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Erich Kleinhempel (Dresden)

k)ans von Bülow als Persönlichkeit

^Ubschon mir keinerlei Recht zusteht, über den
Musiker Bülow zn schreiben, kann ich doch
von mir behaupten, daß Wenige den Menschen
Bülow so genau gekannt haben, wie ich.

Bülow war meines Vaters vertrautester Freund
seit den Weimarer Jahren 1851—53, wo die mit
ihres Sorgensohnes künstlerischer Laufbahn nicht
einverstandene Franziska von Bülow ihn Joachim
RaffS besonderer Obhut übergeben und dieser sich
wie ein älterer Bruder seiner angenommen hatte.
Das Freundschaftsband schloß sich noch einmal
fester in späterer Zeit, als bei schwerem persön-
lichem Leid, das Bülow betroffen, wiederum die
Theilnahme Rafss, den er damals aufsuchte, ihn
tröstete und stützte. Da Bülow auch für meine
Mutter lebhafte Sympathie und Hochachtung em-
pfand, so sprach er ziemlich regelmäßig alle Jahre
in Wiesbaden (nachher Frankfurt a. M) vor,
um die Freunde zu sehen; der „Onkel Bülow,"
wie ich ihn bis an's Ende nennen durfte, gehört
deßhalb zu nieinen frühesten Kindheitserinncrungen.

Er war reizend gütig gegen Kinder, die ihm
nicht geradezu mißfielen — er schenkte mir die
schönsten Spielsachen und schrieb mir zärtliche
drollige Briefe. Diese Güte gegen Schwächere
und Geringere bildete einen seiner Hauptzüge;
er dehnte sie auch auf Thiere aus. Er streichelte
und fütterte jeden klug blickenden Vierfüßler, der
ihm in den Weg kam, und beklagte, daß das
Christenthum nicht ausdrücklich den Thierschutz
predige. Jnr Hinblick darauf, daß er im Thiere
oft mehr seelische Vornehmheit zu finden behaup-
tete, als im Menschen, bedeutete cs keine Gering-
schätzung, wenn er die Freundlichkeiten, die er
seine» Nebenmenschen erwies, seine „Pflege der
mitbcstialcn Beziehungen" nannte.

Ein Naturschwärmer dagegen war er eingestan-
denermaßen nicht, vielmehr ein Kulturschwärmer.
Die schönste Landschaft langweilte ihn bald, wäh-
rend Bücher, Museen, Bauwerke nie aufhörten,
ihn zn fesseln In jeder Stadt, die er durchreiste,
besichtigte er deren sämmtliche Knnstschätze und
wohnte mindestens einer Theatervorstellung bei.
Er besaß eine unglaubliche Belesenheit; auf seinen
zahlreichen Eisenbahnfahrten führte er stets die
neuesten literarischen Erzeugnisse der sechs Spra-
chen, die er beherrschte, mit sich. Und was Bülow
gelesen hatte, behielt er: sein phänomenales Ge-
dächtniß verließ ihn auch auf anderem als dem
»insikalischen Gebiete nicht. Einmal verfocht er

die Ansicht, daß Schlegel's Shakespeareübersetzung
nicht durchweg so gut sei, wie geglaubt werde —
und er trug die Scene aus „Richard II.", die
ihn darauf gebracht, sogleich ohne Stocken auf
Englisch vor- (Es war die vierte des letzten Auf-
zugs.) Nach meiner Empfindung war er das
größte rezeptive Genie seiner Zeit.

In den Genuß, den seine Unterhaltung ge-
währte, mischte sich freilich bisweilen eine leise
Besorgniß, wenn man sah, daß Etwas ihm wider
den Strich ging; denn so wie leicht erfreut, war
er leicht erzürnt. Dann spannten alle Nerven
der feingliedrigen Gestalt sich an, die blauen Au-
gen funkelten und zwischen den Zähnen drang
leise ein halb knirschender, halb murrender Laut
hervor. Es kam aber, trotzdem Bülow eine Kanipf-
natur war, nicht oft zu wirklich schlimmen Aus-
brüchen; für gewöhnlich blieb es bei boshaften
guten Witzen, die er um keinen Preis unterdrücken
konnte — namentlich zur Abfertigung Ueberlästiger
verwendete er diese seine stachlige Schlagfertigkcit

In einer Sommerfrische, wo ihn nach völliger
Ungestörtheit verlangte, schrieb er gn seine Thüre:
„Vormittags nicht zu sprechen — Nachmittags
nicht zu Hause." — In den Wiesbadener Kur-
anlagen trat ein Herr strahlend an ihn heran:
„Ah, Herr von Bülow, wie freue ich mich —"
„Ich bin's nicht" — schnitt Bülow kurz ab und
ging seines Weges. — Ein andermal, in Begleit-
ung meiner Eltern, begegnete er einer Bekannten
derselben, der sehr feinen und liebenswürdigen
Gräfin X., welche stehen blieb und sich mit meiner
Mutter unterhielt. Dabei äugelte sie beständig
seitwärts nach den beiden Herren, so daß Bülow
ihr nothgcdrungen vorgestellt werden mußre. —
„Sie kommen aus England?" fragte die Dame
ihn artig — „>vie fanden Sie das Publikum?" —
„Ach, sehr nett, sehr intelligent, das heißt: die
Mittelklassen — die Aristokratie natürlich Pöbel
wie überall." — Die Gräfin war taktvoll genug,
auf diesen Ausfall nicht zu reagiren; nachvem sie
sich entfernt hatte, hielt meine Mutter Bülow eine
kleine Strafrede. „Ich konnte mir's ja erlauben",
sagte er lachend, „bin ja selbst Baron." — Nach
einer Vorstellung des „Götz von Berlichingen,"
die er irgendwo mitangeschen, erklärte er: „an der
ganzen Aufführung sei der eiserne Handschuh
das einzige nicht lederne gewesen." — Während
seiner Dirigententhätigkeit in Hannover hatte er
beim Gesänge eines bekannten Tenoristen sich die

Ohren zugehalten, was sein Ausscheiden aus der
dortigen Stellung zur Folge hatte. Bald darauf
fragte ihn eine befteundete Dame: „Aber sagen
Sie nur, haben Sie sich wirklich die Ohren zuge-
haltcn?" — „Ah bah!" versetzte Bülow in g»l-
müthigem Tone, „nur das eilte!" — Eine Menge
ähnlicher Bemerkungen ließen sich noch anführe»,
doch sei hier nur erwähnt, daß seine Schroffheit
ebenso oft ritterlichen Charakter trug. Auf seiner
Reise durch Skandinavien kam er in eine große
Stadt, wo eben eine namhafte und beliebte Schau-
spielerin zu Grabe getragen wurde. Der Prediger,
der ihr die Leichenrede hielt, ergriff bedauerlicher-
weise die Gelegenheit zur Bekundung zelotischer
Anschauungen, nannte das Theater „das Hans
des Lasters" und die Verstorbene eine „große
Sünderin," weil sie darin gewirkt. Während bei
Bestattung selbst wagte Niemand, der allgemeine»
Entrüstung lauten Ausdruck zu geben; doch nach
der Feier begab sich Bülow in das Hans des
humanen Geistlichen. Da derselbe zu seinem
Glücke nicht daheim war, hinterließ Bülow seine
Visitenkarte mit der Aufschrift: „Mr. Hans deBülow.
Avec l’expression de sa plus profonde indignation
comme homme, comme chrdtien et comme artiste.“

Die letztere Geschichte zeigt am deutlichsten das,
was sehr oft seine plötzlichen Ausfälle veranlaßte
Er war sensiliv bis zum Aeußersten: jede Un-
gerechtigkeit, jede Niedrigkeit oder Denkfaulheit
Anderer empörte ihn so grenzenlos, daß er da-
gegen aufbäumen mußte, gleichviel ob es ihm
Feinde machte oder nicht. Furcht kannte er über-
haupt nur vom Hörensagen und war sich auch
nicht immer klar, ob er das richtige Maß über-
schritten, denn seine Wahrheitsliebe täuschte ihn
darüber, wo die Wahrheit zur Rücksichtslosigkeit
wird. Sein Herz ging eben mit dem Kopfe durch;
es war ein sehr heißer und weiches Herz, dem
die scharfe Zunge gewissermaßen als Schutzwchr
diente, und oftmals betrug er sich nur darum
schroff, weil er im Innersten wund war.

Er empfand alles im gesteigerten Grade; cs
gibt daher wohl wenige Menschen, die so viel und
schwer gelitten haben. Er konnte weinen, wie
nicht leicht ein Mann; ich erinnere mich noch
seines fassungslosen Jammers bei meines Vaters
Tod. Doch zeigte er sich in solchem Zustande
nur Wenigen, denn cs ging ihm mit seelischen
Schmerzen wie mit körperlichen: obwohl er von
Klein auf durch seine zarte Gesundheit an allem
Register
Erich Kleinhempel: Zierleiste
Helene Raff: Hans von Bülow als Persönlichkeit
 
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