Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Angelo Jank (München)

„Mir fern die Hulaner, Und bal mirs in Dreck schmeißn

Schmeißen d' Lanzen in d' Höh' — San m'r allwei no Schwolischöl"

(Alter bayrischer Ulanenvers)

Die Unschuld

Eine, Geschichte mit und ohne Moral. Je nach-
dem. Aber immer eine, die den Vorzug der Wahr-
heit für sich hat. Sogar eiuer unangenehmen Wahr-
heit. Der Professor, der sie uns erzählte, suchte ihr
übrigens auch eine angenehme Seite abzugewinnen,
insofern er sie zum Ausgangspunkte einer nützlichen
und fruchtbaren That machte. Das war nämlich in
der Epoche, von welcher die Rede ist, nicht so leicht.

Es gibt eine Menge äußerst empfindlicher Seelen
auf der Welt, denen die Wahrheit viel mebr auf die
Nerven geht, als alle Lügen der Menschheit zu-
sammengenommen. Die den Griffel der Tugend,
welcher hart und spitzig ist, nicht um die Welt können
kratzen hören, während ihnen das weiche Geschmier
des Lasters nicht die geringste Unbequemlichkeit ver-
ursacht. Die aber doch behaupten, daß nur die Tu-
gend ästhetisch sei.

Solch eine empfindliche Seele war die Frau
Geheimrath von Gluckert, geb. Freiin von Süß-
Herz. Ach, was war sie zart! was war ihre Seele
himmlisch! Den Blüthenstaub von beit Flügeln
ihrer Psyche hatte noch keine rauhe Hand abgestreift,
— was sage ich, berührt! Denn sie empfand das

Häßliche, das Unästhetische schon aus der Ferne und
zog sich mimosenhaft davor zurück. Es gibt Dinge
zwischen Hinunel und Erde, von denen sich einfach
eine anständige Frau nicht einmal etwas träumen
läßt. So war die Frau Geheimrath. Und man
muß bedenken, daß sie sieben Kinder gehabt hatte,
von denen allerdings nur zwei am Leben waren,
eine verheirathete Tochter und Albert, ihr Sohn!
Wie waren aber auch die erzogen! Wie Heiligen-
bilder! Geradezu makellos. Eine Tochter, na ja,
das ist schließlich nicht so schwer. Mädchen, nicht
wahr, kommen ins Kloster, dann auf den Markt,
verzeihen Sie, — in die Gesellschaft, aber immer
unter den Augen der Mutter, und werden ver-
heirathet. Dann — nun, dann paßt eben der Mann
auf sie auf, nicht wahr? Also mit Mädchen ist das
soweit keine Kunst, aber Knaben! Es ist schrecklich!
Was die Buben schon Alles in der Schule hören,
dann das Gymnasium, die Großstadt mit ihren Ver-
führungen und Lastern, die Universität. . . nein!
Und kann man sie dabei immer beaufsichtigen wie
die Mädchen? Leider nein. Allein etwas kann man
thun: ihnen einen sittlichen Kern gebet:. Alles Un-
sittliche, Gemeine, Geschlechtliche von ihnen ferne
halten, sie zu juugen Männern mit Knabenherzen

machen, die die Sünde nur vom Hörensagen kennen.
Das kann man. Und so hatte die Frau Geheimrath
von Gluckert-Süßherz ihren Albert erzogen. Das
heißt, so erzog sie ihn. Denn Albert war ja noch
ein Kind, so st: siebzehnjähriger, junger, dummer
Taps, der nicht wußte, was für':: Unterschied zwischen
Buben und Mädchen ist und immer erröthete, wenn
ihn der Professor fragte, ob äl68 männlich oder-
weiblich sei.

„Meine Herren," sagte der Professor Hellner,
als er uns die Geschichte erzählte, „Sie können sich
also die Dame denken, wie sie auf mich zukam, nach-
dem sie in den Zeitungen von meinem Vorhaben
gelesen hatte. Sie ging, was sie sonst nie thut,
quer über die Straße direkt zu mir her, obwohl es
drei Tage geregnet hatte und die Pfützen uuserer
gesegneten Stadt bekanntlich mit denen um Liatljaug
während der Spätherbstperiode wetteifern. „Jslls
möglich, Herr Professor?" rief sie, „Sie haben die
Absicht —, Sie könnten —, Sie-"

„Um Gotteswillen, was habe ich gethan, gnädige
Frau?" fragte ich. „Sie sehen ja ganz erregt aus!
Ich bin mir nicht der geringsten Frevelthat bewußt..."

„Frevelthat! Ja, das ist das richtige Wort! Ich
bitte Sie, Herr Professor! Ich lese in der gestrigen

6
Register
A. De Nora: Die Unschuld
Angelo Jank: Mir san die Hulaner
 
Annotationen