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Nr. 19

JUGEND

1905

Nach einer Weile kam der zum Empfange von
Professoren bestimmte Direktor herein, ein Mann
von ungemein angenehmen Manieren. — Mit diskret-
höflichen Worten hieß er Schillern im Namen der Firma
willkommen und entschuldigte den Chef, der leider
im Augenblicke verhindert sei, selbst zu erscheinen.

Schiller meinte seine Anwesenheit irgendwie be-
gründen zu muffen.

„Ach," unterbrach der Direktor, „bemühen Sie
sich dock nicht, Herr von Schiller! Ich verffchereJhnen,
dag sich unser HauS sehr freuen wird, Sie als Mit-
arbeiter an eine unserer Unternehmungen fesseln zu
dürfen. Wenn Sie erlauben, werde ich mich auf der
Stelle mit unserer literarischen Leitung in Verbindung
setzen und dann in der Lage sein, Ihnen konkrete
Vorschläge zu machen. Allerdings wäre mir an-
genehm, wenn Herr Professor die Güte hätten, mir
beiläufig anzudeuten, auf welchem Gebiete Sie Ihre
geschätzte Feder bethätigen wollen."

Schiller überlegte. — — — „Sie edieren also
Gazetten?"

„-Wenn Sie es so nennen . . .?"

„Ich habe da einige Gedichte, die noch nicht ver-
öffentlicht sind. Wollen Sie die etwa drucken?"

„Hm-Gedichte. . .," sprach der Direktor.

„Gewiß, es wird uns ehren, unseren drei Millionen
Lesern Gedichte einer so berühmten Leier vermitteln
zu dürfen . . . Darf man fragen: Was sind das für
Gedichte?" Da zog Schiller das Manuskript seines
„Liedes von der Glocke" aus der Brustlasche.

Der Direktor wog es in der Hand. — „Meinen
Sie nicht, daß es für uns etwas zu umfangreich
sein wird?" — Schiller zuckte die Achseln.

„Wir haben, wie Sie wohl wissen, Herr Pro-
fessor, sechzehn Wochenschriften, zweiundvierzig Jour-
nale und dreiunddreißig Fachblätter in Verlag.
Unser durchschnittlicher Jahresbedarf beträgt etwa
siebzehntausend Gedichte. Aber, glauben Sie mir,
wir sind auf Jahre hinaus durch unsere hochadeligen

Hauslyriker reichlich versehen. Und dann-' es

ist mir ja furchtbar peinlich, aber Sie werden es
gewiß nicht übel nehmen: ein so langes Gedicht

paßt nicht in den Nahmen unserer Blätter. — Wir
können doch einen Professor von Schiller unmöglich
in einer andern Zeitschrift bringen, als in unserer
vornehmsten, dem „Goldenen Jahrhundert". Doch
gerade im „Goldenen Jahrhundert" bieten wir
grundsätzlich nur Gedichte von je vier Strophen zu
vier Versen. — Dann käme etwa noch — in zweiter
Linie — das wöchentlich erscheinende „Familienheim"
in Betracht: es bringt aber nur Gedichte von acht-
zehn Versen.-— — Eben fällt mir ein:

Das Gedicht schildert einen Glockenguß. — Kann es
nicht in unserem Fachblatt für Glockengießerei er-
scheinen? -Na, wie immer! Erwerben

werden wir ein Gedicht von Schiller selbstverständ-
lich auf jeden Fall."

In diesem Augenblicke wurde der Direktor ans
Telephon gerufen, und man hörte nur abgerissene
Laute. — „Hier Grünfeld! .... Jawohl! . . .
Gewiß! .... Jawohl! .... Der Herr Königlich
Sächsische Rath von Schiller aus Jena und der
Königliche Kammerherr Freiherr von Humboldt. . . .
Sehr wohl, Herr Kommissionsrath! .... M. w.!

. ... Ich soll so leben! .... Schluß!"

Mit strahlender Miene wandte sich Direktor Grün-
feld an die Gäste. „Unser Chef hat soeben von Ihrer
Anwesenheit Notiz genommen und beauftragt mich,
den Herrn Professor von Schiller unter allen Um-
ständen für eine Artikelserie zu verpflichten. Die Be-
stimmung des Honorars habe ich ganz dem Herrn
Professor zu überlassen. — Also, ich bitte! — Können
Sie uns bis Ultimo dieses einen Familienroman
im Umfang von siebentausend Normalzeilen zu
fünfzehn Silben liefern? — Ich denke, das müßten
Sie doch prächtig können! — Sittlich Anstößiges,
sowie Anspielungen, die sich gegen Thron, Kirche
oder Adel wenden, sind streng zu vermeiden, auch

ist ein befriedigender Abschluß unerläßlich.-

An der Spitze des Romans bringen wir Ihr sehr
geschätztes Bildniß: a) ,Der Autor': b) ,Der Autor
im Kreise seiner Lieben'. — Sollen Sie nicht Fa-
milie haben, kann die Unterschrift auch lauten: .Der
Autor mit seinem Mütterchen'. — Eventuell stellen

wir Ihnen, wenn die werthe Frau Mama bereits
aestorben sein sollte, unser Redaktionsmütterchen von
sehr rührendem Aeußern zur Verfügung. — Neu
eintretenden Abonnenten werden die bereits er-
schienen Fortsetzungen unentgeltlich nachgeliesert

-Sie schütteln den Kops, Herr von Schiller?

-Schade!-Dann ein anderer Vorschlag'

— Herr Professor lesen Geschichte?"

CYq!"

„\)u •

„Wie wäre es also mit einem historischen Thema
zu einem vaterländischen Gedenktage — zweitausend'
fiinfhundert Silben?"

Schiller antwortete nicht.

„Sie dürfen ja nicht denken," fuhr Herr Direktor
Grünfeld fort, „daß wir Ihrer Entschließung im
geringsten vorgreifen wollen. Ich bitte, selbst ganz
nach Belieben zu bestimmen, was sie für uns
schreiben werden. Sie brauchen nur das Thema
anzugeben, wir werden kulantest darauf eingehen."

„Muß es gerade eine historische Sache'sein?"
fragte Schiller schüchtern.

„Unser Chef nimmt an, daß Ihnen dergleichen
am besten liegen wird."

„Nun wohl! So schreibe ich Euch denn vom
Abfall der Niederlande."

„Abfall der Niederlande?" antlvortete Direktor
Grünfeld gedehnt, — „wird das nicht etwas zu fern
liegen? — Und wir hatten erst jüngst einen vor-
nehm illustrierten Artikel über die Berliner Riesel-
felder aus der Feder eines Wirklichen Geheimrathes.

— Wenn Sie aber meinen, Herr von Schiller ...?
. . . Ließe sich nicht etwas finden, was dem Tages-
interesse näher steht?"

Die Drei überlegten. — Ta rief Humboldt plötz-
lich: „Ich hab's! — Schiller, Sie sind doch in Ihrer
Jugend Regimentsmedikus gelvesen? Schreiben Sie
über die Wirkung des modernen Repetiergewehres:
da können Sie gleich an Mukden anknüpfen!"

Schiller versprach das und ging.

Mit dem Zuge 5 Uhr 23 fuhr er wieder nach
Jena zurück. — Das ist die Geschichte von Schillers
Aufenthalt in Berlin.

Der Geist äer 2eit

..Oeb'n’s ma a Glasl UH Ui, Senn rin, aba von a katholischen Kuh!“

Paul Rieth (München)
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Paul Rieth: Der Geist der Zeit
 
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