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190.}

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Nr. 4

Der Mann mit den springenden Mäuschen

von I)enry s. Urban

/Knies sonnigen Nachmittags kam die überaus niedliche Viola
Sß Jansen auS Maillards französischer Konditorei heraus —
Ecke der 24. Straße und Broadwah, Ihr wißt schon. Sie hatte
eine Portion Gefrorenes gegessen, halb Vanille, halb Erdbeer,
und hinterher eine Tasse Ehokvlade mit Schlagsahne getrunken.
Es hatte ihr prachtvoll geschmeckt. Also war sie in guter Stimm-
ung, in sehr guter sogar. Sie raffte das rosaseidene Kleid nach
vorne, sodaß ein kleines Stückchen eines rothseidenen Strumpfes
und eines runden Beinchens sichtbar wurde, und spazierte nun
in dem Bewußtsein, auch von der Rückseite überaus niedlich
auszusehen, den Broadwah hinunter. Der gierigste Dollarjäger
fand Zeit, sich nach ihr umzusehen und sich zu freuen. Ein Jour-
nalist und sein Freund, der kleine Doktor, die jeden Nachmittag
am Broadway bummelten, freuten sich. Alte Lebemänner freuten
sich. Droschkenkutscher auf ihren hohen Sitze» freuten sich. Mau
sollte es nicht glauben, wie vielen männlichen Wesen so ein einziges
hübsches Frauenzimmer Freude machen kann. Aber sie sah auch
zu nett aus in dem rosa Kostüm und dem Strohhut mit dem rosa
Besatz. Der lange Polizist au der 23. Straße, der wie ein Lcucht-
thurm aus dem Gewimmel von Wagen, Pferden und Menschen
herausragte, hielt sofort die ganze Geschichte mit einer gebieter-
ischen Handbewegung an, als er Viola kommen sah. Dann faßte
er sie am Arm und geleitete sie zwischen den Wagen hindurch
über die Straße. So ungefähr muß Moses die Kinder Jsraet
durch das rothe Meer geführt haben. Es sah zu reizend aus, dieser
baumlange Polizist mit der kleinen rosafarbigen Viola am Arm.
Auch der Polizist freute sich natürlich.

„Ich danke Ihnen vielmals!" sagte Viola, wie sie glücklich
an der anderen Seite angekvnimen war.

„Nicht der Rede werth, Fräulein Jansen!" sagte der baum-
lange Polizist und lächelte auf Viola herunter. Er kannte dem-
nach Viola. Ja, wen kennt der baumlange Polizist an der
23. Straße überhaupt nicht? Nun gar Viola Jansen, die Sou-
brette vom Knickerbocker-Theater, deren Spezialität heitere und
traurige Negerlieder sind und die in der neuen Burleske „Die
Rose des Harems" die Rolle der Tänzerin Fatime spielt. In-
zwischen spazierte Viola weiter, immer weiter. Sie blieb hier und
da vor den Schaufenstern der großen Waarenhäuser am Broad-
way stehen und besah die prächtigen Kleider und Hüte und Blusen
und Strümpfe. Einmal, wie sie sich von einem Schaufenster
abwandte, die Augen immer noch auf ein herrliches Spitzen-
Korsett gerichtet, stieß sie gegen Etwas au.

„Hopsa!" sagte eine Männerstimme und eine große braune
Männerhand griff rasch nach einem Mäuschen, das um ein Haar
von einem Brett gefallen wäre.

«,"9**.:-Verzeihung!" sagte Viola erschrocken. Vor ihr

eöi o's heraus harmloser junger Mann, der um den Nacken
ne?tÄ lrng. Daran hing eine offene Ledertasche, grade
r!„,„ »• ber Ledertasche hatte er zahllose graue Mäus-

kleine? «iL* *ni Wendigen. In der linken Hand hielt er ein
ivieow mV™ darauf stand ausrecht aus einer kleinen Draht-
j,,,,.. '^nu ™ Mit dem Finger der rechten Hand tupfte der
aainc Ri et? Maus auf den Kops und dann sprang sie das
aus. ieN,. V enUan?„bi§ born an die Kante. Das sah drollig
lärfipfti.r° '9‘ ®™'a >var stehen geblieben, sah sich Das an

aus
und lächelte.

Zehn (feVt?.V„c Mäuschen?" fragte sie den jungen Manu.
„Wünschen Sie ein« b£ev überaus harmlose junge Mann,
einem Accent, der den Er sprach das Englische mit

ein Deutscher. Er hätte Ä" ÖSV'net&' Auch ,ah er aus wie
bartloses, gebräuntes Gesickt .6,aue Binder-Augen und ein
und einem langen kurzen Nase

amu als hm« JUfar®^ut, den er trug, war mehr

idion daraus npfirr<m ? Aid mancher Regentropfen muszte

Syrern^ k.^Auzng war schäbig, abär sauber,

kauerinnen u fV^lch? fragte Viola im Deutsch der Ameri-
de nsro?Lp«^"unft. Der Mann mit den springen-
den Manschen lachte über das ganze Gesicht.

D«. M°..äl.9''^'9^.?Eulein," sagte er. „ich bin ein Deutscher".
Maßen ' '"run „gnädiges Fräulein" belustigte sie über die

lckion lange in diesem Lande?"

„Ein ^ahr ungefähr."

Das so? lind Sie verkaufen viele Meise, thun Sie?"

"vlz auf ihr „tadelloses" Deutsch. „Wie machen
>->c die Meise springen?"

^,-^^5.?bigte es ihr und sic tupfte mit dem Zeigefinger der weiß-
^V°"^ck>uhten Rechten der Maus ans den Kopf. Die Maus
hupfte gehorsam nach vorne.

Wunsch!" sagte sie lachend. „Sie hat beinahe von das
Bielt gesprnigt. Ich nehme ßuei Meise."

Richard Pfeiffer <München)

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Richard Pfeiffer: Winterabend
Henry F. Urban: Der Mann mit den springenden Mäuschen
 
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