ober ein halbes Geräusch aus der nahen Stube, in welcher bei offenen Fenstern
die Kinder schliefen. In diesen stummen Minuten drang der süße Glanz der auf-
steigenden Venns stärker in das Zimmer, vom Klavier her wurden für Träumer-
ohren die eleganten Takte Mozarts unendlich leise hörbar, und in der braunen
Geige rührten sich mit summenden Gedränge die gefangenen Töne. In den ent-
fernten Ecken des zu großen Zimmers saß dunkel und lauschend die Finsterniß.
„Jetzt erzählet!" sagte die Hausfrau, und zugleich löschte sie die Lampe
aus. Die Finsterniß stürzte hinter dem verglasenden Flämmlein her gierig aus
allen Ecken hervor, aber der süße Glanz der Venus drang bis zum Rande
des runden Tisches und lag zwischen ihm und dem Balkon wie eine weiße
Straße. Gemeinsam mit dem Sohne begann ich eine Geschichte zu erzählen, so
daß einer den andern in kurzen Pausen ablöste, wie wir es oft gethan hatten.
Die dunkle Rächt und der erwachende Spätwind und die viel mehr als hundert-
jährigen Bäume der englischen Allee erzählten in den Pansen mit und es ge-
schah daher, daß in unserer Geschichte viel von Sternen und nächtlichen Schatten
auf mondhellen Parkwegen die Rede war, auch von Seufzern, die in bedeutender
Stunde aus Gewächs und Geräth steigen, von Doppelgängern, Angstgebilden und
aufsteigendeu Schatten Gestorbener.
ÜTit dem letzte» Schlag der Mitternacht mar die Geschichte zu Tod und
Ende geführt und verklang fremden Tons in der Dunkelheit. Eine Kerze
flammte auf, und eine zweite; nebenan ward mir ein kleines Schlafgemach er-
öffnet, wir gaben einander die Hände und gingen auseinander.
Rach einer kurzen Stunde Schlafs erweckte mich eine sanfte Klaviermusik.
Leise und sehr behutsam stieg ich aus dem hohen Bett und schob die angelehute
Thüre des Gesellschaftszimmers ein wenig weiter zurück. Ein schwaches Flimmer-
licht drang ein und die Musik erklang deutlicher. Ich erkannte ein Scherzo von
Mozart von Frauensingein gespielt. Roch ein vorsichtiger, vorsichtiger Druck an
die Thüre ...
Am Klavier saß ein hübsches Mädchen im Kostüm des Empire, weiß mit
lila Schleifen und sehr hoch gegürtelt. Sie spielte die delikate Musik so wie ich
glaube, daß sie vor hundert Jahren gespielt wurde, näinlich sehr zierlich, einfach
und akkurat, nur die kleinen, sentimentalen Wendungen ganz leicht übertreibend,
und sie lächelte dazu. Rach einer kurzen weile hält sie inne. Es entstand Ge-
räusch auf dem Balkon. Ein junger Herr in dunkelblauem Frack stieg über die
schöne schmiedeiserne Brüstung. Seine weißen Wadenstrümpfe stachen hell und
unerträglich eitel durch die Nacht hervor. Kaum hatte er beide geschmeidige
Beine über den leicht erzitternden Eisenbord gebracht, da lag er schon vor dein
Klavier der schönen Musikantin zu Füßen. Indeß er Liebeswahnsiun stammelte
und voll ihr mit schnöde lächelnden Mienen unglaubwürdig angehört wurde,
reizte mich ihr hochmüthig hübsches Gesicht und der noble Bogen ihrer hoch-
gezogenen Brauen. Sie spielte jeweils einen fröhlichen Takt weiter und hörte
sodann wieder heiter, behaglich und grausam dem Knieenden zu, seine Beschwör-
ungen bald mit Schweigen, bald mit Lächeln, bald mit einem fidelen Triller
beantwortend. Sie schlug erstaunlich tadellose Triller.
Da der Galant heißer und am Ende immer drängender und unabweis-
sicher wurde, ärgerte ich mich doch. Ich brach im Hemde ans meiner Kammer
hervor, ergriff den verliebten mit beiden zornigen Händen, trug ihn — er war
nicht schwer — zum Balkon, an welchem noch seine augehakte Leiter hing, und
warf den schmächtigen Pudermann köpfsings hinunter. Lin verhältnißmäßig statt-
licher Fall tönte drunten auf dein mondweißen Fließenboden. Umkehrend ver-
ireigte ich mich vor dein weißen Fräulein und schämte inich ctcitb, im Hemde
dazustehen.
„Mademoiselle, permettez — —“
Sie aber wurde blaß, und wurde schmal, und sank mit einem überaus zarten
Seufzer auf dem Stuhl zusammen, und da ich die Hände nach ihr ausstreckte,
griff ich eine große, stark duftende Narzisse. Erschrocken und traurig stellte
ich die weiße Blüte zu den andern ins hohe Blumeuglas und kehrte in das ver-
lassene Bett zurück.
- Als ich des Morgens vor dem Abschiednehmen das Klavierzimmer nochmals
aufsuchte, war Alles wie am vergangenen Abend. Rur ein altes Mäunerbilduiß
an der wand schien mir auffallend rachsüchtig zu blicken, was ich früher nie be-
achtet hatte. Doch machte mir das begreiflicherweise keine Sorgen.
Der wagen war angespannt und ich fuhr in Begleitung des Hausherrn
nach der Stadt zurück. Der gastfreundliche Herr war heute ziemlich verschlossen
und sah mich unangenehm und fragend an.
„Es ist vielleicht besser," sagte er plötzlich, „wenn Sie uns hier draußen
nicht mehr besuchen."
Ich mar sprachlos.
„Ja, weshalb denn?" rief ich heftig.
„Ich habe gesehen, was Sie heute Nacht gethan haben."
„Und nun?"
„Jener Herr mar mein Großvater. Sie wußten es vermuthlich nicht; aber
einerlei — —"
Ich begann mich zu entschuldigen, aber er rief dem Kutscher zu, schneller zu
fahren, winkte abwehrend gegen mich und lehnte sich tief im Sitz zurück, ohne
sich mehr auf ein Gespräch eiiizulassen.
4üebe Jugend l
Ich habe ein dreijähriges Enkelchen, ein Mäderl. Heute stand das Kind neben
meinem Schreibtisch und deutete auf die Broncestatuette des Antinous.
„Großpapa? wcr ist das?"
Ich: „Das ist ein lieber, braver, junger Mann."
Nachdenklich schwieg das Mädchen eine weile, sah die anderen Statuetten
an, den Hermes, den Narziß, die medizaische Venus :c. — und sagte: „Das sind
auch brave Männer. Die sind nackt. Die müssen sich aber nicht sämeu. weil
sie jo sön sind!" Ludwig Sangkofer
die Kinder schliefen. In diesen stummen Minuten drang der süße Glanz der auf-
steigenden Venns stärker in das Zimmer, vom Klavier her wurden für Träumer-
ohren die eleganten Takte Mozarts unendlich leise hörbar, und in der braunen
Geige rührten sich mit summenden Gedränge die gefangenen Töne. In den ent-
fernten Ecken des zu großen Zimmers saß dunkel und lauschend die Finsterniß.
„Jetzt erzählet!" sagte die Hausfrau, und zugleich löschte sie die Lampe
aus. Die Finsterniß stürzte hinter dem verglasenden Flämmlein her gierig aus
allen Ecken hervor, aber der süße Glanz der Venus drang bis zum Rande
des runden Tisches und lag zwischen ihm und dem Balkon wie eine weiße
Straße. Gemeinsam mit dem Sohne begann ich eine Geschichte zu erzählen, so
daß einer den andern in kurzen Pausen ablöste, wie wir es oft gethan hatten.
Die dunkle Rächt und der erwachende Spätwind und die viel mehr als hundert-
jährigen Bäume der englischen Allee erzählten in den Pansen mit und es ge-
schah daher, daß in unserer Geschichte viel von Sternen und nächtlichen Schatten
auf mondhellen Parkwegen die Rede war, auch von Seufzern, die in bedeutender
Stunde aus Gewächs und Geräth steigen, von Doppelgängern, Angstgebilden und
aufsteigendeu Schatten Gestorbener.
ÜTit dem letzte» Schlag der Mitternacht mar die Geschichte zu Tod und
Ende geführt und verklang fremden Tons in der Dunkelheit. Eine Kerze
flammte auf, und eine zweite; nebenan ward mir ein kleines Schlafgemach er-
öffnet, wir gaben einander die Hände und gingen auseinander.
Rach einer kurzen Stunde Schlafs erweckte mich eine sanfte Klaviermusik.
Leise und sehr behutsam stieg ich aus dem hohen Bett und schob die angelehute
Thüre des Gesellschaftszimmers ein wenig weiter zurück. Ein schwaches Flimmer-
licht drang ein und die Musik erklang deutlicher. Ich erkannte ein Scherzo von
Mozart von Frauensingein gespielt. Roch ein vorsichtiger, vorsichtiger Druck an
die Thüre ...
Am Klavier saß ein hübsches Mädchen im Kostüm des Empire, weiß mit
lila Schleifen und sehr hoch gegürtelt. Sie spielte die delikate Musik so wie ich
glaube, daß sie vor hundert Jahren gespielt wurde, näinlich sehr zierlich, einfach
und akkurat, nur die kleinen, sentimentalen Wendungen ganz leicht übertreibend,
und sie lächelte dazu. Rach einer kurzen weile hält sie inne. Es entstand Ge-
räusch auf dem Balkon. Ein junger Herr in dunkelblauem Frack stieg über die
schöne schmiedeiserne Brüstung. Seine weißen Wadenstrümpfe stachen hell und
unerträglich eitel durch die Nacht hervor. Kaum hatte er beide geschmeidige
Beine über den leicht erzitternden Eisenbord gebracht, da lag er schon vor dein
Klavier der schönen Musikantin zu Füßen. Indeß er Liebeswahnsiun stammelte
und voll ihr mit schnöde lächelnden Mienen unglaubwürdig angehört wurde,
reizte mich ihr hochmüthig hübsches Gesicht und der noble Bogen ihrer hoch-
gezogenen Brauen. Sie spielte jeweils einen fröhlichen Takt weiter und hörte
sodann wieder heiter, behaglich und grausam dem Knieenden zu, seine Beschwör-
ungen bald mit Schweigen, bald mit Lächeln, bald mit einem fidelen Triller
beantwortend. Sie schlug erstaunlich tadellose Triller.
Da der Galant heißer und am Ende immer drängender und unabweis-
sicher wurde, ärgerte ich mich doch. Ich brach im Hemde ans meiner Kammer
hervor, ergriff den verliebten mit beiden zornigen Händen, trug ihn — er war
nicht schwer — zum Balkon, an welchem noch seine augehakte Leiter hing, und
warf den schmächtigen Pudermann köpfsings hinunter. Lin verhältnißmäßig statt-
licher Fall tönte drunten auf dein mondweißen Fließenboden. Umkehrend ver-
ireigte ich mich vor dein weißen Fräulein und schämte inich ctcitb, im Hemde
dazustehen.
„Mademoiselle, permettez — —“
Sie aber wurde blaß, und wurde schmal, und sank mit einem überaus zarten
Seufzer auf dem Stuhl zusammen, und da ich die Hände nach ihr ausstreckte,
griff ich eine große, stark duftende Narzisse. Erschrocken und traurig stellte
ich die weiße Blüte zu den andern ins hohe Blumeuglas und kehrte in das ver-
lassene Bett zurück.
- Als ich des Morgens vor dem Abschiednehmen das Klavierzimmer nochmals
aufsuchte, war Alles wie am vergangenen Abend. Rur ein altes Mäunerbilduiß
an der wand schien mir auffallend rachsüchtig zu blicken, was ich früher nie be-
achtet hatte. Doch machte mir das begreiflicherweise keine Sorgen.
Der wagen war angespannt und ich fuhr in Begleitung des Hausherrn
nach der Stadt zurück. Der gastfreundliche Herr war heute ziemlich verschlossen
und sah mich unangenehm und fragend an.
„Es ist vielleicht besser," sagte er plötzlich, „wenn Sie uns hier draußen
nicht mehr besuchen."
Ich mar sprachlos.
„Ja, weshalb denn?" rief ich heftig.
„Ich habe gesehen, was Sie heute Nacht gethan haben."
„Und nun?"
„Jener Herr mar mein Großvater. Sie wußten es vermuthlich nicht; aber
einerlei — —"
Ich begann mich zu entschuldigen, aber er rief dem Kutscher zu, schneller zu
fahren, winkte abwehrend gegen mich und lehnte sich tief im Sitz zurück, ohne
sich mehr auf ein Gespräch eiiizulassen.
4üebe Jugend l
Ich habe ein dreijähriges Enkelchen, ein Mäderl. Heute stand das Kind neben
meinem Schreibtisch und deutete auf die Broncestatuette des Antinous.
„Großpapa? wcr ist das?"
Ich: „Das ist ein lieber, braver, junger Mann."
Nachdenklich schwieg das Mädchen eine weile, sah die anderen Statuetten
an, den Hermes, den Narziß, die medizaische Venus :c. — und sagte: „Das sind
auch brave Männer. Die sind nackt. Die müssen sich aber nicht sämeu. weil
sie jo sön sind!" Ludwig Sangkofer