1903
Aus -cm lyrischen
TagMH beß Lklilnants von Lerskwiß:
t. Der neue Iriff
Schloßwachc in Berlin mal jesehn
Aufzichn vsr Majestäten?
Anblick — janz überwältigend - schön I
Funktionirt wie an Drähte»!
Neuerdings »och durch Neuerung
weiteren Reiz jewonnen!
Majestät in jcnialcm Schwung
Neues Kommando ersonnen:
Heißt »ich mehr: „präsentirt das Jewehr!"
Sondern: „Zieht das Icwchr an!" —
Imponirte schon crsteres sehr,
Muthct uns dies noch viel mehr an.
Is in der Thal von berückendem Lharm:
Kerls so zu sehn, strack wie Kerzen,
Ruck! — das Iewehr in rechten Arm!
Rechte Hand hörbar auf Herzen!
Neuerung nur für Berlin leider da,
Bleibt sonst im Reiche bci’m Alten:
Majestät — wie bcjrciflich ja —
Schloßwachc Vorbehalten.
2. Ganz der paxa!
Rronprinzcnrcde jclescn. in Gels?
Herz mir jebubbcrt vor Freude!
Iicbt ihnen tüchtig was auf den pelz,
Msmmsen's Freunden von heute!
„Meine Stadt Gels"... Mir wohl jcthan!
Nöthig mal, dran zu mahnen:
Kerle denken ja kaum mehr dran,
Daß preußische Unterthancn!
Schneidige Tonart! Janz der Papa!
Ohne viel Zieren un Zimpern! —
Jlaubc, der läßt mal Jermania
Nich an die Wimpern klimpern!
Pflicht hcur, bei Dcmokratcnjeschimpf,
Zcijen, daß wir auf ihn stolz sind!
Hoffe nur, daß auch die andern fünf
Brüder aus jleichcm Holz sind!
Der schlancJonathan meint-, daß das stach-
lige Thierchen doch besser im grünen Haag als
im weißen Hause ausgehoben sei.
. JUGEND ,
Streiflichter der „Jugend"
'Äon physiologischem Schwachsinn im
Sinne des Herrn Dr. Paul Möbius könne»
wir in dem merkwürdigen Falle der Ge-
schwister Toscana kaum reden. Mindestens
wäre hier die Sache bisexuell. Ganz einzig
ist das Zusammenwirken eines Bruders und
seiner Schwester bei der Flucht in die
Dessen tlichkeit, dieses geheiligte Asyl un-
seres modernen Lebens. Es war eine Flucht
vor der geschlossenen Anstalt alias Klostermauern.
Darin liegt gewiß nichts physiologisch Schwach-
sinniges! Sonst bietet der Fall, rein mensch-
lich betrachtet, nur mehr oder weniger gepfef-
ferte Variationen des Themas der sogen, „freien
Liebe." Es gibt auch unter den Höchstbegabte»
und — Höchstgestellten viele Menschlein beiderlei
Geschlechts, welche das alte Schnürchen der
konventionellen Lüge für einen Stacheldraht
halten. Aber die Schlußfolgerungen, die wir
aus dem Falle der Geschwister Toscana für
unser gesammtes öffentliches Lebe» und das Ge-
deihen des Einzelglückes ziehe» können, sind von
großer Tragweite. Ich erlaube mir heute nur
folgende Andeutungen:
1) Der Hang zur physiologischen Untreue, das
uralte Angebinde aller temperamentvollen Evas-
töchter, läßt sich vielleicht von Männern be-
herrschen, die ihren Weibern nicht nur au Liebes-
kraft, sondern auch an Herzcnsgüte und Vor-
urthcilslosigkeit, „über" sind und die Kur nicht
anderen — Beichtvätern überlasse». Drum
prüfe, wer sich ewig u. s. w.
2) Es ist nicht gerathen, den Mund von
„Edelsten" und „Elenden" der Nation voll
zu nehmen, — wir sind allzumal Menschen!
3) Jesuitische Erziehung und Betnoppelei ist
nicht das, was sich für gewöhnliche, ge-
schweige denn für höher begabte Naturen schickt.
Alles, was Heuchelei und Aberglauben befördert,
ist unsittlich; die öffentliche Pflege solcher
Unsittlichkeit wird zum Verbrechen.
4) Wir brauchen, um allen Anforderungen
des modernen Lebens als Pflichtmenschen ge-
nügen zu können, doch andere Ideale als
solche der religiösen Askese und der Standes-
vorurtheile. Die Dressur in der Freiheit setzt
innere Freiheit voraus.
5) Es wäre ein nationales Unglück, wen»
solche Symptome, wie die Fälle Krupp und
Toscana, den reaktionären Maximen zu Gute
kommen würden. Auch für die Erziehung
gibt es, wie für die Wissenschaft, nur ein sitt-
liches Prinzip: Wahrheit und Aufklär-
ung, d. h. den Appell an die Intelligenz und
alle guten Instinkte des menschlichen Herzens.
Wer davon nicht genügend besitzt, der wird selbst
bei guten Anlagen den Weg zur Hölle schon
in dieser Zeitlichkeit unschwer finden.
6) Hebet keine Steine auf gegen die, die nach
Eurer beschrankten Einsicht gefallen sind; denn
Steigen und Fallen sind sehr relative Begriffe,
und das Glück ist wie ein Schmetterling, der sich
eher auf das Faß des Diogenes, als auf eine
Königskrone niederläßt.
7) Sparet Eure sittliche Entrüstung in
einer entsprechend großen Thonbüchse, und wenn
sie voll ist, die Büchse nämlich, dann werft sie
— meinetwegen unter den Klängen der National-
hymne — au die große Mauer, mit der sich die
Menschheit gegen die reine Lehre Christi um-
gürtet hat. Merkt Ihr nicht, daß diese Lehre
mit Sturmesgewalt Lebensweisheit werde»
will? Und höret Ihr nicht von Ferne die Brand-
ung der Freiheit? 8e«tg «irth
Marterl aus Oesterrerck
Von Kassian Kluibenschäd«!, CuifclcmaUr
Christ, sich' still und bet' ein bissel, daß uns
nicht jeder Hoffnungsschimmer
verlaß' beim Anblick von der deutsch-tschechischen
Verständigung kläglichen Trümmern!
Den lustigen Bau der Versöhnung haben die stein-
harten Böhmakenschädel aus Kies und Duarz
Wieder einmal eingerannt mit ihrem Memorandum,
voran der bissige Doktor Kramarz.
Auf den Ruinen tagt anjetzo, um zu heilen
die arge Differenz,
Neuerlich zum allgemeine» Gaudium eine
Verständigungs-Lonfercnz.
verständigen werden sich in unserm lieben Vester-
reich die Nationeil und Natiönchen zwar nie,
Doch brauchen wir mitunter zur erheiternden
Abwechslung eine derartige Komödie,
In der Herr v. Körber als Hauxtacteur gleich,
weiland dem Gotte pan auf grünem Rasen,
voll lieblichen Schmelzes kann auf seiner
Flöte Versöhnungslyrik blasen. —
Die Dffiziösen, Klerikalen, Konservativen
und polen
Freuen sich unbändig und tanzen dazu in
den lustigsten Kapriolen.
Natürlich glaubt dem Versöhnungsflötisten kein
Mensch auch nur einen einzigen Ton,
Die Tschechen betreiben deswegen unbehindert
weiter ihre Vbstruction,
Dem deutschen Michel wird ein bitteres
Tränklein nach dem andern kredenzt —
Gearbeitet wird überhaupt nichts, dieweilcn
das „hohe Haus" beharrlich faulenzt!
Und da behaupte noch einer, daß nichts los
in unserem Staat is
Bei dieser großartigen Versöhnungs-Aera!
Risum amici teneatis)
Klassisches Muster
Louise: „Eine Gesellschaft räumen, wo
ich nicht wohl gelitten bin — ist denn das
Sünde?" (Schiller, Kabale und Liebe V l.)
Bekanntlich hat Maria Theresia ihren
Wienern die Geburt eines Enkels von ihrer Loge
im Burgtheater in Vien durch den Ausruf an-
gezeigt:
„Der poldl hat ein' Buben kriegt!"
Heutzutage müßte sie rufen;
„Der Poldl hat die Adamovic kriegt!"
Der neue Plutarcb
Ein biederer Rheinländer war zu Be-
such nach Bonn gekommen und sah dorr einen
feudalen Borussen.
„was studirr eigentlich so ei» junger Herr?"
fragte er einen Bekannten.
„Philologie", bekam er zur Antwort.
„was heißt das?" fragte er wieder.
„Liebe zum Reden", lautete die Er-
klärung.
3°
Aus -cm lyrischen
TagMH beß Lklilnants von Lerskwiß:
t. Der neue Iriff
Schloßwachc in Berlin mal jesehn
Aufzichn vsr Majestäten?
Anblick — janz überwältigend - schön I
Funktionirt wie an Drähte»!
Neuerdings »och durch Neuerung
weiteren Reiz jewonnen!
Majestät in jcnialcm Schwung
Neues Kommando ersonnen:
Heißt »ich mehr: „präsentirt das Jewehr!"
Sondern: „Zieht das Icwchr an!" —
Imponirte schon crsteres sehr,
Muthct uns dies noch viel mehr an.
Is in der Thal von berückendem Lharm:
Kerls so zu sehn, strack wie Kerzen,
Ruck! — das Iewehr in rechten Arm!
Rechte Hand hörbar auf Herzen!
Neuerung nur für Berlin leider da,
Bleibt sonst im Reiche bci’m Alten:
Majestät — wie bcjrciflich ja —
Schloßwachc Vorbehalten.
2. Ganz der paxa!
Rronprinzcnrcde jclescn. in Gels?
Herz mir jebubbcrt vor Freude!
Iicbt ihnen tüchtig was auf den pelz,
Msmmsen's Freunden von heute!
„Meine Stadt Gels"... Mir wohl jcthan!
Nöthig mal, dran zu mahnen:
Kerle denken ja kaum mehr dran,
Daß preußische Unterthancn!
Schneidige Tonart! Janz der Papa!
Ohne viel Zieren un Zimpern! —
Jlaubc, der läßt mal Jermania
Nich an die Wimpern klimpern!
Pflicht hcur, bei Dcmokratcnjeschimpf,
Zcijen, daß wir auf ihn stolz sind!
Hoffe nur, daß auch die andern fünf
Brüder aus jleichcm Holz sind!
Der schlancJonathan meint-, daß das stach-
lige Thierchen doch besser im grünen Haag als
im weißen Hause ausgehoben sei.
. JUGEND ,
Streiflichter der „Jugend"
'Äon physiologischem Schwachsinn im
Sinne des Herrn Dr. Paul Möbius könne»
wir in dem merkwürdigen Falle der Ge-
schwister Toscana kaum reden. Mindestens
wäre hier die Sache bisexuell. Ganz einzig
ist das Zusammenwirken eines Bruders und
seiner Schwester bei der Flucht in die
Dessen tlichkeit, dieses geheiligte Asyl un-
seres modernen Lebens. Es war eine Flucht
vor der geschlossenen Anstalt alias Klostermauern.
Darin liegt gewiß nichts physiologisch Schwach-
sinniges! Sonst bietet der Fall, rein mensch-
lich betrachtet, nur mehr oder weniger gepfef-
ferte Variationen des Themas der sogen, „freien
Liebe." Es gibt auch unter den Höchstbegabte»
und — Höchstgestellten viele Menschlein beiderlei
Geschlechts, welche das alte Schnürchen der
konventionellen Lüge für einen Stacheldraht
halten. Aber die Schlußfolgerungen, die wir
aus dem Falle der Geschwister Toscana für
unser gesammtes öffentliches Lebe» und das Ge-
deihen des Einzelglückes ziehe» können, sind von
großer Tragweite. Ich erlaube mir heute nur
folgende Andeutungen:
1) Der Hang zur physiologischen Untreue, das
uralte Angebinde aller temperamentvollen Evas-
töchter, läßt sich vielleicht von Männern be-
herrschen, die ihren Weibern nicht nur au Liebes-
kraft, sondern auch an Herzcnsgüte und Vor-
urthcilslosigkeit, „über" sind und die Kur nicht
anderen — Beichtvätern überlasse». Drum
prüfe, wer sich ewig u. s. w.
2) Es ist nicht gerathen, den Mund von
„Edelsten" und „Elenden" der Nation voll
zu nehmen, — wir sind allzumal Menschen!
3) Jesuitische Erziehung und Betnoppelei ist
nicht das, was sich für gewöhnliche, ge-
schweige denn für höher begabte Naturen schickt.
Alles, was Heuchelei und Aberglauben befördert,
ist unsittlich; die öffentliche Pflege solcher
Unsittlichkeit wird zum Verbrechen.
4) Wir brauchen, um allen Anforderungen
des modernen Lebens als Pflichtmenschen ge-
nügen zu können, doch andere Ideale als
solche der religiösen Askese und der Standes-
vorurtheile. Die Dressur in der Freiheit setzt
innere Freiheit voraus.
5) Es wäre ein nationales Unglück, wen»
solche Symptome, wie die Fälle Krupp und
Toscana, den reaktionären Maximen zu Gute
kommen würden. Auch für die Erziehung
gibt es, wie für die Wissenschaft, nur ein sitt-
liches Prinzip: Wahrheit und Aufklär-
ung, d. h. den Appell an die Intelligenz und
alle guten Instinkte des menschlichen Herzens.
Wer davon nicht genügend besitzt, der wird selbst
bei guten Anlagen den Weg zur Hölle schon
in dieser Zeitlichkeit unschwer finden.
6) Hebet keine Steine auf gegen die, die nach
Eurer beschrankten Einsicht gefallen sind; denn
Steigen und Fallen sind sehr relative Begriffe,
und das Glück ist wie ein Schmetterling, der sich
eher auf das Faß des Diogenes, als auf eine
Königskrone niederläßt.
7) Sparet Eure sittliche Entrüstung in
einer entsprechend großen Thonbüchse, und wenn
sie voll ist, die Büchse nämlich, dann werft sie
— meinetwegen unter den Klängen der National-
hymne — au die große Mauer, mit der sich die
Menschheit gegen die reine Lehre Christi um-
gürtet hat. Merkt Ihr nicht, daß diese Lehre
mit Sturmesgewalt Lebensweisheit werde»
will? Und höret Ihr nicht von Ferne die Brand-
ung der Freiheit? 8e«tg «irth
Marterl aus Oesterrerck
Von Kassian Kluibenschäd«!, CuifclcmaUr
Christ, sich' still und bet' ein bissel, daß uns
nicht jeder Hoffnungsschimmer
verlaß' beim Anblick von der deutsch-tschechischen
Verständigung kläglichen Trümmern!
Den lustigen Bau der Versöhnung haben die stein-
harten Böhmakenschädel aus Kies und Duarz
Wieder einmal eingerannt mit ihrem Memorandum,
voran der bissige Doktor Kramarz.
Auf den Ruinen tagt anjetzo, um zu heilen
die arge Differenz,
Neuerlich zum allgemeine» Gaudium eine
Verständigungs-Lonfercnz.
verständigen werden sich in unserm lieben Vester-
reich die Nationeil und Natiönchen zwar nie,
Doch brauchen wir mitunter zur erheiternden
Abwechslung eine derartige Komödie,
In der Herr v. Körber als Hauxtacteur gleich,
weiland dem Gotte pan auf grünem Rasen,
voll lieblichen Schmelzes kann auf seiner
Flöte Versöhnungslyrik blasen. —
Die Dffiziösen, Klerikalen, Konservativen
und polen
Freuen sich unbändig und tanzen dazu in
den lustigsten Kapriolen.
Natürlich glaubt dem Versöhnungsflötisten kein
Mensch auch nur einen einzigen Ton,
Die Tschechen betreiben deswegen unbehindert
weiter ihre Vbstruction,
Dem deutschen Michel wird ein bitteres
Tränklein nach dem andern kredenzt —
Gearbeitet wird überhaupt nichts, dieweilcn
das „hohe Haus" beharrlich faulenzt!
Und da behaupte noch einer, daß nichts los
in unserem Staat is
Bei dieser großartigen Versöhnungs-Aera!
Risum amici teneatis)
Klassisches Muster
Louise: „Eine Gesellschaft räumen, wo
ich nicht wohl gelitten bin — ist denn das
Sünde?" (Schiller, Kabale und Liebe V l.)
Bekanntlich hat Maria Theresia ihren
Wienern die Geburt eines Enkels von ihrer Loge
im Burgtheater in Vien durch den Ausruf an-
gezeigt:
„Der poldl hat ein' Buben kriegt!"
Heutzutage müßte sie rufen;
„Der Poldl hat die Adamovic kriegt!"
Der neue Plutarcb
Ein biederer Rheinländer war zu Be-
such nach Bonn gekommen und sah dorr einen
feudalen Borussen.
„was studirr eigentlich so ei» junger Herr?"
fragte er einen Bekannten.
„Philologie", bekam er zur Antwort.
„was heißt das?" fragte er wieder.
„Liebe zum Reden", lautete die Er-
klärung.
3°
Georg Hirth: Streiflichter der "Jugend"
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
[nicht signierter Beitrag]: Klassisches Muster
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Monogrammist Frosch: Der schlaue Jonathan
Kassian Kluibenschädl: Marterl aus Österreich
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz
Monogrammist Frosch: Illustration zum Text "Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von
Arpad Schmidhammer: Illustration zum Text "Der neue Plutarch"
[nicht signierter Beitrag]: Klassisches Muster
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
Monogrammist Frosch: Der schlaue Jonathan
Kassian Kluibenschädl: Marterl aus Österreich
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz
Monogrammist Frosch: Illustration zum Text "Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von