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Nr. 27

JUGEND.

1903

H. Schwegerle (München)

Schein in der Tasche?-Was würde ich

thun?

Den geduldigen Bauch mit unzähligen Gosen
füllen, Kartenpotpourri dazu spielen und das geist-
reiche Lied singen: „Adam hatte sieben Söhne"?

-O nein, „mein schwacher Magen kanns

nit mehr vertragen".

Oder ein viertel Pfund Astrachaner auftragen
lassen in der kleinen Weinstube und eine halbe
Flasche „Haut Saulerne" dazu?

Oder ins Theater gehen, um wie damals im
„Bajazzo" mitfühlend zu erschauern oder bei Her-
mann Sudermann ein Colleg über die Ehre zu
hören?

Oder dem kecken Operettensoubrettchen einen
Blumenkorb schicken mit einem Dutzend ebenso
kecker, verliebter Strophen dazu?

-Aber das hat alles keinen rechten Sinn,

überall würde das statthaben können, und außer-
dem hat die Soubrette einen wahrhaften Baron
geheirathet.

Etwas müßte es sein, das mehr Besonderheit
hätte, etwas, das mehr Leipzig allein eigen ist.

Die Konzertprobe im Gewandhaus, Mittwoch
Vormittag zehn Uhr etwa? Wo damals Reinecke
seinen Taktstab mit immer derselben herrlichen Ruhe
schwang, mochte es nun um eine Symphonie des
guten Papa Haydn oder um Isoldes Liebestod
gehen?

Das möchte schon eher passen, und gewiß werden
auch noch die kleinen Engländerinnen und Ameri-
kanerinnen da sein, die alle ein wenig verzückt
dreiuschauen, wenn sie Musik hören, sonderlich,
wenn nun gar der elegante Nikisch ans Pult treten
wird.-

Aber gibt es wirklich nichts Wünschenswertheres,
nichts Lieberes, als einer langbeinigen Miß nach-
zulaufen, die noch dazu vom Tennisplatz her so
riesige Schritte macht?

Da wäre schon eines: wenn einem wieder so
ein lieb Ding am Arme hinge, wie damals die
„Maus", die Werktags bunte Seidenbänder ver-
kaufte und Feiertags mein liebes Schätzchen war. —

-Da gäbe es erst einen lustigen Mittag,

am Ende gar mit einer halben Flasche Sekt, dann
eine Wagenfahrt hinaus ins Freie, und die „Maus"
würde schelten, daß bei den vielen Küssen die Frisur
ganz in die Brüche gehe. Am heißen Kaffee würden
wir aufthauen, und abends stünde dann die Lampe
auf dem großen runden Tisch meiner Bude, und
wir äßen ganz ehrsam wie Frau und Mann kalten
Aufschnitt und tränken Flaschenbier dabei. Und
dann, nach dem Nachtmahl, würde eine verlegene,
stumme und doch sehr beredte Pause eintreten, in

der das liebe, junge, frische Menschenkind ein bißchen
zappelig nervös wird, bis ich schließlich die Thür
zum finstern Schlafzimmer öffne, aus dessen Dunkel

weißes Bettzeug einladend herüberwinkt, und-

Da unterbricht mich der Freund.

Er kann es lange ertragen, daß ich beim Wein
ihm stumm gegenübersitze, wenn es aber zu lange
währt, wird er grob. Er sagt also: „Du, du ziehst
ein so süßes Maul, fast wie Malaga. Geh, trink
schnell deinen Mosel ausl Sonst wird dir und
mir noch übel."

Ich gehorche und trinke.

-- Ja, das würde ich thun, wenn-

Aber er fährt fort: „Und nun komm! Es ist
schon viel zu spät für uns."

-Da hat er Recht, leider, leider!-

Es ist viel zu spät, — wenigstens für mich.

Und ich pfeife,, was mir gerade in den Sinn
kommt:

Sonnenernfe

Du sollst Dich ganz voll Sonne saugen,
Denn Dir gehört der Soinmertag —

Den will ich dann aus Deinen Augen
Fein schluckweis' trinken, wann ich mag.

Sollst in der Sonne dreh'n und wenden
Die wunderweißen Gliederlein,

Und mir im Winter wieder spenden
Kl einhändchenweiß den Sonnenschein.

In Deinen Haaren sollst Du fangen
Das Abendgold, den Morgenwind —

Es soll ja für mein Leben langen,

Das Du mir täglich schenkst, mein Kind.

krnst von ttiolzoaen

Makres Gesdncbtcben

Im Vorortzug nach Pasing springt lustig und
neugierig ein. zehnjähriger Junge von Fenster zu
Fenster; die Mama ermahnt ihn sehr oft und ein-
dringlich in französischer Sprache, bis der Sxröß-
ling zur Antwort gibt: „Red' deutsch, i ver-
steh' XH' net."

Das große Einmaleins

In einer Gesellschaft kam zufällig die Rede
darauf, wie viel siebzehn mal siebzehn sei. Ein
Herr mit Augengläsern verbreitete sich-über die
Geschichte der Rechenkunst und fing damit an,
wie Adam die Baume im Paradiese zählte und
endigte damit, wie die Stimmen bei der Reichs-
tagswahl und die Böcke und Schafe beim jüngsten
Gericht gezählt werden. Seine Gelehrsamkeit wurde
angestaunt.

Ein anderer Herr sagte: „Wenn man siebzehn
mal siebzehn ausrechnet, so ist das Resultat von
der Zahl der traumhvlden Sterne doch noch so
weit entfernt, wie ein in tiefer Sommernacht
des Südens bei heimlich klingendem Springquell
klagendes Mägdelein entfernt ist von den ragen-
den Eisbergen des Nordens." Das wurde ent-
zückend befunden. Wieder ein anderer legte die
verschiedenen Methoden dar, nach denen man ein
solches Problem wie siebzehn mal siebzehn lösen
könne; es gehöre in die Gattung der umkehr-
baren Probleme, da man die beiden siebzehn mit
einander vertauschen könne. Der wurde als tief-
gründig bewundert. Ein anderer sagte: „Wir
sind doch freie Menschen. Wir zählen und feil-
schen nicht. Siebzehn mal siebzehn ist ein Pro-
blem von gestern. Ich habe keine Stellung zu
diesem Problem, das überhaupt keines ist. Unsere
Sehnsüchte liegen und stiegen wo anders. Jede
Zahl ist ein Vorurtheil. Erst wo die Zahl auf-
hört, beginnt die Tragödie." Tosender Beifall
lohnte den Redner, der als freier Geist der Held
des Tages war. Da sagte einer (ich glaube, ich
war es): „Siebzehn mal siebzehn ist zweihundert-
neunundachtzig." Nie werde ich wohl den mit-
leidigen Blick vergessen, mit dem die anderen
mich ansahen; aber, trotzdem ich das, was sie
gesagt hatten, als Schwefel erkannte, imponirten
sie mir damals irgendwie. Damals wußte ich
noch nicht, daß keiner von ihnen das große Ein-
maleins kann. Nikolaus illossmann

*1

Hus Gendartnene-Hnjeigeti

Er stand in einer Ecke des Saales, umgeben
von Niemand.

Der Beschuldigte gab auf Vorhalt der Un-
wahrheit die Ehre.

478
Register
Hans Schwegerle: Siesta
Paul Nikolaus Cossmann: Das große Einmaleins
Ernst Frh. v. Wolzogen: Sonnenernte
[nicht signierter Beitrag]: Wahres Geschichtchen
[nicht signierter Beitrag]: Aus Gendarmerie-Anzeigen
 
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