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1903

JUGEND

Nr. 2

3m bayrischen Malä

Walther Püttner (München)

OTit den festen Stiefeln werf' ich den Schnee
auf. Dort ist die Schonung. Aber sieh.... ich
bin doch nicht der einzige, der hier gegangen. Da
sind Spuren . . schwere tiefe Stapfen, fest und nicht
klein. Sie kommen drüben vom weg und gehn
auf die Schonung zu. warum sollt' ich denen
nicht folgen?

Wer war's, der hier gewandert ist gleich mir
durchs einsame Feld, das feine Spuren behalten
hat? Auch einer mit der weißen Sehnsucht? Lin
alter, ein Junger? war's der Holzfäller, der sich
den weg zum Förster kürzte? warum bin ich kein
Indianer — dann fragt' ich nicht. Der weiße
Falke oder der große Büffel, oder der springende
Panther, sie lesen aus den Stapfen die ganze
Biographie dessen, der seiner Straße zog. Aber ich?

Halt! Ich Hab' zu früh geklagt. Der Schnee
ist zertreten. Kleinere, zartere Stapfen stehn neben
den größeren. Sie sind von der andern Seite heran-
getrippelt, sie sind nicht so tief wie die andern. Und
hier haben sich die kleinen und die großen getroffen.

Nun führen sie, dicht nebeneinander, um die
Schonung herum. Der weiße Schnee fängt an,
Geschichten zu erzählen.

„Schadcrack, schaderack!" tönt es plötzlich rauh.
Als wär' ich auf verbotnen wegen ertappt, schreck'
ich auf. Ls sind die Llstern in der Schonung.
„Die Schalaster", sagte meine Großmutter, „hat
ein böses Maul wie die Nachbarin."

Diebösen Mäuler klatschten emsig. Die braunen
listigen Augen mochten mancherlei gesehn haben,
was die großen Füße und die kleinen Füßchen
betraf.

kfier hatten die Beiden stillgestanden. Lin Zweig
war geknickt, vielleicht hatte eine Hand vor Zorn
und Liebe in das Kieferbäumchen gegriffen —
trotz der Nadeln. Ls wächst mir aus den Stapfen
°>n breiter kräftiger Mensch auf. Falten stehn auf
^mer Stirn, die Lippen hat er zusammengepreßt.
, >",von der schweren ruhigen Art, die hierzu-
anoe lebt. Lr wackelt nicht her und hin, sondern

wo er einmal steht, da steht er. Die Spuren sind
sehr tief, als hätt' er sie absichtlich fest eindrücken
wollen. Lr bettelt auch jetzt nicht, wo das Mädel
ihm sagte, daß alles ans fein muß und daß der Vater
schon die Hochzeit mit dem andern bestimmt hat.

Aber das Mädchen ist dabei unruhig gewesen,
hat sich viel bewegt. Der Boden verräth es. Sie
hat ihm alles gesagt; sie will nur noch Abschied
nehmen. Iw Llternhaus ist strenge Zucht; Un-
gehorsam wird nicht gelitten. „Das ist mal so. .
da läßt sich nichts dagegen machen," spricht sie.

ward der Zweig in diesem Augenblick gebrochen ?
Und erwiderte der Mann nicht ruhig: „Das mag
wohl so sein. Dann ist das also zu Lnde." —?

Die Kiefernadeln haben seiner hartgearbeiteten
Hand wohl nicht weh gethan. Und die Llstern
haben gehöhnt und geschwätzt; böse Mäuler neiden
jedes Glück.

Am liebsten möcht' ich sie 'runterknallen. Aber
sie wissen, daß ich nur den Stock bei mir Hab'.
Dreist kommen sie näher. Ich seh' ihr Gefieder
glänzen: schwarz und tief blaugrün, jetzt leuchtet
auch das Weiße auf. von einem Baum und
Bäumchen gehts zum andern, wartet!

Die Schucekugel wird hart zwischen meinen

fänden. Ein Wurf-da reißen sie aus. Sie

sind schwerfällige Flieger, wie Nicht-Schwimmer,
die erschreckt im tiefen Wasser fortwährend mit
den Armen schlagen ohne Ruhe und Sicherheit,
so ähnlich sieht es aus, wenn sie mit krampfhaften
Flügelschlägen davonziehn. Bald fallen sie von
neuem ein.

Nun haben die großen und die kleinen Füße
den Platz auch verlassen. Noch einmal tönt ihnen
das krächzende „Schaderackl" nach. Aber der Mann
und das Mädchen horchen nicht hin. Line lange
Strecke gehn die Spuren noch nebeneinander. Dann
ist der Schnee wieder verwühlt.

Hat ein starker Arm das Mädchen gepackt?
Hat der Bursche sie wild an die Brust gerissen?
was hat er gesprochen? Ls thut fast weh, wie

die Stapfen jetzt auseinanderlaufen. Ieder führt
zwei Menschen weiter ab von dem, was ihnen das
Liebste war.

wenn ich hier stehen bleib', kann ich beide
verfolgen. Da gehen die kleinen. Tripp, tripp,
tripp — da verwischt sich die Spur, das Mädel hat
sich umgesehn. Aber Schritt für Schritt hat der
Mann gethan, mit jedem hat er etwas in den Boden
getreten: seinen Zorn? seine Liebe? seinen Schmerz?

Und welchen Spuren folge ich? Ich möcht das
Mädel sehn und fragen, ob es so war, wie es der
Schnee erzählt, oder ob ich falsch gelesen und nur
geträuint Hab.

Kann nicht das Glück auch hier geschritten sein?
Das Glück ... o, dann will ich nachlaufen bis vor
sein Haus. Lr hat mir den weg gezeigt den weg
über wegloses Land. Und wenn ich ihrl seh'?

Ls ist doch Unsinn, wenn ich ihn seh', find
ich doch nichts, was den weg lohnte, und mir
wird nur wieder das Gesicht gewaschen wie damals
Koch's Lmil. Nur in andrer Art...

Aus dem Schilf an der Havel steigen Wildenten.
Ls scheint, als wolle der Tag, der sich so klar
anließ, trüber werden. Und ich wandre weiter
mit meiner weißen Sehnsucht, bis ich selbst durch-
gefroren und steif bin wie ein Stück Holz.

Stunden vergehn. An die Stapfen denk' ich
noch immer. Ich denk' daran, als ich mit der
Bahn zurückfahr' — wieder hinein in die Riesen-
stadt, die keinen Winter recht kennt. Ls liegt
wirklich Schnee in der Luft. In der Nacht oder
am nächsten Morgen wird er fallen.

Und die Flocken, die sich ununterbrochen folgen
werden, sie werden auch Eure Fußspuren bedecken,
Ihr beiden Unbekannten, sie werden sich über Euren
Schmerz und Eure Liebe, über meine Sehnsucht
und über alles Glück und Leid der Erde senken.
Morgen sind die Zeichen verwischt.

Ist es nicht seltsam, wie wenig Geduld wir
haben? wo wir doch wissen, daß über ein Kurzes
alles glatt und für immer erledigt ist?

lS
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Walter Püttner: Im bayrischen Wald
 
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