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1905

Nr. 16

©sittliches Marterl

öon Kassian Kluibcnschädcl, TuNeiemaler

(„2Pcr hingegen einem dieser Kleinen, die an mich glauben, Aergerniß gibt, dem wäre es besser, daß ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt, und

er in's Meer geworfen würde.- Lv. Mcrrci. 9, 41.)

Innrer diesem Mühlenstein modern eines Dompropsten

hochwürdige Gebeiner;

Leider war dieser Tonsurirre während seines Wandels

hienicdcn auch so einer,

Der sich zwischen seinen vier wänden allhiero auf der Erden
In aller Heimlichkeit versüßen wollte des Lölibares bittere

Beschwerden!

Nur ist er bei diesem Streben bedenklich schlimm gefahren,

Dieweil er im Unklaren war über die für sorhancs Beginnen ndthigen Iah
Des genus femininum. Die Strafe, so hiefür das

Evangelium vorgeschrieben.

konnte man nach den Hierzuland geltenden Paragraphen

nicht an ihm verüben —

Dahero hat man, auf daß des Herrn Gebot nicht

gänzlich werd' verletzt,
Besagten Stein Sr. Hochwürden als geistlich

Marrerl auf das Grab gesetzt!

Jömeimebt oder UoiKsrecbt?

Meine Ausführungen über das Reckt der
sächsischen Königskinder ans ihre Mutter
(„Jugend" Nr. 9) sind abfällig beurtheilt worden.
Man beruft sich auf ein wettiniiches Hausrecht.
Ich meine aber, in solchen rein menschlichen Ange-
legenheiten sollte auch in unseren deutschen Fürsten-
häusern das allgemeine bürgerliche Recht An-
wendung finden, das gebietet schon der Respekt
vor der Nation und dem Reich. In 8 1636 des
B. G.-B. heißt es: „Der Ehegatte, dem nach 8 1635
die Sorge für die Person des Kindes nicht zu-
steht, behält die Befugniß, mit dem Kinde
persönlich zu verkehren. Das Vormundschafts-
gericht kann den Verkehr näher regeln;" —
„nicht ausschließen, auch wenn der Ehegatte einen
sittlich bedenklichen Lebenswandel führt. In solchen
Fällen muß die Regelung um so vorsichtiger sein."
(Kommentar Schneider bei Fischer-Henle) Ich gehe
aber noch weiter und sage: es ist nicht bloß ein
R e ch t der Kinder auf ihre Eltern vorhanden,
sondern auch eine Schicksalspflicht. Wenn
irgend etwas eine grobe Eheirrung in ihren mora-
lischen und sozialen Folgen mildern kann, so ist
es die liebevoll verzeihende Theilnahme der Kinder.
Ihre gewaltsame Abschließung von dem Schuldigen
der beiden Eltern ist unchristlich oder vielmehr
unsittlich.

Das ist der ganz vernünftige Sinn des Luisen-
knltus, der weit über die grün-weißen Grenzpfähle
hinaus getrieben wird. Er entspringt demselben
Rechtsgefühl, dem der 8 1636 des B. G.-B. seine
Existenz verdankt. 6eorfl Rlr(h

*

Die Bergarbeiteraussch üsse. Es ist eine
Verleumdung, wenn man behauptet, die Kom-
mission des Abgeordnetenhauses habe die
Bergarbeiterausschüsfe beseitigt. Im Gegentheil,
sie ist noch über die Regierungsvorlage hin aus -
gegangen. Daniit die Ausschüsse sich voll und
ganz ihrer Ausgabe widmen können und durch
keinerlei Nebenbeschäftigungen hierin gestört werden,
hat sie ihnen jede Beschäftigung mit Politik, ins-
besondere jede Beschäftigung mit den Bestimmun-
gen des Berggesetzes und den Verhältnissen
der Gruben verboten. Damit die Arbeiter nicht
durch unerfahrene Vertreter geschädigt werden, hat
die Kommission ferner beschlössen, daß nur solche
Bergarbeiter wählen dürften, die mindestens

Jahrelang ohne jede Unterbrechung in
einem Bergwerk gearbeitet haben, und daß nur solche
Bergarbeiter gewählt werden dürfen, die mindestens
30 Jahre ohne eine einzige Unterbrechung unter
Tage gearbeitet hoben. Damit die Bergarbeiter von
lokalenJnte ressen in ihrer Unparteilichkeit nicht
beeinflußt werden, sollen die Wahlen zu den Aus-

schüssen in Tilsit vorgenommen werden. Ein hef-
tiger Streit entbrannte darüber, ob die auf diese
Weise gewählten Ausschüsse künftig obligatorisch
oder, wie bis jetzt, fakultativ sein sollten. Die Kom-
mission entschied sich für das erstere. DieGruben-
verwaltung soll zunächst bestimmen, ob ein Aus-
schuß überhaupt gewählt werden soll; hat sie diese
Frage bejaht, so ist der Ausschuß obligatorisch, d. h.
die Bergarbeiter haben nicht das Recht, auf den
Ausschuß zu verzichten! Damit hat die Kom-
mission an Fürsorge für das Wohl derAr-
beiter wohl dastzöchste geleistet!

Bekehrung

Ttach der Lektüre des Hoensbroech-Dasbach - Unheils

O welches bittere Unrecht erwies
Den Jesuiten ich! Oft, wenn es hieß,

Der Satz, daß der Zweck die Mittel heiligt,

Sei ihr Princip, Hab' ich mich betheiligt
An solchem Gerede — nun seh' ich klar,

Daß dies eine platte Verleumdung war.

Ja, daß man dürfe Fürsten ermorden,

Wenn solches nützlich und gut dem Orden,

Daß rathen man dürfe zu einer Sünde,

Damit keine größere draus entstünde,

Und dürfe sogar Gelegenheit geben
Zum Schlechten, um Gutes anzustreben,

Daß man einenr Ketzer Qualen und Schmerzen,
Sogar den Tod dürfe wünschen im Herzen,

Daß offen man dürfe den Eid ablegen
Und heimlich Hintergedanken hegen,

Bestechen dürfe des Richters Mätresse,

Damit er giinstia sei im Prozesse, —

Das Alles allerdings schrieben schon
Die Jefuiten Z, X und D,

Aber daß sie schrieben ganz allgemein

„Der Zweck heiligt die Mittel"-o nein! o nein!!

Das ist eine Lüge! Das ist übertrieben!

Das hat nie kein Jesuit geschrieben!

Denn hält' einer das geschrieben, ich bitt',
Da war' er ja gar kein Jesuit. ..

A. D. X.

Ein Duellopfer. In Berlin bat der Ingenieur
von Ko bylinski den Farmer Zipp litt im Duell
erschossen; er ist verhaltet worden. So ist also
wieder ein junger Mann in der Vollkraft seines
Lebens das Opfer verkehrter Anschauungen
geworden; Vvrurtbeile, die leider unausrottbar
scheinen, entreißen einer Familie ihren Ernährer
und schassen Trauer und Elend. Und obivohl
alle anständigen Menschen von der Unhaltbarkeit
dieser Zustände überzeugt sind, gelingt es doch nicht,
— die Strafbarkeit des Duells zu besei-
tigen. Der arme Kobylinsky ist diesen Ver-
kehr ten Anschauungen zum Opfer gefallen!

Die französische Verschwörung

Monsieur Loubet saß ganz heiter
In Paris und dacht nicht weiter
2\n die Schrecken dieser Welt,
plötzlich aber thät er stutzen,

Denn er hörte revoluzzen
Und der grimme Aufruhr gellt.

während Alles friedlich glaubt man,
Hat der wütherich und Hauptmann'
Tamburin: sich empört,
weil er denkt als Neunmal'weiser,

Daß ein regelrechter Kaiser
Hin auf Frankreichs Thron gehört.

Ließ vertbeilen blaue Bohnen
Nebst Revolvern und Kanonen
Unter seine treue Hut,

Auch zwei Dutzend Bleisoldaten
Stellt er auf zu großen Thaten,

Denn er lechzt nach Mord und Blut.

Linen großen Bärenzwinger
Kauft er sich und darin fing er
Monsieur Loubet gerne ein.

Seine beiden Fäuste ballt er:
wart nur, Lonbet, wart nur, Alter,
Morgen stell' ich Dir ein Bein!

Aber ach, das Auge wachte
Des Gesetzes. Drum verkrachte
Der so wohldurchdachte Putsch.
Bleisoldaten und Kanonen
Und die schon erwähnten Bohnen
Und das Thrönchen waren futsch.

Merkt Luch darum, Ihr Empörer,

Ihr französischen Verschwörer:

Leicht fällt man bei so was 'rein;

Lebt vergnügt vom Trinken, Lffen
Ohne Thron und mit Maitreffen
Und laßt Frankreich Frankreich sein!

Kartellen

Doppelter Boden. Der Dompropst Malzi
in Worms sagte zu einem kleinen Mädchen, dem er
zu nahe trat, wenn sie das mit einem fremden
Jungen mache, dann sei es Sünde; wenn
sie es mit ihm mache, dann sei es keine
Sünde.

Der Staat sagt zu seinen Bürgern, , wenn sie in
einerfremden Lotterie spielen, dann sei es Sünde:
wenn sie aber in seiner Lotterie spielen, dann sei
es keine Sünde.

Der Staat sagt zu seinen Bürgern, wenn sie in
einem Wettbureau Rennwetten abschlössen, so fei
es Sünde; wenn sie aber bei dem von ihm kon-
zessionierten Totalisator wetteten, dann sei es
keine Sünde.

Vas Scbneineglück der Sozialdemokratie

„fein! 3e mehr se det Berg)eset* verbunfen, desto frossartiger sind unsre fisebfüge!“
Register
[nicht signierter Beitrag]: Doppelter Boden
[nicht signierter Beitrag]: Die Bergarbeiterausschüsse
[nicht signierter Beitrag]: Ein Duellopfer
Monogrammist Frosch: Das Schweineglück der Sozialdemokratie
Georg Hirth: Fürstenrecht oder Volksrecht?
A. D. N.: Bekehrung
Kassian Kluibenschädl: Geistliches Marterl
Karlchen: Die französische Verschwörung
 
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