dreizehnt bei Tisch
gesessen, ist nicht das Bild eines verwesten Ahnen
vor acht Tagen plötzlich herabgefallen, hat nicht
Deine Tante gerade am Morgen Deines Todestags
ihren letzten Jahn verloren und bist nicht Du selbst
just an einem Freitage krank geworden? Genügt
das nicht Alles, um Dir Deinen Tod zu erklären,
mein Junge? Ja es genügt sogar, um Dich im
Tode lachen zu machen und nicht wundert es mich
mehr, daß jetzt Deine Lippen noch weiter offen,
Dein Grinsen noch höhnischer ist und daß sogar
Deine Zähne wie kleine weiße Mäuschen aus der
Höhle Deines Mundes spitzen .. .

Aber am schrecklichsten und spöttischsten wurde
das Lachen am dritten Tage, als die Besiattungs-

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Willibald Föhring: Winterabend
A. De Nora: Das Lachen der Todten
 
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