1903
JUGEND
Nr. 10
rTCaternitas
von Unna Maria Hici
?9fas Stift der „adeligen Jungfrauen" war von
'sifj lieblichen Gärten umgeben, drei altersgraue
Gebäude in Winkeln aufgestellt und sich aneinander-
lehnend, umschlossen den „Klosterhof": einen Gar»
ten voll blüheiider Blumen, sonnig und geschützt
vor den rauhen winden, die von der Küste der
Gstsee oft recht empfindlich und durchdringend über
das Städtchen und in dasselbe hineinbliesen.
Bier blühten am Frühesten in der ganzen
Gegend umher die Schneeglöckchen und Primeln,
Flieder, Jasmin und die ersten Rosen; es gab
auch einen Springbrunnen mit Goldfischen darin,
außer diesem war nur noch einer in der ganzen
Stadt, und der konnte nicht so hoch springen, wie
der im Klostcrgarten.
Gegen Westen schloß ^as Kloster ein großes
Thor ab, das nur am Tage offen stand, von
diesem aus zog sich eine Mauer, umrankt von
Lpheu und Jelängerlieber, dann kam das Pförtner-
und Gärtnerhaus.
Das Stift besaß einen eigenen Eingang, einen
grün und dicht umsponnenen Laubengang, der in
die Kirche führte; zu seinen Seiten lagen wohl-
gepflegte Blumenrabatten, weiterhin Gemüsebeete
und an die Kirche und die Klostcrmaucrn grenzte
der alte, nun nur noch von Kindern als Spiel
platz benützte Friedhof. Zwischen verrosteten Kreu-
zen nnd Gittern spielten die Kinder des Städtchens,
lachten und haschten sich, nur manchmal erschreckte
sie in stillen Winkeln ein schlafender wanderbursch
oder auch ein Betrunkener, deren cs in der Nähe
der See häufig gab.
-Das Stift war in früheren Jahrhunderten,
vor der Reformation, Nonnenkloster gewesen, heute
aber war es ein geselliger Mittelpunkt des Städt-
chens und wer von den Stistsdameu vergnüglicher
oder mittheilsamer Natur war, konnte Lafe- und
Theegesellschaften, auch solche größeren Stils, —
genugsam genießen; ein wohlthätigkeitsverein
gab sogar Feste und Toneerte zum Besten armer,
aber tugendsamer Mitmenschen im Repräsentations-
saal des Stiftes, der zur Wohnung der priorin
gehörte.
Don Titel einer Priorin führte stets diejenige
der jungfräulichen Damen, die von ihren Mit-
schwestern zu dieser würde erkoren war, sie hieß
voin Tage der Wahl ab offiziell und gesellschaft-
lich Frau, Frau priorin.
Lines vormittags hatten alle Stiftsdamen im
„Stift der adeligen Jungfrauen", das den unver-
heiratheten Töchtern adeliger Rittergutsbesitzer der
Umgegend, auch häufig armen Dffizierstöchtern,
das vorher beschriebene idyllische Asyl bot, ihrer
„lieben" Mitschwester Malwina von Barnhow,
über die alle lächelten, wenn von ihr gesprochen
wurde, viel schöne Blumen und selbstgebackene
Kuchen gebracht, denn es war ihr fünfzigster Ge-
burtstag heute. Bescheiden, schüchterner weise
hatte Malwina allen innigst gedankt.
Nun stand sie allein in ihrem stillen Zimmer»
chen, das von Blumen und Kuchen lieblich durch-
duftct war, stand mit gefalteten Bänden vor allen
diesen Berrlichkeiten nnd lächelte glücklich.
Nebenan im Speisezimmer deckte das Dienst-
mädchen den kleinen Tisch ihrer Berrin, auf dein
nur ein einziges Gedeck Platz fand, meldete: „es
ist angerichtet" und entfernte sich.
In Malwina's scheues, traumversunkenes We-
sen kam Leben. Mit einer schnellen, frischen Be-
wegung öffnete sic die Thür zum „Windfang,"
wie man in der Beimath des Stiftes die Lorri-
dore benennt, und rief in die weiche Zugluft des
Sommertages hinaus: „Koinmt Kinderchen, komiiit
herein, ihr dürft von Mutters Geburtstagskuchen
zum Nachtisch essen, aber erst die Suppe hübsch
auslöffeln."
Sie ging in's Speisezimmer zurück ganz mit
den anmuthig sicheren Schritten einer Mutter, die
£5
Erich Kuithan
Die Dacht
l)ält der blaffe Tag die Lippen mir verlchlokfen,
Meine Träume, meine lichten Träume
plaudern Jllles aus,
Seltfam reiche Blülhen, deren Duft ich nie
genoffen,
Schließen sich zum wunderbaren Strauß,
Legen fich zum Kranz mir in die Locken,
Daß ich blühe-eine Königin,
Jfus der Seele Tiefen jubeln Helle Blocken-
Illeine Tage, meine blaffen, leeren Tage
Dehm' ich für der Dächte Aunder hin!-
ßarola teja
von einer Kinderschaar umringt ist und bald das
eine, bald das andere Köpfchen liebkost.
Nun plauderte sie mit ihnen in ihrem stillen
Jungfernstübchen, jubelte mit den Kindern, die
ihr Nerz zu besitzen glaubte und die doch nur ihr
unbeschäftigter Geist ihrem inneren Auge in Ballu -
cinationen als Ligenthum vorspiegelte.
Nun strahlte ihr Aittlitz, das ganze volle
Mutterglück lag in ihren Zügen, sprach aus ihren
weichen, runden, sicheren Bewegungen; nichts von
ihrem sonstigen so altjüngferlich scheuen, eckigen
wesen blieb an ihr, kein gedrücktes Seelchen schien
sie mehr; ein ganzer Mensch schien sie jetzt, eine
Mutter voller Kraft und Selbstbewußtsein, voller
Glück ohne Sehnsucht.
Nach dem Essen, von dem sie fast nichts zu
sich genommen, weil sie unablässig nur mit den
Kindern zu schwatzen, zu scherzen, ihnen zuzureden
nnd sie zu versorgen hatte, suchte sie die Kleinen
zu beschwichtigen: „Macht keinen solchen Lärm!
Schwesterchen schläft ja und schreit, wenii ihr sie
aufwcckt!" —
Dann saß sie in ihrem alten, wackligen Lehn-
stuhl, mit den Bewegungen einer ihr Kindlein
im ' Schooße Schaukelnden, leise summte sie ein
Wiegenlied vor sich hin; ein altes gesticktes Schlnm-
merkiffcn hielt sie in den Armen und blickte voll
inniger Zärtlichkeit darauf nieder.
Ihre Augen sahen nicht die verblaßte Blumen-
stickerei des Kiffens, voll seligen Glücks fühlte sie
ein kleines, rosiges Kind in ihren Armen liegen
und stundenlang saß sie da, leise singend und halb-
laut scherzend mit ihrem Kleinsten.
Unter ihren Fenstern, inmitten des blühenden
Klostergartens, ergingen sich die jungen Lonfir-
mandiilnen des Städtchens, auch andere Leute,
Einwohner des Städtchens benützten gern einmal
diesen weg, um sich an der Blumenpracht des
Gartens zu erfreuen.
Die lange Dämmerung der Sommerszeit neigte
sich bereits einem lauen Abend zu, — vom alten
Friedhofe, hinter dem Gärtnerhause hervor, hörte
man noch die fernen Stimmen einiger vom Spielen
müder Kinder.
Im' Klostergarten wurde es still, Rosen- und
Beliotropdüfte schwebten durch die laue Luft, die
jungen Konfirmandinnen schritten Arnr in Arm,
zärtlich flüsternd, über die Wege.
Stiftsdamen faßen an den offenen Fenstern,
zu Zweien, zu Dreien und plauderte».
Lin warmer Regen war eben gefallen und
die Wege schienen noch feucht, man wagte nicht
zu lustwandeln.
Als es dunkelte, trat Malwina ans ihrer Thür,
sah sich zaghaft um und hüpfte dann rasch in den
abgelegeneren Theil des Gartens.
Bald hörte man ihre Stimme lachen, rufen,
jauchzen, wie mit Kindern spielend.
Sie haschte sich mit ihnen, fing sie, küßte sie,
wies sie zurecht, — und schließlich, aller Vorsicht
vergessend, trieb sie ihr seltsames Spiel nicht weit
von den Stiftsdamen, fast unter ihren Fenstern.
Die Frau Priorin erhob sich nun rasch von
ihrem Fensterplatz, schritt majestätisch aus ihrer
Wohnung durch das mit einem Wappen in Stein
geschmückte Portal, ließ unwillig die schwere Thür
in's Schloß fallen, ging auf Malwina zu, ergriff
die erblassend Bebende, die plötzlich aus all ihren
süßen Ballucinationen gerissen war, beim Band-
gelenk, führte sie in ihre Wohnung zurück und sprach
in aufgeregtem, harten Ton: „Malwina, Sie machen
sich selber zum Kindergespött, — das ganze Stift
und uns alle machen Sie lächerlich. Die Lonfir
mandinnen erzählen Ihr albernes Treiben heute
Abend tioch ihren Eltern und morgen lacht
und moquirt sich die ganze Stadt über Ihre
hysterischen Anfälle! — Besinnen Sie sich doch,
nehmen Sie Vernunft an; dergleichen darf nicht
wieder Vorkommen, sonst müßte ich es dem Eura-
torium melden. Sie gehören in eine Beilanstalt
für Geisteskranke und nicht mehr in unser Stift!"
Nachdem die Frau priorin sich in ihre eigene
Wohnung zurückgezogen, saß Malwina, in sich
zusammengesunken, in dem alten Lehnstuhl ihres
Zimmers.
In der grauen Däminerung des Stübchens
sah sie wie ein Bäuflein Asche aus; ihr Gesicht
war grau, jeglicheii Lebens beraubt, die Augen
waren starr, ohite Blick.
von nun an saß sie ganze Tage lang in dieser
Baltung, reglos, unverändert. Fast gar keine
Nahrung nahm sie zu sich und in ihre starren,
blicklosen Augen kam kein Schlaf.
Nach einigen Monaten lag sie im Bett, die
Schwäche ließ sie nicht mehr sich erheben.
Liiies Tages kam das Lude :
Mit sanfter Band faßte der Tod noch einmal
all die schwachen Lebensfünkchen zusammen, die
in ihr waren. Sie flackerten auf, noch ein ein-
ziges Mal, in der tiefinnerlichen Liebesgluth, die
Malwina's Leben erwärmt hatte, feit ihre erste
entsagnngsrciche Jugend mit all ihren Lnttäusch-
ungen vorüber war.
Ihr liebebedürftiges Berz, ihre entbehrenden
Sinne schufen sich eine eigene Welt.
15)
JUGEND
Nr. 10
rTCaternitas
von Unna Maria Hici
?9fas Stift der „adeligen Jungfrauen" war von
'sifj lieblichen Gärten umgeben, drei altersgraue
Gebäude in Winkeln aufgestellt und sich aneinander-
lehnend, umschlossen den „Klosterhof": einen Gar»
ten voll blüheiider Blumen, sonnig und geschützt
vor den rauhen winden, die von der Küste der
Gstsee oft recht empfindlich und durchdringend über
das Städtchen und in dasselbe hineinbliesen.
Bier blühten am Frühesten in der ganzen
Gegend umher die Schneeglöckchen und Primeln,
Flieder, Jasmin und die ersten Rosen; es gab
auch einen Springbrunnen mit Goldfischen darin,
außer diesem war nur noch einer in der ganzen
Stadt, und der konnte nicht so hoch springen, wie
der im Klostcrgarten.
Gegen Westen schloß ^as Kloster ein großes
Thor ab, das nur am Tage offen stand, von
diesem aus zog sich eine Mauer, umrankt von
Lpheu und Jelängerlieber, dann kam das Pförtner-
und Gärtnerhaus.
Das Stift besaß einen eigenen Eingang, einen
grün und dicht umsponnenen Laubengang, der in
die Kirche führte; zu seinen Seiten lagen wohl-
gepflegte Blumenrabatten, weiterhin Gemüsebeete
und an die Kirche und die Klostcrmaucrn grenzte
der alte, nun nur noch von Kindern als Spiel
platz benützte Friedhof. Zwischen verrosteten Kreu-
zen nnd Gittern spielten die Kinder des Städtchens,
lachten und haschten sich, nur manchmal erschreckte
sie in stillen Winkeln ein schlafender wanderbursch
oder auch ein Betrunkener, deren cs in der Nähe
der See häufig gab.
-Das Stift war in früheren Jahrhunderten,
vor der Reformation, Nonnenkloster gewesen, heute
aber war es ein geselliger Mittelpunkt des Städt-
chens und wer von den Stistsdameu vergnüglicher
oder mittheilsamer Natur war, konnte Lafe- und
Theegesellschaften, auch solche größeren Stils, —
genugsam genießen; ein wohlthätigkeitsverein
gab sogar Feste und Toneerte zum Besten armer,
aber tugendsamer Mitmenschen im Repräsentations-
saal des Stiftes, der zur Wohnung der priorin
gehörte.
Don Titel einer Priorin führte stets diejenige
der jungfräulichen Damen, die von ihren Mit-
schwestern zu dieser würde erkoren war, sie hieß
voin Tage der Wahl ab offiziell und gesellschaft-
lich Frau, Frau priorin.
Lines vormittags hatten alle Stiftsdamen im
„Stift der adeligen Jungfrauen", das den unver-
heiratheten Töchtern adeliger Rittergutsbesitzer der
Umgegend, auch häufig armen Dffizierstöchtern,
das vorher beschriebene idyllische Asyl bot, ihrer
„lieben" Mitschwester Malwina von Barnhow,
über die alle lächelten, wenn von ihr gesprochen
wurde, viel schöne Blumen und selbstgebackene
Kuchen gebracht, denn es war ihr fünfzigster Ge-
burtstag heute. Bescheiden, schüchterner weise
hatte Malwina allen innigst gedankt.
Nun stand sie allein in ihrem stillen Zimmer»
chen, das von Blumen und Kuchen lieblich durch-
duftct war, stand mit gefalteten Bänden vor allen
diesen Berrlichkeiten nnd lächelte glücklich.
Nebenan im Speisezimmer deckte das Dienst-
mädchen den kleinen Tisch ihrer Berrin, auf dein
nur ein einziges Gedeck Platz fand, meldete: „es
ist angerichtet" und entfernte sich.
In Malwina's scheues, traumversunkenes We-
sen kam Leben. Mit einer schnellen, frischen Be-
wegung öffnete sic die Thür zum „Windfang,"
wie man in der Beimath des Stiftes die Lorri-
dore benennt, und rief in die weiche Zugluft des
Sommertages hinaus: „Koinmt Kinderchen, komiiit
herein, ihr dürft von Mutters Geburtstagskuchen
zum Nachtisch essen, aber erst die Suppe hübsch
auslöffeln."
Sie ging in's Speisezimmer zurück ganz mit
den anmuthig sicheren Schritten einer Mutter, die
£5
Erich Kuithan
Die Dacht
l)ält der blaffe Tag die Lippen mir verlchlokfen,
Meine Träume, meine lichten Träume
plaudern Jllles aus,
Seltfam reiche Blülhen, deren Duft ich nie
genoffen,
Schließen sich zum wunderbaren Strauß,
Legen fich zum Kranz mir in die Locken,
Daß ich blühe-eine Königin,
Jfus der Seele Tiefen jubeln Helle Blocken-
Illeine Tage, meine blaffen, leeren Tage
Dehm' ich für der Dächte Aunder hin!-
ßarola teja
von einer Kinderschaar umringt ist und bald das
eine, bald das andere Köpfchen liebkost.
Nun plauderte sie mit ihnen in ihrem stillen
Jungfernstübchen, jubelte mit den Kindern, die
ihr Nerz zu besitzen glaubte und die doch nur ihr
unbeschäftigter Geist ihrem inneren Auge in Ballu -
cinationen als Ligenthum vorspiegelte.
Nun strahlte ihr Aittlitz, das ganze volle
Mutterglück lag in ihren Zügen, sprach aus ihren
weichen, runden, sicheren Bewegungen; nichts von
ihrem sonstigen so altjüngferlich scheuen, eckigen
wesen blieb an ihr, kein gedrücktes Seelchen schien
sie mehr; ein ganzer Mensch schien sie jetzt, eine
Mutter voller Kraft und Selbstbewußtsein, voller
Glück ohne Sehnsucht.
Nach dem Essen, von dem sie fast nichts zu
sich genommen, weil sie unablässig nur mit den
Kindern zu schwatzen, zu scherzen, ihnen zuzureden
nnd sie zu versorgen hatte, suchte sie die Kleinen
zu beschwichtigen: „Macht keinen solchen Lärm!
Schwesterchen schläft ja und schreit, wenii ihr sie
aufwcckt!" —
Dann saß sie in ihrem alten, wackligen Lehn-
stuhl, mit den Bewegungen einer ihr Kindlein
im ' Schooße Schaukelnden, leise summte sie ein
Wiegenlied vor sich hin; ein altes gesticktes Schlnm-
merkiffcn hielt sie in den Armen und blickte voll
inniger Zärtlichkeit darauf nieder.
Ihre Augen sahen nicht die verblaßte Blumen-
stickerei des Kiffens, voll seligen Glücks fühlte sie
ein kleines, rosiges Kind in ihren Armen liegen
und stundenlang saß sie da, leise singend und halb-
laut scherzend mit ihrem Kleinsten.
Unter ihren Fenstern, inmitten des blühenden
Klostergartens, ergingen sich die jungen Lonfir-
mandiilnen des Städtchens, auch andere Leute,
Einwohner des Städtchens benützten gern einmal
diesen weg, um sich an der Blumenpracht des
Gartens zu erfreuen.
Die lange Dämmerung der Sommerszeit neigte
sich bereits einem lauen Abend zu, — vom alten
Friedhofe, hinter dem Gärtnerhause hervor, hörte
man noch die fernen Stimmen einiger vom Spielen
müder Kinder.
Im' Klostergarten wurde es still, Rosen- und
Beliotropdüfte schwebten durch die laue Luft, die
jungen Konfirmandinnen schritten Arnr in Arm,
zärtlich flüsternd, über die Wege.
Stiftsdamen faßen an den offenen Fenstern,
zu Zweien, zu Dreien und plauderte».
Lin warmer Regen war eben gefallen und
die Wege schienen noch feucht, man wagte nicht
zu lustwandeln.
Als es dunkelte, trat Malwina ans ihrer Thür,
sah sich zaghaft um und hüpfte dann rasch in den
abgelegeneren Theil des Gartens.
Bald hörte man ihre Stimme lachen, rufen,
jauchzen, wie mit Kindern spielend.
Sie haschte sich mit ihnen, fing sie, küßte sie,
wies sie zurecht, — und schließlich, aller Vorsicht
vergessend, trieb sie ihr seltsames Spiel nicht weit
von den Stiftsdamen, fast unter ihren Fenstern.
Die Frau Priorin erhob sich nun rasch von
ihrem Fensterplatz, schritt majestätisch aus ihrer
Wohnung durch das mit einem Wappen in Stein
geschmückte Portal, ließ unwillig die schwere Thür
in's Schloß fallen, ging auf Malwina zu, ergriff
die erblassend Bebende, die plötzlich aus all ihren
süßen Ballucinationen gerissen war, beim Band-
gelenk, führte sie in ihre Wohnung zurück und sprach
in aufgeregtem, harten Ton: „Malwina, Sie machen
sich selber zum Kindergespött, — das ganze Stift
und uns alle machen Sie lächerlich. Die Lonfir
mandinnen erzählen Ihr albernes Treiben heute
Abend tioch ihren Eltern und morgen lacht
und moquirt sich die ganze Stadt über Ihre
hysterischen Anfälle! — Besinnen Sie sich doch,
nehmen Sie Vernunft an; dergleichen darf nicht
wieder Vorkommen, sonst müßte ich es dem Eura-
torium melden. Sie gehören in eine Beilanstalt
für Geisteskranke und nicht mehr in unser Stift!"
Nachdem die Frau priorin sich in ihre eigene
Wohnung zurückgezogen, saß Malwina, in sich
zusammengesunken, in dem alten Lehnstuhl ihres
Zimmers.
In der grauen Däminerung des Stübchens
sah sie wie ein Bäuflein Asche aus; ihr Gesicht
war grau, jeglicheii Lebens beraubt, die Augen
waren starr, ohite Blick.
von nun an saß sie ganze Tage lang in dieser
Baltung, reglos, unverändert. Fast gar keine
Nahrung nahm sie zu sich und in ihre starren,
blicklosen Augen kam kein Schlaf.
Nach einigen Monaten lag sie im Bett, die
Schwäche ließ sie nicht mehr sich erheben.
Liiies Tages kam das Lude :
Mit sanfter Band faßte der Tod noch einmal
all die schwachen Lebensfünkchen zusammen, die
in ihr waren. Sie flackerten auf, noch ein ein-
ziges Mal, in der tiefinnerlichen Liebesgluth, die
Malwina's Leben erwärmt hatte, feit ihre erste
entsagnngsrciche Jugend mit all ihren Lnttäusch-
ungen vorüber war.
Ihr liebebedürftiges Berz, ihre entbehrenden
Sinne schufen sich eine eigene Welt.
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