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Nr. 21

JUGEND

1904

Der äurchgebillene 6lih

Don Karl Sohle

„wer's ilich glaubt, läßt's bleiben vor meins-
wegcns!"

„Man nich gleich kratzbürstig, Friedrich, wie
war's doch man gleich," muntert der Mirih iffil
auf, den alten ausgedienten Rutscher vom Amte.
„Da, haste auch 'n Lntjen."

„Dertellen, )lmtmanrr's Friedrich!" Die Stamm-
gäste rücken zusammen um den behaglichen runden
Stammtisch in der Mfenecke, kleine Beamte, ehr-
same „profeschonisten", Meister des Pfriems, der
Scheere und Nadel, des Pöbels und der Säge,
der Feile und des großen und kleinen pammers.
Und der alte Sügebold — für den Kutscher des
seligen perrn von Münchhausen könnte man ihn
halten — der läßt sich nicht lange nöthigen, nippt
bedächtig, schmeckt und schmatzt und macht sich
wichtig auf seinern Schemel, als prangte er vorm
perrn Arntinann auf dem Kutscherbocke. So er-
zählt er denn wieder mal seine merkwürdige Ge-
schichte vom durchgebissenen Blitz.

„Nämlich da war die neue Steuereinschätzung
anno 67, as's sich die ollen verdainigten Preußen
nu moje machten in unse pannoverland. Ganz
zuerst, weiß ich noch, da mußten ja die ollen Slag-
bäume und Brückens dran glauben und preußisch
werden. Aberft Prostemahlzeit, das entfahmigte
Swarz wurde ümmer furns wieder abgekratzt
und unser olles gutes Gelb kuckte fründlich wieder
durch. Bei uns auf'm Amt nämlich mit unse
Slrengde war's man so — so. perr Amtmann,
eh' der 'n Mort sagte, war 'ne Seele von'n
Minschen. Nämlich und Bismarck is lange hell-
schen quittig daüber west, as ich auf'n Amtmann
hürt Hab' und hat gesagt: „Mas fang ich blos
einmal an. daß die Hannoveraners sich endlich
geben?" Und aufgemuckt dünn aberst zuletzt,
Bismarck: „Stopp, hab's nu dick, nu mal Steuern
her, preußische, will euch schon kriegen!"

Na gut, die Inschätzung. Spann an und
fahr' se rum im Amt, as's so weit is, perr Amt-
mann und was die Kommischon war: die Mit-
tinger ihr Bürgermeister, der olle Snapsbrenner
Beestefeld mit sein'm Klumpfuß und ihr Bitter-
gutspächter Dobberkau und unsen ollen Greyer
und den ollen dicken paasche von Knesebeck, as
die mehrsten Steuern auf'm Buckel haben; den
Amtschreiber, den lütjen, versoffenen Stolte Hab'
ich mit vorn auf'm Bock und der Mensch hat
denn wahrhaftig all ganz barbarscheil einen sitzen,
am nüchternen Morgen.

Eben raus sind wir aus’m Dings, hör ich man,
da sagt Paasche: „perr Amtmann," sagt er, „soll
mich doch heil wunnern, perr Amtmann, was's
woll in Mittingell setzen wird, is 'ne Hitze Mart
(Baffe) die Mittinger, kenn' se, perr Amtmanll,
ich ahll' nix Gut's. Iawoll uub der olle Beeste-
feld und Dobberkau süfzen und sagell das auch
zu perr Amtmann, perr Alntmanil aberst sagt:
„I will woll nich so füllt werden!"

Na schöll, ich laß die Pär laufen, kommen
dulln hin nach wittingell uub furns geht's los l
Nichtige Befulntschon machen die Mittinger, stcllen
sich Hill und schreien die Kominischoll ins Gesicht:
„Mas, Inschätznng? Mas, preuß'sche Steuern?
Mas und unse Iungcns follcit nu auf preuß'sch
Soldat spielen? Niemals nich, ntemals nich! Mall
lieberst auswannern, as den preuß scheu Kukuk
noch länger im Lande dulden," sagt Kooxmann
Schönke. Uebers Wasser rüber," sagt er, „nach
Amerika, noch weiter, man slalik nach Brullsilgen
(Brasiliell) — weg so weit as möglich!" Und
Gastwirth Kreyen perrmann, as 'r mit bei west
is Langensalza, trampelt uub brüllt in einem Hill:
„Mo is die Gerechtigkeit der Weltgeschichte?" All
Kinners und mein Musche (Monsieur) Amts-
schreib er, so'll Daeinelack, macht sich mausig in
seine Dusigkcit ulld sagt: „Zelenzium!" sagt er,
„meine perrens," sagt er, „nehmen Se doch mall
blos 'll büschen Vernunft an!" Iawoll, flank
hauen se 'n eine runter, die hat er weg!

„Mch uild die Kommischon! Sitzen da die
Perreils und seheil ganz wittschen (blaß) aus und
kucken sich an uild kucken wieder und schütteln
dell Kopp. Mch und haben nix ausrichten Föitucii,
feilte Möglichkeit und sind ganz liesekeil dünn end-
lich wieder zu Magen und weiter nach Knesebeck.

„Au na, ich sag' mail und daß den Tag noch
gehörig was kommeil mußte, all früh, as wir
abfuhren, konnte mcm's merken. Die Swulde
(Schwüle) und geileil Mulken, och und die olleil
Fliegen stachen! Iawoll und richtig: just über
Knesebeck türmt sich's auf, steht da as 'it swarzen
Sarg.

Sag' ich zu perr Amtmann: „Nämlich perr
Amtmann," sag' ich, „gibt Sie gleich noch mal
'ne Refulutschon, perr Amtmann, wenn wir inan
wenigstens erst heil durch Stampehlen seinen Busch
durch wären," sag' ich. Sag's an und da blitz's
mich auch all swapp ilts's Gesicht. Aberst wieder
umkehren — nee, das sollt' ich nich, nee, nee,
parduh nich! Die Wittingener thäten uns sicher
höhnschen was auslachen, weiln wir wieder reduhr,"
meinten se im Magen.

Mje, Kinners, uild 's kommt 'rauf! Mas
vor'n Gewitter! Bautz ümmer Slag auf Slag
och und pladdern (stark regnen) thut's gleich, ganz
mordschen, klatsch mail ümmer so aus'm vollen
Eimer! Und achter mich — puckftill sind se im
Magen und jeder deilkt: „Hab' mein peu noch
ilich rein, mein Gott und wenn's man nich in-
stageil thut!" Blos Musche Stolte denkt all nix

— fest ingeslafen ist er und snorkt sich was. Au
und meiil pär — wahrhaftig rein däinelack'sch
sind se vor Gräsen und von alleine bleibell se
ümmer stehen.

Gutt u Gutt und da mit ein Mal: 'n scheuß-
lichen großen Blitz — der ganze Pimmel klöwt
(spaltet) auseinander — und slängelt sich die
Schassee 'rauf, zickzackzickzackzickzack piehl auf meine
olle Kutsche los und kllisterll und knastern thut's,
alle paare stehen inich zu Berge au und denk:
„Prostemahlzeit, na Adjel"

Pottsdeuker aberst was seh' ich da? perr
Aintmalln seill oller großer swarzer Pfulldlällner,
as neben 'n Wagen herlief — so'n Biest, was
macht er? Bor! Mit einem Satz! Uild wüthend
daauf los! Uild Sllapp! 'n gepackt und geschüttelt

— knax! und 'n durchgebiffeil den olleil Blitz,
voller Muth, flank durch, mitten durch, die Funken
fliegen 'n inan so um die Mhreil links und rechts

— uild futsch weg allens, doll sag' ich, doll!

Uild Musche Moran ganz gesund, kukt mich

an und lickt sich's Maul und swänzelt. Nämlich
swarze puitne und Katteil, as selber'n Pelz voll
Blitzfuer (Elektricität) habeil, nämlich die thut ja
der Blitz nix, niemals nich. Ja und hatte woll
gemerkt: all ümmer vorher nämlich, wenn's scharp
blitzeil ihat, nämlich da mein Moran allemal
fühnschen gekilurrt und um sich gesnappt, und den
Aerger lange iil sich 'reingefreffeil.

Ja und das verzähl'n perr Amtmann uild
die annern perrns von die Kommischon, as ich
se in Knesebeck dünn heil und gesund ablade,
jawoll und denk', se sollen sich wunnern uild sich
was merken lasten? Aberst prostentahlzeit, aus-
gelacht haben se inich was!"

Die beiden Dichter

Es waren einmal zwei deutsche Poeten,
Die hatten beide nicht Hut, noch Frack;
Drum schrieb der Eine für Alle und Jeden,
Im braven, soliden Familiengeschmack.

Der Andere hat sich nach Keinem gerichtet,
Drum las auch Keiner, was er schrieb.

Er hat nur selten, sehr selten gedichtet.
Nur wenn das Blut dazu ihn trieb.

Der Eine war zehn Jahre in Mode,

Dann har er sich zur Ruhe gesetzt.

Der Andere hungerte sich zu Tode,

Doch dann, dann wurde er —

auch nicht geschätzt.

Karl Eutingen

4«4

Die Schlote und die Sonne

Line Parabel

Ein riesengroßer Schornstein war eben fertig
geworden. Die Ziegel waren sogar noch etwas
feucht, aber er konnte den Augenblick nicht mehr
erwarten, wo er Funken und Rauch von sich geben
sollte. Er überragte alle Schornsteine in der Nach-
barschaft, und alle erkannten in ihm ihren künfti-
gen Meister. In den Nächten, wo Alles still und
die Schlote Zeit haben, hatte der junge Schorn-
stein immer am lautesten seine Stimme erhoben
und sein Programm verkündet, das die neue Schorn-
stein-Aera begründen sollte. Seine Idee war auch
großartig. Er hatte sich nichts Geringeres vor-
genommen, als die Sonne zu verfinstern. „Die
• Sonne" rief er, „die Sonne ist veraltet, und da-
rum ist sie nicht mehr werth, zu scheinen!" Er
theilte sein Programm den Winden mit, die es
in alle Kamine und Schornsteine der Stadt bliesen
Allen leuchtete es ein und eine große Aufregung
bemeisterte sich der Schornsteinwelt, als es öffent-
lich wurde, daß einer der ihren die Sonne aus-
löschen werde.

Ter große Tag kam heran, wo der Meister-
schlot zum ersten Male rauchen sollte. Vor Un-
geduld konnten die Kamine in der Nacht nicht
schlafen und lärmten wie besessen.

Am anderen Morgen hing ein schwerer Nebel
über der Stadt, und der Rauch stieg dick und
schwarz ans dem großen Schlote auf und ver-
finsterte den ganzen Himmel. Allmälich begann
sich der Nebel roth zu färben. „Seht Ihr, die
Sonne ist vor ohnmächtiger Wuth zerplatzt," riefen
die Schlote, „er hat sie wirklich umgebracht." Plötz-
lich zerrissen die Nebel- und Rauchwolken und am
blauen Himmel stieg glänzend die Sonne empor.
Jetzt wendete sich der Zorn aller Rauchfänge gegen
den großen Schlot. „Seht doch," riefen sie höhn-
isch, „er raucht genau so wie wir!" Und sie be-
schlossen, die Sonne wieder anzuerkennen.

Emil Rechert

Zwergkörucj Caurin

0u nebenstehendem Bilde)
von eme aide Lrankforder

„Vadder, was is dann des for e Mann?
was is der des for e Knerpsche dann?

Mid erer Krön, so klciä un dinn?"

„Mei Sohn, des is der Kenig Laurin."
„Mei vadder, was is dann des for e Mädche,
wo er gedabbt hat bei feim Bfödche,
wo er so freundlich aa dhut lache,

Als wollt er e Lieweserklärung mache?

Des Mädche, Vadder, des dhut mehr gefalle."
„TRei Sohn, des is dem Laurin fei Kalle."
„Mei Vadder, wer fchdeht dann do

bei der Brifdung,

Mid erer Lan) un mid erer Rifdung?

Mid eme Maulkorb aus Blech odder Life?
Vadder, wer is des? Dhu mer's doch weife!"
„Mei Sohn, mei Sohn, des weif' ich Der gern,
Des is der Diedrich, der Diedrich von Bern."
„Der Diedrich von Bernern?*) —

Den misse mehr sehe,
wann mer mol Widder nach Bernem gehe."

G armer, armer Diedrich von Bern,

So kann der Mensch verwechselt wer'n.

Die beese Kinnerfandasse
Zs e gerechder Nichder nie.

Do nimmstde ei kään höchre Blad),

Als wie der Iseborjer Wad).**)

*) Bornheim, **) historischer Schnapsbruder.
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Karl Ettlinger: Die beiden Dichter
Der alde Frankforder: Zwergkönig Laurin
Karl Söhle: Der durchgebissene Blitz
 
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